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(Martin Jones) #1

eine Woche, bei Menschen erstreckt er sich von der 6. bis
zur 18. Schwangerschaftswoche.
Diese Löschungswelle gilt als weitgehend vollständig –
sie entfernt sogar die Methylierungen an den elterlich
geprägten Genen in den Vorläuferzellen von Eiern und
Spermien. Später erscheinen dann jedoch neue Markie-
rungen: Bei Frauen erhalten die Chromosomen, die für
Eizellen vorgesehen sind, ein mütterliches Methylierungs-
muster, während jene in Spermien bei Männern ein väterli-
ches bekommen. Das verhindert, dass ein Nachkomme
zwei aktive oder aber zwei abgeschaltete Kopien der
geprägten Gene erhält statt eines von jeder Sorte.


Der gleiche Mechanismus, der für die neuen Markierun-
gen auf den geprägten Genen sorgt, könnte nun auf Grund
negativer Umwelteinflüsse neue Epimutationen in der
Keimbahn fixieren. Egal ob es sich dabei um einen Schad-
stoff, ein stressbedingtes hormonelles Ungleichgewicht
oder Mangel ernährung handelt: Eine solche Exposition zu
dem Zeitpunkt, an dem die zweite Löschungsrunde gerade
beginnt, könnte mit entscheiden, welche epigenetischen
Markierungen der Em bryo für immer beseitigt und welche
er belässt oder am Ende der Neuprogrammierungsphase
neu setzt.


Epigenetisch erhöhtes Risiko
für Fettleibigkeit
Die meisten solchen Epimutationen haben wahrscheinlich
geringe Auswirkungen oder werden in der nächsten
Generation wieder rückgängig gemacht. Falls jedoch eine
davon in einer Keimbahnzelle wie bei einem geprägten
Gen geschützt wird, kann sie erhalten bleiben und die
nächste Generation beeinflussen – und vielleicht noch
viele weitere nachfolgende.
Sollte diese Überlegung zutreffen, hätte das entschei-
dende Konsequenzen für die Medizinforschung. Manche
Wissenschaftler studieren etwa bestimmte Umweltchemi-
kalien, die den menschlichen Stoffwechsel derart durch-
einanderbringen, dass es zu starker Gewichtszunahme
kommt. Würde sich ein solchermaßen erhöhtes Risiko für
Fettleibigkeit möglicherweise ebenfalls vererben?
In diesem Zusammenhang untersuchten Bruce Blum-
berg und seine Kollegen an der University of California in
Irvine 2013 den Nachwuchs von Mäusen, die während der
Trächtigkeit mit Tributylzinn verseuchtes Wasser getrun-
ken hatten. Die Substanz findet breite Anwendung, um
Seepocken von Schiffsrümpfen fernzuhalten. Ergebnis: Die
Jungen dieser Tiere neigten dazu, zusätzliche Fettzellen zu
bilden sowie eine Fettleber zu entwickeln. Der Effekt
überdauerte zwei weitere Generationen – was sich am


einfachsten durch eine Epimuta tion erklären lässt. Obwohl
also zweifellos Veränderungen im Lebensstil und der
Nahrungsmittelverfügbarkeit für die Zunahme an Fettlei-
bigkeit, Diabetes und weiteren Zivilisationskrankheiten
während der letzten 50 Jahre verantwortlich sind, könnten
uns solche von Vorfahren stammenden Belastungen
empfänglicher für derartige Störungen gemacht haben.
Für Länder wie die USA, in denen Kinder zwischen den
1940er und 1950er Jahren beispielsweise DDT ausgesetzt
waren, könnte ein Experiment unserer Arbeitsgruppe von
großer Bedeutung sein, bei dem wir Tieren das Insekten-
gift gespritzt hatten: Während die direkten Nachkommen
noch normal aussahen, entwickelte mehr als die Hälfte der
Urenkel Fettleibigkeit! Auch hier scheinen epigenetische
Mechanismen am Werk zu sein. Dies könnte erklären
helfen, warum der Anteil stark übergewichtiger erwachse-
ner US-Bürger in den drei Generationen seit den 1950er
Jahren dramatisch gestiegen ist und inzwischen bei mehr
als 35 Prozent liegt.
Wenn Umwelteinflüsse tatsächlich manchmal langfristi-
ge und über mehrere Generationen anhaltende Verände-
rungen in der Genaktivität bewirken, ohne die DNA-Se-
quenz zu modifizieren – dann müssen wir auch die klassi-
sche Sicht der Evolution als ein eher träges Produkt
zufälliger Mutationen, die einen Reproduktions- oder
Überlebensvorteil liefern, erweitern. Epigenetische Verer-
bung könnte sogar erklären, wa rum neue Spezies häufiger
auftauchen, als man auf Grund der höchst seltenen vorteil-
haften genetischen Mutationen erwarten würde: Epigene-
tische Veränderungen scheinen etwa 1000-mal häufiger
aufzutreten. Die wichtigste Funktion epigenetischer Mar-
ker könnte sein, die Zahl unterschiedlicher Individuen einer
Population massiv zu steigern – möglicherweise ist das
auch der Grund für ihre Existenz. Die natürliche Selektion
würde die am besten angepassten heraus picken, die dann
nicht nur ihre DNA-Sequenz, sondern auch ihr Epigenom
an die Nachkommen weitergeben.

QUELLEN
Barlow, D. P., Bartolomei, M. S.: Genomic Imprinting in Mammals.
In: Cold Spring Harbor Perspectives in Biology 6, a018382, 2014
Daxinger, L., Whitelaw, E.: Understanding Transgenerational
Epigenetic Inheritance via the Gametes in Mammals. In: Nature
Reviews Genetics 13, S. 153–162, 2012
Skinner, M. K. et al.: Epigenetic Transgenerational Actions of En-
vironmental Factors in Disease Etiology. In: Trends in Endocrinology
and Metabolism 21, S. 214–222, 2010

LITERATURTIPPS
Fischer, A.: Die Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen.
In: Spektrum Juli 2013, S. 30–
Nestler, E. J.: Verborgene Schalter im Gehirn.
In: Spektrum August 2012, S. 20–
Zwei Spektrum-Artikel, die epigenetische Einflüsse im menschlichen
Gehirn erläutern

WEBLINKS
ScientificAmerican.com/aug2014/epigenetics
Video: der Autor über epigenetische Vererbung

Wird eine Epimutation in einer


Keimbahnzelle geschützt, kann sie


erhalten bleiben und die nächste


Generation beeinflussen

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