eigenem Belieben zu wählen, sondern darum, eine Mittei-
lung polieren zu können.
Die Menschheit verdankt ihren Aufstieg unter ande
rem dem Leben in Gruppen. Es förderte die Chancen
des Einzelnen. Wird der Trend zum OnlineDasein
diese Vorteile nun untergraben?
Das ist tatsächlich die entscheidende Frage – ob wir
unseren Konkurrenzvorteil zunichtemachen oder ob wir
ihn erweitern. Viele meiner Kollegen glauben Letzteres.
Das Internet hält ja neue Möglichkeiten bereit, zusammen-
zukommen und Beziehungen aufzubauen. Allerdings
glaube ich, wir stehen an einem Wendepunkt. Im virtu-
ellen Rausch haben wir den Bezug zum wirklichen Leben
verloren. Wir müssen zwischen der Verführungskraft des
Virtuellen und dem realen Leben in unserem Körper und
auf diesem Planeten balancieren.
Ihre Kritiker sagen, es gäbe keinen Anlass zur Sorge,
weil die »neue Technologie« nicht wirklich neue
Verhält nisse schafft. Das Gleiche hätten wir schon
mit dem Fernsehen erlebt – klassisches Beispiel:
Der Fernseher hütet die Kinder, dann muss man
nicht selbst auf sie aufpassen.
Zunächst einmal kann Fernsehen durchaus ein Gruppener-
lebnis sein. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der
alle zusammen vor dem Fernseher saßen. Wir stritten uns,
welches Programm wir sehen wollten, und haben auch
über Sendungen geredet. Das gibt es natürlich nicht, wenn
sich jeder in seinem Zimmer sein eigenes Programm zu-
sammenstellt. Eine Technologie, die immer mit dabei ist,
wirklich stets angeschaltet bei einem – das ist ein großer
Sprung. Ich gebe zu, solche grundlegenden Veränderungen
gab es auch früher schon, etwa das Buch. Der Unterschied
ist aber: Wenn etwas immer bei mir ist, heißt das, ich habe
keine Wahl mehr.
Sie meinen, Fernsehen kann man ausschalten
und dann trotzdem funktionieren?
Ohne Handy und E-Mails kann ich meinen Beruf und mein
Privatleben nicht mehr führen. Meine Studenten kommen
ohne diese Hilfsmittel nicht einmal an den Lehrplan heran.
Aus der Welt dieser Technologie können wir uns nicht aus-
klinken. Ich frage aber, wie sich solch ein Leben sinnvoller
einrichten lässt, bei dem etwas immer angeschaltet und
ganz mit dabei ist. Lange wird es ja nicht mehr dauern, bis
man das im Ohr, an der Jacke oder in der Brille trägt ...
Wie sollten wir also damit umgehen?
Es werden sich Gepflogenheiten herausbilden, wie man
das handhabt. Ich denke, hierbei werden Unternehmen
mitwirken, weil sie merken, dass Menschen das ständige
Vernetztsein nicht gut vertragen. Auch die Umgangs-
formen müssen einbezogen werden: Mittlerweile machen
sich Leute ja schon Sorgen, wenn jemand auf eine Nach-
richt nach spätestens 24 Stunden noch nicht geantwortet
hat. Warum bloß? Ich glaube, diese Erwartung, immer
erreichbar zu sein und immer reagieren zu müssen, wird
sich ändern.
Wo könnte man anfangen? Haben Sie schon Ideen?
Eine wäre, dass es geschützte Bereiche geben sollte: etwa
das gemeinsame Abendessen, das Auto. Solche Tabu-
räume könnten Ort für Gespräche sein. Die wirken als
Gegengift gegen viele der von mir angeführten Erschei-
nungen. Sich mit den Kindern zu unterhalten, mit der
Familie, mit anderen Leuten, hilft, dass jene unerwünsch-
ten Folgen nicht überhandnehmen.
Sollten wir auch Sinn und Zweck der Technologien
stärker erörtern?
Also, ich bin keine Gegnerin dieser Technologien. Mein
Anliegen ist vielmehr, dem Miteinandersprechen und dem
menschlichen Geist mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Letztlich impliziert dies, die vorherrschende Kultur des Mehr,
Besser, Schneller zu hinterfragen. Wir müssen uns stark
machen für das, was das eigene Denken und die eigene
Entwicklung unterstützt und was dem Verhältnis zu un-
seren Kindern, Lebenspartnern und dem weiteren sozialen
Umfeld guttut. Was die Roboter angeht, so werden die
Menschen hoffentlich begreifen, dass wir in Wahrheit von
uns selbst enttäuscht sind. Mich macht das richtig wü-
tend. Letztlich wollen wir damit ja anderen keine Gespräche
und keine Gesellschaft mehr bieten. Das ist die wahre
Rechtfertigung für die Unterhaltung mit einem Roboter,
von dem man genau weiß, dass er von der »Unterhaltung«
kein einziges Wort versteht. Wir lassen einander im Stich.
Es geht nicht um die Roboter, sondern um uns.
Wer wird den Zug anhalten,
in dem wir sitzen?
Vorsichtig optimistisch stimmen mich vor allem jene
jungen Menschen, die mit dieser Technologie aufgewach-
sen sind, sich davon aber nicht völlig vereinnahmen las-
sen – die sagen: »Moment mal!« Sie merken, wie derglei-
chen das Leben in der Schule und mit den Eltern stört.
Ich könnte viele Beispiele nennen, wo ein Kind mit Vater
oder Mutter redet, ein Thema aufkommt und der Erwach-
sene es sofort online recherchiert, doch das Kind protes-
tiert: »Lass das, Papa, nicht googeln, ich will doch nur mit
dir reden.« Im Park beobachte ich, wie Kinder oben vom
Spielturm rufen: »Mama, guck mal!« Aber die Mama
guckt auf ihr Handy und reagiert nicht. Fünf- und Achtjäh-
rige wehren sich, wenn sie so ignoriert werden. Und mit
13 oder 15 Jahren werden diese Kinder nachdenklich.
Wenn ich sie befrage, sagen sie: »So wie das bei mir war,
möchte ich meine Kinder nicht großziehen.« Sie wollen
Regeln aufstellen, beispielsweise kein Handy am Esstisch.
Ich erkenne auch, dass sich für diese Kids manches an
den Technologien wie Arbeit anfühlt – dass man etwa sein
Facebook-Profil ständig auf dem neuesten Stand halten
muss. Meines Erachtens kann es sehr gut sein, dass die
Kinder uns den Weg zeigen werden. Sie erkennen den
Preis, den wir zahlen. Sie denken: »Ich muss auf diese
Technik nicht verzichten, aber ich könnte vielleicht etwas
klüger damit umgehen.«
Die Fragen stellte Mark Fischetti, Redakteur
bei »Scientific American«.