Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1
Welten gibt: tote, belebte und durch Intelligenz geprägte.
Natürlich kann man nicht ausschließen, dass unser Planet
der einzige mit vernunftbegabten Wesen im gesamten
Kosmos ist. Falls dem so wäre, würden unsere Entschei­
dungen nicht nur das Wohlergehen allen künftigen Lebens
auf der Erde beeinflussen, sondern auch das Schicksal
allen Lebens im Universum, das sich seiner selbst bewusst
ist. Das wäre in der Tat eine ziemlich große Verantwortung.
Ein Blick in die Geschichte lässt hoffen, dass wir es
schaffen werden. Der Mensch zeichnete sich von Anfang
an durch seine Fähigkeit aus, existenzielle Bedrohungen zu
bewältigen. Vor etwa 75 000 Jahren passierten unsere
Vorfahren einen genetischen Flaschenhals: Damals
schrumpfte die Menschheit so stark zusammen, dass sie
kurz vor dem Aussterben stand – vermutlich infolge eines
vulkanischen Winters. Bereits vor 160 000 bis 200 000
Jahren hatte eine verheerende Vereisung unsere Ahnen
beinahe vollständig ausgelöscht. Was ist das Geheimnis
der menschlichen Anpassungs­ und Überlebensfähigkeit?
Wahrscheinlich unser Sprachgebrauch, der es uns ermög­
licht, neue Formen der sozialen Kooperation zu entwickeln.
Jetzt ringen wir darum, das heraufdämmernde Anthro­
pozän zu überstehen. Ob uns das gelingt, ist offen. Wenn
wir uns jedoch behaupten, dann könnten wir lernen, als
erste planend schöpferische Instanz der Erdgeschichte die
irdische Biosphäre beinahe unbegrenzt zu bewahren.
Langfristig könnten wir uns so als eines der besten Dinge
erweisen, die dem System Erde je widerfahren sind.

oder sogar noch drastischer ausfallen als jene der Kriege,
Revolutionen und Hungersnöte im 20. Jahrhundert.
Der anthropogene Klimawandel führt uns vor Augen,
dass unser Handeln über die Zukunft der Erde entscheidet –
ob wir das wollen oder nicht. Aber er ist nicht die einzige
große Herausforderung, der wir uns stellen müssen. In den
kommenden Jahrhunderten werden wir effektive Abwehr­
systeme gegen Asteroiden und Kometen entwickeln müs­
sen. Schon ein viel kleineres Objekt als der Zehn­Kilometer­
Brocken, der den Dinosauriern den Rest gab, könnte die
menschliche Zivilisation vernichten. In naher Zukunft wer­
den wir die meisten potenziell gefährlichen Asteroiden
katalogisiert haben, welche die Erdbahn kreuzen, was uns
Prognosesicherheit verschafft. Ein Komet jedoch kann
jederzeit ohne Vorwarnung vom Rand des Sonnensystems
heranschießen. Wir sollten darauf vorbereitet sein, einen
solchen Eindringling von uns wegzulenken.
Langfristig, auf Zeitskalen von zehntausenden Jahren,
müssen wir lernen, mit natürlichen Klimaveränderungen
umzugehen, gegen die der anthropogene Klimawandel
harmlos erscheint. Die Zivilisation ist in einem Zeitfenster
entstanden, das im Grunde einen 10 000 Jahre langen Som­
mer darstellte – eine Periode ungewöhnlich warmen und
stabilen Klimas. Sie wird nicht ewig anhalten, es sei denn,
wir sorgen dafür. Über Jahrzehntausende bis Jahrmillionen
hinweg durchläuft unser Planet immer wieder Zyklen von
Vereisung und Erwärmung. Eine neue Kaltzeit würde un ­
sere Landwirtschaft und damit die Zivilisation zum größten
Teil vernichten und zugleich zahllose Arten aussterben
lassen. Eines Tages könnten wir auf Geoengineering ange­
wiesen sein, um die Erde künstlich zu kühlen oder zu
erwärmen, damit das Sapiezoikum nicht endet.
Geoengineering ist unumstritten ein Reizthema, doch
die gegenwärtigen Debatten darüber drehen sich um
verzweifelte Kurzzeitmaßnahmen, die uns aus der selbst
verschuldeten Klimafalle retten sollen. Angesichts unseres
noch äußerst mangelhaften Verständnisses der Klimakom­
plexität liegt es auf der Hand, dass ein solcher Aktionismus
extrem riskant wäre. Wir müssen das System Erde sehr
viel besser verstehen, um solide einschätzen zu können,
wann und wie es auf natürliche Klimatrends oder allmäh­
liche Veränderungen unseres Zentralgestirns reagiert.
Bei Sternen wie der Sonne nimmt die Leuchtkraft mit
dem Alter stetig zu. In einigen Milliarden Jahren wird es
deshalb auf der Erde so heiß werden, dass die Ozeane
verdampfen, wie es auf der Venus bereits vor Jahrmilliar­
den geschah. Zum Glück liegt das noch weit, weit in der
Zukunft. Sollte es unseren Nachfahren gelingen, die exis­
tenziellen Herausforderungen der kommenden Jahrhun­
derte und Jahrtausende zu meistern, bleibt ihnen mehr als
genug Zeit, das Problem anzugehen. Vielleicht finden sie
einen Weg, die Sonne zu verjüngen, die Erde in eine
größere Umlaufbahn zu katapultieren oder sie zum Teil
abzuschatten. Möglicherweise entschließen sie sich auch
dazu, in ein anderes Planetensystem auszuwandern.
Intelligenz konnte auf der Erde zu einem entscheidenden
Faktor werden. Es gibt keinen plausiblen Grund, anzuneh­
men, dass das nur auf unserem Planeten möglich ist. Eines
Tages finden wir vielleicht heraus, dass es drei Arten von


AUF EINEN BLICK
WIR HABEN ES IN DER HAND

1


Das Anthropozän – der Zeitabschnitt, in dem der
Mensch die Erdgeschichte prägt – hat nach Ansicht
zahlreicher Forscher begonnen. Die Frage ist, wie
lange es andauern wird.

2


Wenn wir nicht aussterben wollen, müssen wir exis­
tenzielle Herausforderungen bewäl tigen: das Bevölke­
rungswachstum, Ressourcenknappheit, Klimaver än­
derungen, die Gefahr von Meteoriteneinschlägen.

3


Das Anthropozän könnte einen neuen Äon einläuten –
das »Sapiezoikum«, in dem kollektive Intelligenz das
System Erde stabilisiert und die Biosphäre sich mögli­
cherweise in den Kosmos ausdehnt.

QUELLEN

Bostrom, N., Circovic, M. M. (Hg.): Global Catastrophic Risks.
Oxford University Press, Oxford 2008

Grinspoon, D.: Lonely Planets: The Natural Philosophy of Alien Life.
Ecco Press, New York 2003

Waters, C. N. et al.: The Anthropocene Is Functionally and Strati­
graphically Distinct from the Holocene. In: Science 351, aad2622,
2016
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