Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

68 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

Volkswagens mächtigste


Verkäuferin


KARRIEREN Hildegard Wortmann hat den Mini zum Zeitgeist-Vehikel
gemacht und die Marke Audi gerettet. Jetzt steigt sie in den
VW-Konzernvorstand auf und will den Verkauf von Autos radikal ändern –
etwa mit virtuellen Showrooms und 24-Stunden-Onlineberatung.

D


ie Provokation war wohlüberlegt. Hil-
degard Wortmann, als Vertriebschefin
die oberste Verkäuferin bei Audi,
sprach zu ihren mehreren Tausend Händle-
rinnen und Händlern. Statt, wie bei solchen
Events üblich, das Publikum schmeichelnd
einzulullen, präsentierte sie ihm eine Groß-
aufnahme des Boxers Muhammad Ali, der
gerade einen Gegner k. o. geschlagen hat. So
wie dem Mann am Boden, warnte sie laut

Teilnehmern, werde es Audi und seinen
Vertriebspartnern ergehen, wenn sie ihr Ge-
schäftsmodell nicht bald radikal umkrempel-
ten. Die Chancen, den Wandel zu schaffen,
lägen bei 50 Prozent. Anfang 2020 war das.
Etliche Zuhörer reagierten irritiert.
Vor allem Wortmanns Forderung, die
Autohäuser müssten künftig mehr leisten, als
nur Fahrzeuge abzusetzen und zu warten,
ließ viele der erfolgsverwöhnten Händler rat-

los zurück. Sie hatten wenig Lust, sich mit
neuen Mobilitätskonzepten, dem Verkauf von
Wallboxen oder gar Lastenrädern zu beschäf-
tigen. Das war für sie vor zwei Jahren vor
allem eins: Gedöns.
Ist es inzwischen nicht mehr. Kaum einer
zweifelt mehr an Wortmanns These, im
Gegenteil. Heute beschweren sich die Händ-
ler im VW-Konzern, dass sie nicht genügend
Elektroautos bekommen. Stromer sind
knapp, und die Nachfrage ist derart explo-
diert, dass Volkswagen die Wagen mittler-
weile rationiert und per Quote verteilt.
Wortmann selbst hat in dieser Zeit eine
steile Karriere gemacht. Seit Anfang Februar
verantwortet sie neben Audi und den Töch-
tern Lamborghini, Bentley und Ducati auch
den Vertrieb der Marken Volkswagen, Škoda,
Seat, Cupra und Porsche.
Sie ist die vierte Frau überhaupt, die es
jemals in den VW-Konzernvorstand geschafft
hat. Wortmann rückt damit in die Riege der
einflussreichsten Managerinnen Deutschlands
auf. Sie macht daraus kein großes Ding, tritt
zwar für gendergerechte Sprache in der
Unternehmenskommunikation ein, nimmt es
selbst beim Sprechen damit aber nicht so
genau.
Für ihren Aufstieg erhielt sie viel Beifall,
mit einem Anteil von lediglich 18 Prozent sind
Frauen in Dax-Vorständen noch immer in der
Minderheit. Das Etikett Karrierefrau scheint
ihr allerdings eher lästig zu sein. »Ich hatte
nie Probleme, mich durchzusetzen«, sagte sie
einmal, »und denke nicht, dass das eine
Frau-Mann-Geschichte ist.« Nur an einer
Sache lässt sie keinen Zweifel: dass sie ihre
Macht für weitere, tiefgreifende Veränderun-
gen nutzen will.
Wie entschlossen sie ist, signalisiert sie
vom ersten Arbeitstag an in ihrer neuen Rolle.
Sie spricht sofort mit dem SPIEGEL, legt ihre
Pläne offen und erklärt die alte Autowelt der
PS- und Geschwindigkeitsprotze für beendet:
»Das Prinzip Autoquartett ist auf die Dauer
nicht mehr tragbar.« Für Kundinnen und Kun-
den zählten heute andere Werte, das zeigten
interne Befragungen: »Wer keine Antwort auf
den Klimawandel und das wachsende Be-
dürfnis nach Nachhaltigkeit hat, dem fehlt in
Zukunft die Geschäftsgrundlage.«
Wortmann liegt damit exakt auf der Linie
von Herbert Diess, doch anders als der Kon-
zernboss belässt sie es nicht bei Provokatio-
nen. Sie malt nicht bloß den Niedergang der
alten Welt an die Wand, sie zeichnet das
Bild für den Ausweg gleich mit. Diess’ Plan,
Weltmarktführer für E-Mobilität zu werden,
erweitert sie um eine entscheidende Dimen-
sion: Künftig sollen die Kunden diesen Wan-
del direkt an der Verkaufsstelle zu spüren
zu bekommen. Statt gedrungener Händ-
lerbuden, in denen Dutzende Autos Stoß-
stange an Stoßstange stehen, eröffnet Wort-
mann weiträumige Pop-up-Stores (»House of
Progress«). In Städten wie Wien oder São
Paulo informieren Designer und Marken-
botschafter auf großen Digitaldisplays über

Managerin Wortmann

Dirk Bruniecki / DER SPIEGEL

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