Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

Sichtlinie der Sterne einer nach Mikrolinseneffekten durch-
musterten Nachbargalaxie zu liegen.
Um mehr Daten zu bekommen, müsste man anderswo
nach dem durch solche Phänomene vorübergehend ver-
stärkten Licht von Sternen suchen – etwa in der Androme-
da-Galaxie oder sogar bei weit entfernten Quasaren. Auf
diese Weise würde ein viel größeres Volumen galaktischer
Halos nach Anzeichen für primordiale Schwarze Löcher
durchmustert. Laut neuen Beobachtungen könnten dunkle
Objekte mit einem Zehntel bis hin zu wenigen Vielfachen
der Sonnenmasse durchaus 20 Prozent der Masse eines
typischen galaktischen Halos ausmachen. Somit spricht
einiges dafür, dass die Dunkle Materie aus einer Vielfalt
primordialer Schwarzer Löcher besteht. Zugleich würde
dieses Szenario weitere kosmische Rätsel lösen, welche
die Dunkle Materie und die Galaxienentstehung umgeben.


Cluster von primordialen Schwarzen Löchern könnten
vor allem das so genannte Problem der fehlenden Be-
gleiter aufklären – den anscheinenden Mangel an Zwerg-
galaxien, die sich um massereiche Galaxien wie unsere
Milchstraße bilden müssten. Derzeit geben Simulations-
modelle für die kosmische Verteilung der Dunklen Materie
zwar die großräumigen Strukturen des Universums richtig
wieder: Halos aus Dunkler Materie bündeln die Galaxien-
haufen zu riesigen Filamenten und Schichten, zwischen
denen große Leerräume geringerer Dichte gähnen. Doch
in kleinerem Maßstab sagen die Simulationen zahlreiche
um die massereichen Galaxien kreisende Nebenhalos aus
Dunkler Materie voraus. Jeder Nebenhalo sollte eine
Zwerggalaxie beherbergen, und Hunderte davon müssten
die Milchstraße umgeben. Die Astronomen finden aber
viel weniger Zwerggalaxien als erwartet.

Künftige Indizien für primordiale Schwarze Löcher






Entdeckung weiterer Gravitationswellen.
Detektoren wie das Advanced LIGO in den USA
und Advanced Virgo in Italien dürften immer mehr
Verschmelzungen Schwarzer Löcher aufspüren. Eine
unerwartet große Anzahl solcher Ereignisse wäre ein
Indiz für deren primordialen Ursprung, aber noch kein
Beweis dafür, dass die Dunkle Materie aus primordia-
len Schwarzen Löchern besteht. Erst die Entdeckung
eines Schwarzen Lochs mit einer Masse unterhalb der
»Chandrasekhar-Grenze« von 1,45 Sonnenmassen –
kleinere Sterne können nicht zu einem Schwarzen
Loch kollabieren – könnte belegen, dass das Objekt
nicht stellarer Herkunft ist, sondern primordial sein
muss. Das ständig verbesserte LIGO wird demnächst
fähig sein, ein solches Schwarzes Loch zu entdecken,
wenn dessen Partner mehr als zehn Sonnenmassen
besitzt. In kosmologischem Maßstab müsste eine
Vielzahl von Paaren Schwarzer Löcher zudem einen
diffusen Hintergrund von Gravitationswellen erzeugen,
den die künftige weltraumgestützte Laser Interfero-
meter Space Antenna (LISA) sowie boden gestützte
Pulsarmessanlagen nachweisen könnten.





Entdeckung weiterer leuchtschwacher
Zwerggalaxien. 2015 fanden Astronomen in
den Daten des Dark Energy Survey Dutzende leucht-
schwacher Zwerggalaxien im galaktischen Halo.
Demnach dürften Hunderte solcher Objekte, die reich
an Dunkler Materie sind, um die Milchstraße kreisen.
Wenn die Dunkle Materie aus primordialen Schwarzen
Löchern besteht, sollten die meisten von ihnen in
solchen Zwerggalaxien stecken. Künftige weltraumge-
stützte Anlagen wie die Euclid-Mission der Europäi-
schen Weltraumorganisation ESA und das Wide-Field
Infrared Survey Telescope (WFIRST) der NASA werden
vermutlich bald zahlreiche Zwerggalaxien finden.





Exakte Vermessung von Sternorten. Die
derzeit laufende Gaia-Mission der ESA misst Ort
und Geschwindigkeit von rund einer Milliarde Sternen
mit nie da gewesener Genauigkeit. Winzige Abwei-
chungen von der Bewegung benachbarter Sterne
könnten auf zahlreiche massereiche Schwarze Löcher
hinweisen.





Vermessung des neutralen kosmischen Was-
serstoffs. Vor und während der Bildung der
ersten Sterne bestand das Universum größtenteils aus
neutralem Wasserstoff, der eine charakteristische
Radiostrahlung von 21 Zentimeter Wellenlänge aus-
sendet. Ab etwa 2020 wird das Square Kilometre
Array (SKA), das größte je geplante Radioteleskop,
den gesamten Himmel nach diesem Signal durchmus-
tern. Die um primordiale Schwarze Löcher wirbelnde
Materie erzeugt intensive Röntgenstrahlen, die den
umgebenden neutralen Wasserstoff ionisieren und in
der Himmelskarte der 21-Zentimeter-Strahlung cha-
rakteristische Spuren hinterlassen. Deshalb sollte SKA
die Anwesenheit von massereichen primordialen
Schwarzen Löchern entdecken, wenn die Dunkle
Materie tatsächlich aus ihnen besteht.





Verzerrungen der kosmischen Hintergrund-
strahlung. Die Röntgenstrahlung, die von pri-
mordialen Schwarzen Löchern ausgeht, während sie
Gas und Staub verschlingen, sollte auch das Spektrum
der kosmischen Hintergrundstrahlung verzerren. Die
Bedeutung des Effekts ist noch umstritten, insbeson-
dere bei Modellen, in denen die primordialen Schwar-
zen Löcher dichte Cluster bilden. Dennoch wurde eine
NASA-Mission namens Primordial Inflation Explorer
(PIXIE) vorgeschlagen, die solche Verzerrungen genau
vermessen soll. Das Ergebnis würde dem Modell der
Autoren enge Grenzen setzen.
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