Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

nale Nische leert und dann mit Stammzellen einer anderen
Spezies auffüllt. Nachdem es bereits 2010 einem Team um
Hiromitsu Nakauchi (damals an der University of Tokyo)
gelungen war, eine Maus mit einer Rattenbauchspeichel­
drüse zu züchten, ist es kürzlich meinen Mitarbeitern und
mir geglückt, Mäuseembryonen genetisch so zu verän­
dern, dass sie Augen aus Rattenstammzellen ausprägen.


Schritt halten mit dem Entwicklungstempo
Da Mäuse nicht groß genug werden, um menschliche
Organe auszubilden, konzentrieren wir uns inzwischen auf
die Zucht von Schweineembryonen. Schweine und ihre
Organe können zu nahezu jeder Größe heranwachsen, die
Transplantationschirurgen für medizinische Zwecke benö­
tigen. Außerdem tragen die Tiere ihren Nachwuchs deut­
lich länger aus als Mäuse: knapp vier Monate gegenüber
etwa 20 Tagen. Allerdings klafft hier immer noch eine
Lücke zu menschlichen Embryonen, die sich erst nach
neun Monaten voll entwickelt haben. Deshalb müssen wir
uns ein paar biochemische Tricks ausdenken, um die
inneren Uhren menschlicher Stammzellen so zu beschleu­
nigen, dass sie sich im gleichen Tempo wie ihr tierischer
Wirt ausdifferenzieren. Das dürfte bei Schweinen jedoch
wesentlich leichter zu bewerkstelligen sein als bei Mäusen
mit einer viel kürzeren Tragezeit.
Momentan konzentrieren wir uns darauf, menschliche
Bauchspeicheldrüsen und Nieren in tierischen Embryonen


heranwachsen zu lassen, da ihre Entwicklung von einem
einzelnen Gen angestoßen wird und entsprechend leicht
zu kontrollieren ist. Die Differenzierung von anderen Orga­
nen wie dem Herzen dürfte dagegen von mehreren Genen
initiiert werden. Somit müssen wir zum Leeren ihrer Ni­
sche mehr als ein Gen ausschalten, was wesentlich kom­
plizierter ist. Kürzlich hat allerdings ein Team um George
Church von der Harvard University das CRISPR/Cas­Sys­
tem (siehe Spektrum September 2015, S. 22) so modifiziert,
dass man damit mehrere Erbanlagen gleichzeitig entfer­
nen kann, die sich an unterschiedlichen Stellen der DNA
des Embryos befinden. Das Handwerkszeug, um an­
spruchsvollere genetische Manipulationen vorzunehmen
und so beispielsweise Herzen in Fremdorganismen zu
züchten, existiert also bereits.
Als größeres Problem hat es sich erwiesen, sicherzu­
stellen, dass sich die verpflanzten humanen Stammzellen
in jeden Gewebetyp ausdifferenzieren können. Ideal wären
hier menschliche embryonale Stammzellen (ES) aus über­
zähligen Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen


anfallen. Doch die Verwendung solcher Zellen ist bekannt­
lich hoch umstritten.
Im zurückliegenden Jahrzehnt sind Forschern mehrere
technische Fortschritte gelungen, die das Dilemma auf den
ersten Blick zu lösen scheinen. Die Wissenschaftler fanden
heraus, wie man ausdifferenzierte Zellen aus der Haut oder
dem Darm erwachsener Menschen dazu bringt, sich wieder
in eine Art Stammzelle zu verwandeln, eine so genannte
induzierte pluripotente Stammzelle (iPSC). Mit menschli­
chen iPSC zu arbeiten statt mit ES, wäre aus ethischer Sicht
sicherlich nicht so heikel. Außerdem böte es den Vorteil,
Organe züchten zu können, die genetisch und immunolo­
gisch zu denen des jeweiligen Patienten passen.
Umfassendere Studien mit menschlichen iPSC haben
allerdings ergeben, dass diese nicht in chimären Embryo­
nen überleben können. Sie sind auf dem Differenzierungs­
pfad bereits so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr
auf die biochemischen Signale reagieren, mit denen der
Embryo ihnen die Entwicklungsrichtung vorgibt. Daher
stößt der Embryo sie als Fremdkörper ab.
Kürzlich hat mein Mitarbeiter Jun Wu damit begonnen,
menschliche iPSC mit bestimmten Kombinationen von
Wachstumsfaktoren zu behandeln, was einige Zellen dazu
bringt, auf ein breiteres Spektrum embryonaler Signale
korrekt zu reagieren. Vorläufigen Ergebnissen meines
Teams zufolge können sich die so behandelten iPSC in
Schweineblastozysten einfügen. Wir haben das Wachstum
solcher experimentell erzeugter Embyonen zu verschiede­
nen Zeiten gestoppt und sie unter dem Mikroskop unter­
sucht, um zu überprüfen, wie gut sich Wirts­ und Spender­
zellen vermischt hatten. Als Nächstes möchten wir den
Embryonen erlauben, sich bis zu einem Alter von sechs
Wochen zu entwickeln, wenn die Organanlagen zu erken­
nen sind. Zu diesem Zeitpunkt beginnen sich die Vorläufer
der späteren Gewebe und Organe herauszubilden.
Auch wenn wir es schaffen, humane iPSC zu erzeugen,
die sich vollständig in Schweineembryonen integrieren,
sind wir noch nicht am Ziel. Menschen und Schweine sind
evolutionär nicht so eng miteinander verwandt wie Mäuse
und Ratten, aus deren Zellen sich erwiesenermaßen
Chimären züchten lassen. Es könnte sich herausstellen,
dass menschliche iPSC nicht mehr auf sämtliche bioche­
mischen Signale von Schweineembryonen reagieren
können. Wenn wir keine Möglichkeit finden, dieses Prob­
lem biochemisch zu umgehen, müssen wir möglicherwei­
se auf eine andere Spezies ausweichen, etwa Rinder.

Unter behördlicher Aufsicht
Bereits 2012 diskutierte ich diese und andere Bedenken
mit meinem Kollegen Josep Maria Campistol, der als
Generaldirektor an der Hospital Clínic de Barcelona arbei­
tet und ein weltweit renommierter Spezialist für Organ­
transplantationen ist. Er sagte zu mir: »Die einzige Mög­
lichkeit herauszufinden, ob humane iPSC Speziesgrenzen
überwinden und menschliche Organe in Schweinen her­
vorbringen können, besteht darin, die Ärmel hochzukrem­
peln und es zu versuchen.«
Campistols Äußerung brachte mich auf Trab. Mir war
allerdings klar, dass mein Team dieses Mammutprojekt

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