Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 65

N


ormal« gibt es nicht in der Welt
des Elon Musk, bei Tesla ist
auch nichts »groß«, in seinem
Reich ist alles »giga«. Mitarbeiterver-
sammlungen im Tesla-Werk in Grün-
heide werden zum »Team Huddle«,
und selbst wenn dort nur über den
Fortgang auf der Baustelle berichtet
wird, geht es zu, als würde die Halb-
zeitshow des Super Bowl beginnen.
Mit dröhnenden Beats, Projektionen
und Lichteffekten.
Weniger »giga« findet Musk Be-
triebsräte und Gewerkschaften, sie
sind ihm ein Gräuel. Legendär ist sein
Kampf, das Tesla-Werk im amerika-
nischen Fremont gewerkschaftsfrei
zu halten. Selbst mit US-Präsident
Joe Biden legt er sich dafür an.
Ausgerechnet bei seinem Vorzei-
geprojekt in Brandenburg scheint der
Milliardär nun seine Haltung zu än-
dern. Die Wahl eines Betriebsrats am
kommenden Montag wird von Musk
weder sanktioniert noch unterlaufen.
Womöglich in der Hoffnung, so den
Einfluss der IG Metall in der Giga-
factory kleinhalten zu können.
Als Ende November 2021 bekannt
wurde, dass bei Tesla eine Arbeitneh-
mervertretung gewählt werden soll,
vermuteten einige Medien zunächst
die IG Metall als Drahtzieher dahin-
ter. Doch die Gewerkschaft selbst war
vom Zeitpunkt überrascht. Im IG-
Metall-Büro am Bahnhof Fangschleu-
se, in direkter Nähe zu Tesla, arbei-
teten sie die Nacht durch, um Flyer
über den Ablauf von Betriebsrats-
wahlen zu produzieren, die sie mor-
gens vor dem Werk verteilten.
Die Einladung zur Wahlversamm-
lung kam aus der Belegschaft. Das
Anschreiben der sieben Initiatoren,
vornehmlich Führungskräfte, begann
firmenuntypisch förmlich: »Liebe
Kolleginnen und Kollegen, die Be-
lange unserer ArbeitnehmerInnen

Gigawahl im


Tesla-Land


ARBEITSWELT Tesla und Betriebsrat galten
bislang als unvereinbare Welten. Nun wird in der
Fabrik in Grünheide noch vor dem Produktions-
start eine Arbeitnehmervertretung gewählt.
Auffällig viele Kandidaten sind Führungskräfte.

sind für uns von hohem Interesse.«
Die Wahlversammlung am 29. No-
vember im Bereich »Body in White«
versprühte dann schon wieder den
Tesla-Spirit, mit Bühne, Musik und
Scheinwerfern, freien Getränken und
Snacks. Bei einer solchen Versamm-
lung wird laut Betriebsverfassungs-
gesetz der Wahlvorstand gewählt. Er
organisiert und führt die Wahl durch.
Gewählt wurde nicht per Handzei-
chen. Wer mit Nein stimmen wollte,
musste aus der Menge heraustreten
und in ein angrenzendes rotes Feld
wechseln, berichten mehrere Beschäf-
tigte. Das Ergebnis war eindeutig.
Am Ende verkündete der frisch
gewählte Vorstand, dass er auch ge-
schlossen als Liste bei der Wahl an-
treten werde, und zog Shirts mit dem
Namen der Liste über: »Gigavoice«.
Seitdem ist Wahlkampf bei Tesla
und Gigavoice omnipräsent. In den
Hallen hängen Plakate und Banner
von Gigavoice, überall liegen Flyer
aus (»Umsetzen statt blockieren, dis-
kutieren statt streiten«). Die Liste
habe einen eigenen Sharepoint in der
internen Teams-Anwendung, berich-
ten mehrere Beschäftigte überein-
stimmend. Ebenso, dass sie bereits
Mails an die Mitarbeiter verschickt
habe, bevor die Listenaufstellung am


  1. Januar abgeschlossen war.
    Seitdem gibt es drei Konkurrenz-
    listen: »Heart of Tesla«, »GIGA4
    YOU« und »Energy for the future –
    Für euch, mit euch!«. Im Auftritt kön-
    nen sie mit Gigavoice nicht mithalten.
    Erste Mails verschickten sie in der ver-
    gangenen Woche. Auf Nachfrage von
    Kollegen hätten Vertreter der Listen
    geantwortet, es habe etwas gedauert,
    bis sie Zugang zum Gesamtverteiler
    der Gigafactory bekommen hätten.


Vor Kurzem wies der Wahlvor-
stand in einer Rundmail zur Betriebs-
ratswahl darauf hin, dass es nicht zur
Unternehmenskultur von Tesla passe,
Wahlkampfplakate von Wettbewer-
bern herunterzureißen oder Flyer zu
zerstören. Wer genau betroffen war,
ließ die Mail offen.
Für die IG Metall ist die Wahl vor
dem Produktionsstart eine zwei-
schneidige Angelegenheit. Anfang
der Woche begrüßte Birgit Dietze,
IG-Metall-Chefin von Berlin, Bran-
denburg und Sachsen, das Vorhaben
»ausdrücklich« und forderte alle Be-
schäftigten auf, an der Wahl teilzu-
nehmen. Doch eigentlich kommt die
Wahl für die Gewerkschaft zu früh.
Es arbeiten erst knapp 2500 Men-
schen im Tesla-Werk, für das es noch
keine endgültige Genehmigung gibt.
Unter Volllast sollen es einmal 12 000
sein. Eingestellt wird bei einer neuen
Fabrik von oben nach unten. Das
Heer der Beschäftigten in der Produk-
tion, auf das sich die Macht der IG
Metall bei anderen Herstellern stützt,
ist noch nicht da. Eine machtvolle Ge-
werkschaftsvertretung im Betriebsrat
scheint da wenig wahrscheinlich.
So tritt die Gewerkschaft mit kei-
ner eigenen Liste an. Das hätten die
Mitglieder selbst entschieden, sagt
Dietze. »Sie wollten mit Kolleginnen
und Kollegen aus ihren Bereichen, die
nicht in der IG Metall sind, auf ge-
meinsamen Listen zu dieser ersten
Betriebsratswahl antreten.« Die Mit-
gliederzahl bei Tesla sagt sie nicht.
19 Personen werden am Montag in
Grünheide in das Gremium gewählt.
Die Listen Heart of Tesla, GIGA4
YOU und Energy for the future treten
mit 13 bis 19 Köpfen an, vor allem
normale Mitarbeiter. Gigavoice bietet
hingegen 53 Leute auf. Auf den aus-
sichtsreichen ersten zwölf Listenplät-
zen stehen überwiegend Beschäftigte
mit Führungsverantwortung – Mana-
ger, Supervisoren. Die Spitzenkan-
didatin ist in einem Organigramm von
Tesla drei Stufen unter »CEO & Techno-
king« Musk einsortiert.
Zwar wird der Betriebsrat erst
noch gewählt, Gigavoice hat aber be-
reits eine Zwischenbilanz ihres Wir-
kens verschickt. Es ging um Überstun-
den, Wochenendarbeit, die Essens-
versorgung auf dem Werkgelände.
Die Foodtrucks, wurde verkündet,
sollen jetzt wöchentlich rotieren.
Auch in Zukunft sehe Gigavoice seine
Aufgabe darin, die Interessen der Be-
schäftigten zu verfolgen und die Mis-
sion von Tesla weiter voranzutreiben.
Mit so einem Betriebsrat könnte
wohl auch Elon Musk leben. Giga.

12 000
Mitarbeiter

sollen bei
Tesla in
Grünheide
arbeiten,
wenn das
Werk voll
ausgelastet
sein wird.

Firmenchef Musk
in Grünheide 2021
Patrick Pleul / picture alliance / dpaMarkus Dettmer n

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