Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
Nr. 9 / 26.2.2022DER SPIEGEL 73

Schikanen gegen
Deutsche Welle
TÜRKEI Erst hat Russland der
Deutschen Welle (DW) ein Sen-
deverbot erteilt, nun droht dem
deutschen Auslandsmedium
auch in der Türkei eine Sperre.
Die Aufsichtsbehörde RTÜK
hat die DW am Montag aufge-
fordert, eine Lizenz für die
Verbreitung von On-Demand-
Inhalten über ihre Website zu
beantragen. Möglich wird dieser
Schritt durch eine 2019 in Kraft
getretene Regelung, die der
Regierung von Präsident Recep
Tayyip Erdoğan mehr Befugnis-
se zur Kontrolle von Internet-
plattformen einräumt. Betroffen
sind neben der DW auch Voice
of America und Euronews.
Bei der DW sieht man in dem
Schritt den Versuch, Einfluss auf
Inhalte zu nehmen. »Damit
würde die Möglichkeit einer
Zensur eröffnet«, sagte DW-

Intendant Peter Limbourg. Das
Ultimatum des türkischen
Kon trollgremiums ließ der Sen-
der am Donnerstag verstrei-
chen. Limbourg gab bekannt,
dass man vor Gericht gegen
die Lizenzierung vorgehen wer-
de. Sollte die DW scheitern,
würde die Türkei den Betrieb
der Website erheblich ein-
schränken. Bereits jetzt kon-
trolliert die Regierung über
die Regulierungsbehörde etwa
90 Prozent der Medien. Mit
immer neuen Gesetzesverschär-
fungen hat sie den Druck auf
Journa listen in den vergange-
nen Jahren erhöht. Aus Sicht
von Reporter ohne Grenzen ist
die Lizenzaufforderung an
Auslandssender »nur eine wei-
tere der autoritären Maßnah-
men, mit denen Präsident
Erdoğan gegen freie Medien
vorgeht und dabei das Justiz-
system zu politischen Zwecken
einspannt«. ASC

Furcht vor Attentaten


BRASILIEN Ex-Präsident Lula,
der Favorit bei der Präsident-
schaftswahl im Oktober, wird
eine seiner größten Stärken im
Wahlkampf wahrscheinlich
nicht ausspielen können: das
Bad in der Menge, den Kontakt
mit den Wählern. Aus Sicher-
heitsgründen erwägt seine
Arbeiterpartei PT, Liveauftritte
ihres Kandidaten weitestgehend
zu vermeiden. Der ehemalige
Verfassungsrichter Joaquim
Barbosa warnte vor Attentaten
auf den Kandidaten. »Sie sind
blutrünstig, sie kennen keine
Grenzen«, sagte er über radika-
le Anhänger von Präsident Jair

Bolsonaro, der gegen Lula an-
tritt. »Wir wissen, dass das Le-
ben Lulas in Gefahr ist«, bekräf-
tigte Ex-Justizminister Eugênio
Aragão. Die Furcht vor An-
schlägen hat dazu geführt, dass
Lula die meisten Auftritte und
Interviewtermine bislang digital
absolviert. Schon vor Jahren,
als Lula mit einer Buskarawane
durch den Süden des Landes
reiste, hatten Unbekannte auf
seinen Konvoi gefeuert. Aller-
dings ist nicht nur der linke
Kandidat in dem aufgeheizten
politischen Klima in Gefahr:
Bolsonaro wurde während des
letzten Wahlkampfs im Sep-
tember 2018 bei einer Messer-
attacke schwer verletzt. JGL

»Solche Fälle wird es


immer wieder geben«


SCHWEIZ Die Bank Credit Suisse soll über Jahre
Autokraten und mutmaßliche Kriegsverbrecher als
Kunden akzeptiert haben. Der Finanzexperte
Balz Bruppacher über die halbherzigen Steuer-
und Bankgesetze seines Landes.

SPIEGEL: Herr
Bruppacher, in
den »Suisse
Secrets« tauch-
te eine ganze
Reihe von
Namen kor-
rupter Auto-
kraten auf. Hat Sie das über-
rascht?
Bruppacher: Nun, es ist eine
ziemlich lange Liste von Namen.

Aber unter ihnen gibt es einige
alte Bekannte, zum Beispiel die
Söhne des 2011 gestürzten ägyp-
tischen Autokraten Hosni Muba-
rak. Dass sie Konten bei der
Credit Suisse haben, weiß man
schon lange. Ich bin überzeugt,
dass es solche Fälle immer wie-
der geben wird, solange der
Schweizer Finanzplatz eine füh-
rende Rolle bei grenzüberschrei-
tenden Transaktionen spielt.

SPIEGEL: Die Schweiz hat ihre
Bankengesetze mehrfach refor-
miert. Hat sich trotzdem nichts
geändert?
Bruppacher: Was sich geändert
hat, ist das sogenannte Steuer-
Bankgeheimnis. Da musste die
Schweiz 2009 unter großem
ausländischen Druck ihre Praxis
ändern. Heute tauscht die
Schweiz regelmäßig Bankdaten
mit etwa 100 Ländern aus.
Seit 2016 gibt es die »Lex Ben
Ali«, benannt nach dem
2011 im Arabischen Frühling
gestürzten tunesischen Auto-
kraten. Das Gesetz sollte die
Sperrung, Einziehung und
Rückerstattung von Potentaten-
geldern an die jeweiligen
Länder regeln. Aber es wurde
nicht angewendet.
SPIEGEL: Warum nicht?
Bruppacher: Eine Bedingung
ist, dass es in den betroffenen

Ländern kein eigenes Rechts-
system mehr gibt. Aber Tune-
sien oder Ägypten sind ja keine
gescheiterten Staaten. Und
dann braucht es einen gericht-
lichen Entscheid im jeweiligen
Land. Aber in Ägypten wurde
Mubarak am Ende weitgehend
freigesprochen.
SPIEGEL: Es gibt auch noch an-
dere »diskrete« Finanzplätze.
Warum wählen so viele Auto-
kraten die Schweiz?
Bruppacher: Die Schweiz hat
einen Ruf als politisch stabiles
Land. Diese Leute kommen ger-
ne hier vorbei und sprechen
mit ihren Beratern an schönen
Orten über Geld. Die Vertreter
des Finanzplatzes sagen zwar
seit Jahren, wir brauchen die
Gelder von Kriminellen gar
nicht. Das ist jedoch eher eine
Schutzbehauptung, wenn man
die Geschichte anschaut. BOL

Erdoğan

Lula 2019

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Ruben Sprich

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