Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 67

sammelt. »Einige sind exzellente
Fachleute«, sagt ein langjähriger EU-
Parlamentarier, der das Gremium
bestens kennt. »Andere lassen sich
nur selten sehen, wieder andere sam-
meln vor allem Bewirtungsquittungen
oder kümmern sich um ihre politi-
schen Kontakte.«
Und manche machen alles gleich-
zeitig, so wie der belgische EU-Poli-
tiker Karel Pinxten, der in seiner
Rechnungsprüferzeit gern Lobbyisten
und Politiker zu feudalen Gesellschaf-
ten einzuladen pflegte, auf Kosten des
Rechnungshofs, versteht sich. Im De-
zember 2015 zum Beispiel organisier-
te er ein Dinner im französischen
Schloss Chambord, wo EU-Haus-
haltskommissar Johannes Hahn mit
dem Chef des Europäischen Land-
besitzer-Verbandes zusammenkam.
Tags darauf gingen etliche Teilnehmer
in den umliegenden Wäldern auf die
Jagd. Es war ein Treffen mit rein
privatem Charakter, wie Hahn später
mitteilte. Aber längst nicht die ein-
zige Sause, zu der Pinxten lud.
Noch besser verstand es der Bel-
gier, die Kosten seines aufwendigen
Privatlebens mit der Luxemburger
Etatbehörde zu teilen. Das Amt be-
glich Rechnungen für Pinxtens Fe-
rienreisen ins schweizerische Crans
Montana oder nach Kuba. Es zahlte,
wenn er Empfänge oder Hochzeiten
besuchte. Und wäre es nach Pinxten
gegangen, hätten Europas Steuer-
zahler sogar mitgewirkt, als er ver-
suchte, ein Weingut im Burgund zu
erwerben.
Am Ende hatte der flämische Baron
das Amt um mehr als 500 000 Euro
betrogen, ermittelte die europä ische
Antikorruptionsbehörde OLAF. Im
Herbst vergangenen Jahres urteilte der
Europäische Gerichtshof, dass die
Kontrollbehörde berechtigt sei, ihrem
früheren Mitglied zwei Drittel seiner
Pension zu streichen.
Für Lehne war der Skandal Chance
und Risiko zugleich, als er 2016 zum
Präsidenten aufstieg. Risiko, weil er
fortan mit Racheaktionen der Pinx-
ten-Seilschaft im Hof zu rechnen
hatte. Chance, weil er die Behörde
umorganisieren und neu ausrichten
konnte. »Die Qualität der Prüfberich-
te hat sich in Lehnes Amtszeit deut-
lich verbessert«, urteilt Haushalts-
experte Giegold.
Das Problem war nur, dass Lehnes
Reformeifer Grenzen kannte. Wenn
es etwa darum ging, die großzügigen
Reise- und Spesenregeln der Behörde
auszureizen, zeigte sich der frühere
CDU-Europaabgeordnete eher als
Traditionalist. So kassierte Lehne den
üblichen Wohnzuschuss der Behörde;

aber weil ihm ein Single-Apartment
in Luxemburg zu teuer war, zog er in
eine mehrgeschossige Großwohnung,
in der er einige Zimmer untervermie-
tete. Das brachte ihm pro Monat etwa
1400 Euro zusätzlich ein.
Damit nicht genug. Der Einfach-
heit halber vermietete er die Räume
an enge Mitarbeiter, womit sich der
oberste Haushaltskontrolleur des
Kontinents dem Verdacht aussetzte,
private und professionelle Belange
unzulässig zu verquicken. »Dümmer
geht’s nimmer«, sagen Leute aus sei-
nem eigenen Lager.
Lehnes Umgang mit Politik und
Partei wirft ebenfalls Fragen auf. Laut
Verhaltenskodex des Hofs ist der
Präsident zu strikter Neutralität ver-
pflichtet. Nur wird er dem gerecht?
Seine Dienstreisen nach Deutsch-
land brachten ihn auffällig oft mit
seinen früheren Parteifreunden im
Rheinland zusammen. Er habe die
Termine nicht wegen des CDU-Par-
teibuchs wahrgenommen, sagt Lehne,
sondern »aufgrund von deren Rele-
vanz«. Eine Übersicht für den Haus-
haltskontrollausschuss freilich ver-
mittelt ein anderes Bild. 26-mal be-
suchte der Behördenchef danach seit
dem vierten Quartal 2018 die Bun-
desrepublik, doch mehr als 42 Pro-
zent der Trips führten ihn nach Düs-
seldorf und Umgebung: zu einem
Treffen mit Regierungspräsidentin
Birgitta Radermacher (CDU), einer
Konferenz der Jungen Union, einem
Auftritt vor dem unternehmensnahen
Industrie-Club. Folgt man der Liste,
muss sich Lehnes Standardvortrag
(»Der Rechnungshof als Anwalt der
europäischen Steuerzahler«) in
Neuss, Ratingen oder Benrath regel-
recht eingebrannt haben.
Noch immer ist er zudem Ehren-
vorsitzender des regionalen CDU-
Kreisverbands. Ein Titel, mit dem sich
laut Lehne »keinerlei politische Funk-
tion verbindet«. Wer allerdings die

Satzung der Partei studiert, kommt
zu dem Ergebnis, dass Europas Rech-
nungshofpräsident damit weiter Mit-
glied des örtlichen Parteivorstands
ist, wenn auch nur in »beratender
Funktion«.
Er habe »keine Regeln verletzt«,
beteuert Lehne. Dennoch sieht sich
seine Behörde nach den Enthüllungen
der vergangenen Wochen genötigt,
die eigenen Vorschriften umfassend
zu ändern, zum Beispiel bei Miet- und
Untermietverträgen.
Es ist ein Misstrauensvotum der
Verwaltung, und auch Lehnes engste
Verbündete gehen inzwischen auf
Distanz. »Derzeit kann ich nicht er-
kennen, dass der Präsident des Rech-
nungshofs gegen Regeln verstoßen
hat«, sagt Monika Hohlmeier (CSU),
Vorsitzende des Haushaltskontroll-
ausschusses. Ausdrücklich begrüßt sie
die schon beschlossenen Änderungen
des Hofs, fügt indes hinzu: »Obwohl
die Untervermietung nicht gegen
geltendes Recht verstieß, könnte sie
doch in der öffentlichen Betrachtung
einen falschen Eindruck erwecken.«
Der grüne EU-Abgeordnete Da-
niel Freund denkt sogar darüber nach,
dem Hof wegen der Affäre die Ent-
lastung zu verweigern. Der Schritt
hätte zwar keine unmittelbaren Kon-
sequenzen, würde aber ein deutliches
Signal setzen: »Ich habe Zweifel, ob
Lehne in seinem Amt die notwendige
parteipolitische Unabhängigkeit ge-
wahrt hat«, sagt Freund. »Die offenen
Fragen müssen vor der Entscheidung
im Parlament eindeutig geklärt wer-
den.« Vom Chef des Rechnungshofs
erwarte er hier »ein besonders vor-
bildliches Verhalten«.
Lehne selbst will auch Konsequen-
zen ziehen. Bei der Neuwahl des Prä-
sidenten im September will er nicht
wieder antreten. »Ich habe ohnehin
keine weitere Amtszeit angestrebt«,
sagt er. »Dabei bleibt es.«
Und so wird sich demnächst eini-
ges ändern in dem Amt, in dem sich
die Affären zuletzt verdächtig gehäuft
haben. Es wird einen neuen Präsiden-
ten und neue Vorschriften geben, und
der Chef der Verwaltung wird mehr
Befugnisse bekommen, die Hofmit-
glieder zu überwachen. In Europas
oberster Haushaltsbehörde kontrol-
liert künftig nicht mehr die Politik die
Verwaltung. Die Verwaltung kontrol-
liert die Politik.
Nur das eigentliche Problem der
Behörde steht nicht zur Debatte: ihr
Wasserkopf aus überbezahlten Ex-
Politikern, deren besondere Fähigkeit
darin besteht, sich untereinander mit
Intrigen zu überziehen.
Michael Sauga n

Behördenchef Lehne

Olivier Hoslet / epa

Bruno Fahy / Belga News Agency / ddp

500 000^


Euro


fordert der
Rechnungshof
von seinem
Ex-Mitglied
Karel Pinxten
zurück.

Belgisches Königspaar,
Baron und Baronin Pinxten 2016

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