Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

spielte. Die kurzzeitige Dynamik unter Beteiligung von Um-
welteinflüssen, Überleben und Fortpflanzung liegt im
Dunkeln. Dank der laufenden und geplanten Großprojekte
an heutigen Populationen könnte sich die Situation nun
ändern. Für die Forschung bieten solche Studien Gelegen-
heit, tieferen Einblick in aktuelle Evolutionsprozesse beim
Menschen zu gewinnen als jemals zuvor.
Wie wird die menschliche Evolution in Zukunft verlau-
fen? Obwohl einzelne Bevölkerungen in den letzten Jahr-
tausenden erkennbar unterschiedliche Wege gegangen
sind, blieb die Menschheit im Ganzen dennoch letztlich
überraschend gleich. Neue, vorteilhafte Mutationen, die
sich einen Platz im Genpool erobert haben, verdrängten
die alten Genversionen in den meisten Fällen jedoch nicht
völlig. Und heute, da die Menschen räumlich viel beweg-
licher sind als früher, durchmischen sich die Populationen
weltweit in bisher ungekannter Größenordnung.
Man könnte nun erwarten, dass der zunehmende
genetische Austausch die Menschheit allmählich immer
homogener macht. Würde nicht beispielsweise das Mi-
schen all der Gene, die unabhängig voneinander zur Haut-,
Haar- und Augenfarbe beitragen, am Ende eine ziemlich


einheitliche Pigmentierung hervorbringen, etwa ein helles
Schokoladenbraun? Antwort: mit Sicherheit nicht. Denn
viele jener Ei genschaften, in denen sich die Menschenpo-
pulationen unterscheiden, addieren sich nicht einfach. In
Ländern wie den USA, Mexiko oder Brasilien mit ethnisch
gemischter Bevölkerung zeigt sich das gut. Die Menschen
dort tendieren keineswegs zu einem einheitlichen, hell-
braunen Aussehen, im Gegenteil. Man kann Personen mit
blonden Haaren, dunkler Haut und Sommersprossen
begegnen oder Leuten mit olivfarbigem Teint und grünen
Augen. Jeder zukünftige Mensch wird ein individuelles
Mosaik aus unserer Evolu tionsgeschichte sein.

Milch lebenslang


Normalerweise vertragen nur kleine Kinder Laktose
(Milchzucker). Später wird das zum Abbau im Darm
benötigte Enzym Laktase nicht mehr gebildet. Aber bei
Menschen, die Milch gebende Tiere hielten, setzten
sich in den letzten 10 000 Jahren verschiedene Mutati-
onen durch, die das Abschalten des Laktase gens

verhindern. Fünf davon haben Forscher bisher aufge-
spürt, doch dürfte es noch mehr geben.
Die roten Punkte in der Weltkarte zeigen Orte, an
denen die Daten erhoben wurden. Je tiefer das
Blau, desto höher der Anteil der Bevölkerung, der
Milchzucker verträgt.

Die heute häufigste
Mutation trat vor
etwa 7500 Jahren
irgendwo zwischen
Zentraleuropa und
dem nördlichen
Balkan auf.

Südlich der Sahara
fanden mindestens drei
Mutationen für eine
Laktasepersistenz statt.
Eine davon hat sich in
den letzten 7000 Jahren
rasch auf dem Konti-
nent verbreitet.

Die ersten Milchbauern
gab es vor etwa 8000
bis 10 000 Jahren im
Nahen Osten und in
Nordafrika. Sie züch-
teten vor allem Schafe,
Ziegen und Rinder.
Aber mindestens eine
heute verbreitete Mu-
tation am Laktasegen
dürfte in Arabien bei
Kamelhirten entstan-
den sein.

prozentualer Anteil von Laktosetoleranz

10 10 20 30 20 30 4040 50 50 60 70 80 90 60 70 80 90
XNR PRODUCTIONS, NACH: GLOBAL LACTASE PERSISTANCE ASSOCIATION DATABASE (GLAD) / SCIENTIFIC AMERICAN SEPTEMBER 2014

LITERATURTIPPS
Evolution. Wie sie die Geschichte des Lebens geformt hat. Spektrum
der Wissenschaft Spezial Biologie, Medizin, Hirnforschung 1/
Mit Beiträgen zur Evolutionstheorie sowie zum Evolutionsverständnis
von Krebs
Der Menschen-Code. Wie uns die Gene prägen. Spektrum der Wis-
senschaft Spezial Biologie, Medizin, Kultur 4/
Die Artikel behandeln unter anderem die Evolutionsgeschichte von
Krankheiten und die medizinische Genetik.
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