Der Spiegel - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

KULTUR


116 DER SPIEGELNr. 18 / 30.4.2022


D


as Imperial i110 mit TFT-Farbdisplay
und UPnP/DLNA-Kompatibilität gibt’s
bei Conrad Electronic in Mannheim für
87,99 Euro. Mit engelsgleicher Geduld wird
dort dem Ahnungslosen – also mir – auch
erklärt, was es mit den Kürzeln auf sich hat.
Und ob ich UPnP oder DLNA überhaupt
brauche. Im Internet aber wird das gleiche
Internetradio für 74,89 Euro angeboten. Da
kann der stationäre Handel nicht mithalten.
Auf dem TFT-Farbdisplay des Imperial i110
in der Filiale steht: »Update fehlgeschlagen.
Bitte starten Sie das Gerät neu und wieder-
holen Sie den Vorgang.«
Die bundesweite Kette Conrad Electronic,
gegründet 1923 von Max Conrad in Berlin,
bemüht sich nun ebenfalls um ein Update.
Das Familienunternehmen startet sein Ge-
schäft neu und wiederholt den Vorgang, im
Internet und vor allem bei Geschäftskunden
Fuß zu fassen. Conrad macht deshalb den
Laden dicht, fast. Übrig von den zehn Filialen
bleibt für Privatkunden nur die Dependance
im oberpfälzischen Wernberg-Köblitz. Und
das ist ein Verlust.
Nicht nur weil die Läden abseits des Inter-
nets Orte für Hochspezialisten waren und für
Nerds, weil es in den Filialen eine Ecke für
Musiker gab, mit Kabeln in allen Größen
für E-Gitarren, und eine Ecke für Freunde


der Modelleisenbahn, mit künstlichen Mini-
büschen. Es gab sogar eine Ecke für Men-
schen, die Armbanduhren tragen und diese
auch pflegen, mit Gehäuseöffnern und Feder-
stegbesteck.
In einem Buchladen in Berlin ist es mir
einmal unterlaufen, den Namen des rumäni-
schen Aphoristikers E. M. Cioran in der Spra-
che auszusprechen, in der er auch geschrieben
hat. Ssioran, wie im Französischen. Nie wer-
de ich das demütigende »Tschorran! Das heißt
Tschorran!« vergessen, mit dem der Buch-
händler mich abkanzelte.
Bei Conrad konnte einem so etwas nie
passieren.
Ich beispielsweise suche heute »so ein
Ding, das ich auf den Bildschirm von meinem
Laptop legen kann, damit Leute, die im Zug
neben mir sitzen, nicht lesen können, was
ich gerade schreibe, gibt’s so was«? Mit
seinem Pferdeschwanz sieht der Verkäufer
ein wenig aus wie der Typ vom Comicladen
bei den »Simpsons«. Er nickt ernst und
stellt fest, dass ich eine Privacy-Folie suche.
Gibt’s, müsse er bestellen, brauche aber die
ge nauen Maße meines Laptops. Sonst noch
etwas?
Tja, also, in meiner Holzhütte im Wald
habe ich trotz LTE-Antenne manchmal Inter-
net, meistens aber nicht. Warum? Und da

erläutert er mir die Unterschiede zwischen
Richtantenne und Rundstrahlantenne. Setzt
mich überdies in Kenntnis darüber, dass der
Leistungspegel in »Dezibel Milliwatt« gemes-
sen werde, dass »minus 113 dBm« schlechter
seien als »minus 93 dBm« und meine Werte
also leider hoffnungslos niedrig. Könne man
nichts machen, könne man auch nichts be-
stellen: »Tut mir voll leid!«
Hinweise immerhin, für die ich schon Stun-
den vergebens in der Warteschleife der Tele-
kom verbracht habe. Gern würde ich mich
bei dem Verkäufer bedanken, aber der wird
schon vom nächsten Ratsuchenden in Be-
schlag genommen. Volle fünf Minuten medi-
tiere ich dann vor den Regalen mit LNBs und
BK-Verstärkern – ohne zu begreifen, was das
ist und wozu es dient. Ein Wackeldackel
(32,99 Euro) schaut mir dabei zu. Aus den
Lautsprechern klingt »A Kind of Magic« von
Queen, und das passt zum neonhellen Zauber
dieser besonderen, nie schmuddeligen, immer
schmucklosen Läden.
Was hier – noch – gewährleistet wird: nicht
weniger als die analoge Grundversorgung der
Bastlerrepublik. Zwischen Dioden, Kabeln
und Koaxialkupplungen sind wohl ganze Ge-
nerationen künftiger Elektriker, Maschinen-
bauer und Ingenieure initiiert worden.
Ein Kunde von Conrad wäre jedenfalls be-
leidigt, spräche man ihn als klassischen »End-
verbraucher« an. Zwar finden sich auch hier
jene vollversiegelten Produkte, die unter gar
keinen Umständen geöffnet werden dürfen,
weil sonst die Garantie erlischt. In erster Linie
aber gibt es hier die Spezialzangen, Schraub-
köpfe oder Pinzetten, um ins Innere der Ge-
räte vorzudringen – und dazu die Lötkolben,
Drähte oder Platinen, um dort eigenhändig
Reparaturen vorzunehmen.
Die Tugend aller Tüftler, das Instandset-
zen, wird in diesen Läden noch gefördert. Wo
sonst begegnet dem uneingeweihten Flaneur
heute noch regalmeterweise Rätselhaftes? Wo
Schrumpfschlauch und Durchgangsdose ange-
boten werden, Querlochstecker und Pendel-
zugautomatik, dort kann von einem Einkaufs-
erlebnis im Sinne des modernen Einzelhandels
keine Rede sein.
Dabei gibt es bei Conrad vermutlich alles,
mit dem sich nach einem Weltuntergang die
Zivilisation wiederherstellen ließe, notfalls in
einem 3-D-Drucker mit beheizbarem Druck-
bett und professionellem Dual-Extruder für
6385 Euro. Das Gerät gibt es »im Internet«
bestimmt auch günstiger.
Ganz bei sich ist Conrad aber sowieso am
anderen Ende der Skala. In transparenten
Plastikbehältern werden »viele tolle Teile für
kleines Geld« angeboten. Möglicherweise
Widerstände, Schaltlitzen, Spiralkabel, Dreh-
regler, Kondensatoren. Verkauft wird das
kleinteilige Überraschungspaket als »Elektro-
nische Wundertüte« ab 2,50 Euro.
Mit ihrer Hilfe ließe sich, mit ein wenig
Geduld, eines Tages vielleicht sogar ein Im-
perial i110 zusammenschrauben.
Arno Frank n

Neonheller Zauber


TÜFTELN Im Buchladen wird gedemütigt, wer Namen rumänischer


Autoren falsch ausspricht – bei Conrad Electronic aber wurde


Herrschaftswissen stets großzügig geteilt. Bald schließt die Kette fast


alle Filialen. Ein Abschied von einem Stück deutscher Technik-Kultur.


Conrad-Werbung an einer Filiale: Meditation vor Regalen mit LNBs


Andreas Haas / IMAGO
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