WIRTSCHAFT UKRAINE-KRIEG
64 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022
die Volksrepublik wahlweise als »Part
ner«, »Konkurrent« oder »System
rivale«. Vielleicht würde ExFreund
am besten passen?
Ende vergangenen Jahres bekam
Brüssel jedenfalls zu spüren, was es
konkret bedeutet, Wirtschafts als
Machtpolitik zu betreiben. Litauen
hatte der Regierung Taiwans erlaubt,
unter eigenem Namen eine Vertre
tung in Vilnius zu eröffnen. Peking
reagierte sofort mit einem Boykott.
Mit in den Bann gezogen wurden
Unternehmen wie Ikea, aber auch die
deutschen Autozulieferer Continental
und Hella, die in Litauen Werke ha
ben und von dort unter anderem nach
China exportieren. Insgesamt bra
chen die Einfuhren aus Litauen im
Dezember um mehr als 90 Prozent
gegenüber dem Vormonat ein, wie
chinesische Zolldaten zeigen.
Doch China ging es bei der Aktion
wohl um mehr. Litauen war zuvor aus
dem Kooperationsverbund 17+1 aus
getreten. In der Gruppe kooperiert
China mit baltischen sowie mittel
und osteuropäischen Staaten. So be
teiligte sich Peking an Infrastruktur
projekten, zog lukrative Großauf träge
an Land und gewann in Europa poli
tisch an Einfluss. »Die Sache mit der
Handelsvertretung dürfte für China
nur ein Anlass gewesen sein, um Li
tauen auch für den Austritt aus dem
Kooperationsverbund 17+1 zu bestra
fen«, sagt Franziska Brantner, Parla
mentarische Staatssekretärin im Bun
deswirtschaftsministerium.
Continental konnte sich relativ
elegant aus Chinas Würgegriff lösen.
Das Unternehmen bedient den chi
nesischen Markt nun aus Rumänien
und Ungarn heraus. Das Problem:
Tschechien liebäugelt ebenfalls mit
einem Austritt aus 16+1. Und das
könnte für Autokonzerne wie VW
und Zulieferer wie ZF oder Schaeffler
mit ihren großen Standorten in Tsche
chien noch unangenehm werden. »Bis
dahin müssen wir unsere Abwehr ste
hen haben«, sagt Staatssekretärin
Brantner.
Brüssel arbeitet an einer Strategie.
Zur Strafe für die LitauenAktion
strebt die Kommission gegen China
ein Verfahren vor der Genfer Welt
handelsorganisation an. Zudem stell
te sie im Dezember ein neues »geo
politisches Handelsinstrument« vor,
das ihr erlaubt, »Zwangsmaßnah
men« von Staaten wie China mit
Sanktionen zu kontern, etwa mit
höheren Zöllen oder einer Einschrän
kung des Zugangs zu öffentlichen
Aufträgen. »Wir werden nicht zulas
sen, dass andere uns Entscheidungen
diktieren«, sagt Bernd Lange, Chef
Simon Book, Simon Hage,
Martin Hesse, Mitsuo Iwamoto,
Alexander Jung, Michael Sauga n
des Handelsausschusses im EUPar
lament.
Die Logik hinter dem Vorhaben:
Wenn die EU glaubhaft macht, dass
sie auf wirtschaftlichen Druck mit
ebenso hartem Gegendruck reagiert,
dann gibt es von vornherein weniger
Erpressungsversuche. Es wäre ein
Gleichgewicht der Abschreckung, wie
es aus dem Kalten Krieg bekannt ist.
Immer vorausgesetzt, alle Beteiligten
haben ähnlich gute Karten.
Noch glaubt Europa, dass dies so
ist. Ein neues Verfahren zur Investi
tionsprüfung soll verhindern, dass
Konzerne aus der Volksrepublik stra
tegische Firmen in Europa überneh
men. Zudem will Brüssel mehr als 40
Milliarden Euro ausgeben, um euro
päische Chiphersteller zu stärken.
Und eine sogenannte CO 2 Grenz
steuer für energieintensive Produkte
wie Stahl oder Aluminium soll die
EUIndustrie vor chinesischer Dum
pingkonkurrenz mit niedrigeren Um
weltstandards schützen.
Um die Durchsetzung europäi
scher Standards geht es vordergrün
dig auch im neuen Entwurf für ein
Lieferkettengesetz, mit der Unterneh
men verpflichtet werden sollen, für
die Einhaltung von Menschenrechten
und Umweltstandards entlang der
Lieferkette zu sorgen. Faktisch dürfte
das Regelwerk dazu führen, dass vor
allem finanzschwache Mittelständler
Zulieferer aus China oder anderen
autokratischen Staaten fallen lassen.
Das größte Dilemma der EU: Es
mangelt ihr immer noch an einer
gemeinsamen Außenpolitik. Und so
haben Tschechien und Irland bereits
Vorbehalte gegenüber dem »geostra
tegischen Handelsinstrument« ange
meldet; Schweden warnt davor, der
EUKommission eine handelspoliti
sche »Atomwaffe« in die Hand zu
drücken. Auch innerhalb der Bundes
regierung ist der härtere Kurs gegen
über China umstritten, im Kanzler
amt möchte man den größten Han
delspartner eher vorsichtig anfassen.
Ob das Projekt jemals eine Mehrheit
bekommt?
In den Unternehmen ist man tra
ditionell eher skeptisch gegenüber
großen industriepolitischen Eingrif
fen. Andererseits: Was wäre die Al
ternative? »Dass wir uns zurückhal
ten, damit die Geschäfte weiterlaufen,
wird nicht funktionieren«, sagt Wolf
gang Niedermark, Mitglied der
Hauptgeschäftsführung des Bundes
verbands der Deutschen Industrie.
Die Wirtschaft sei bereit, ihren Teil
beizutragen. »Auch wenn die Unter
nehmen sich dadurch auf zusätzliche
Konflikte und Kosten einstellen
müssen.«
SiemensEnergyChefkontrolleur
Kaeser warnt vor allzu viel Optimis
mus: »Wenn wir in China, den USA
und dann auch in Europa einen Rück
fall in eine nationalistische Wirt
schaftspolitik hätten, wäre die einzig
mögliche Antwort von Unternehmen
eine weitere Lokalisierung ihrer Ak
tivitäten«, sagt er. Nur wo blieben
dann die kleineren und mittelständi
schen Exporteure, die nicht in all die
sen Wirtschaftsräumen eigene Fabri
ken bauen könnten? Genau das sorge
ihn, so Kaeser, »weil dieser Mittel
stand unser Land wirtschaftlich, vor
allem aber sozial und gesellschaftlich
trägt«.
Firmenchef
Laxhuber: Derzeit
läuft kaum
etwas nach Plan
Russland spielt nur eine Nebenrolle
Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen
in Deutschland, Bestände in Mrd. Euro
S Quelle: Bundesbank
40
60
10
80
2012 2019
2012 2019 2020
89,5
18,9
+ 110 %
- 15 %
+ 117 % + 394 %
aus Russland aus China
Direktinvestitionen deutscher Unternehmen
im Ausland, Bestände in Mrd. Euro
in Russland in China
8,96,3
Veränderung
gegenüber 2012:
Florian Generotzky / DER SPIEGEL
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