Focus - ALE (2022-04-30)

(EriveltonMoraes) #1

Fotos:


Lionel Bonaventure/Getty Images, Romain Garcin, Sofiane Pamart (4)


FOCUS 18/2022 77

besteht aus seinem riesigen Konterfei,
aus den Augen schießen Laser.
„Marketing gehört dazu“, sagt er.
„Man erzählt seine eigene Geschichte.
So kontrolliert man, wie man dargestellt
wird.“ Zeit für eine Beziehung habe er
keine: „Meine Karriere geht vor. Ich bin
der perfekte Partner für ein Abenteuer.
Aber meine wichtigste Beziehung ist die
zu meinem Publikum. Von ihm bekomme
ich so viel Liebe.“
Der selbst ernannte Piano King wähnt
sich als Anführer einer „Piano-Revoluti-
on“, die sein Instrument neuen Schichten
zugänglich machen will. In Interviews
verkündet er regelmäßig, sein Ziel sei es,
„die Nummer eins unter den Pianisten der
Welt“ zu werden. „Bach, Mozart, Beet-
hoven, würden sie heute leben, wären sie
meine Freunde. Wir würden zusammen
einen rauchen und Spaß haben.“
Von derlei Vermessenheit kann man
sich hingerissen oder abgestoßen fühlen.
Doch letztlich stimmt es: Sofiane Pamart
bringt klassische Musik einem Publikum
näher, das bislang eher unverdächtig war,
Klavierstücken in der Tradition Chopins
zu lauschen. Zu seinen Konzerten kom-
men Menschen aller Altersklassen und
sozialen Schichten. Viele haben über den
Hip-Hop zu seiner filigranen Klaviermu-
sik gefunden. Und war die Welt nicht

schon immer fasziniert von Narzissten,
die mit ungebrochenem Sendungsbe-
wusstsein den Superstar verkörpern?
Pamart stellt derweil unter Beweis, wie
geschickt er es versteht, seine Bekannt-
heit in Bares umzuwandeln. Ende vergan-
genen Jahres legte er eine Serie digitaler
Sammelkarten (NFTs) auf. Diese „Non-
Fungible Tokens“ sind der neueste Hype
der Kryptoszene. Wie auf der zugehöri-
gen Webseite zu lesen ist, erhalten Käufer
mit den Rechten an Pamarts Konterfei
wahlweise „privilegierte Informationen
zu Sofianes Kreativleben“, „die Möglich-
keit, Briefe vom König zu empfangen“
oder noch einzuheimsende Gold- und
Platinplatten. Finanziert werden sollen
mit den Einnahmen künftige Kollabora-
tionen (Rihanna!) oder Musikvideos (im
All!!!). Ziel sei es, Sofiane „legendär“ zu
machen. Rund eine Million Euro haben
die digitalen Objekte bereits umgesetzt.
Kaum zuvor hat es ein Künstler verstan-
den, die Wertschöpfung seiner Marke der-
art zu perfektionieren. Sofiane Pamart ist
der Prototyp einer neuen Gattung Star.
„Sofiane ist clever und konzentriert sich
auf seine beruflichen Ambitionen“, sagt
sein Manager, der französische Produzent
Guillaume Héritier. „Er ist ein Unterneh-
mer, kümmert sich um sein globales Bran-
ding. Seine Denkweise ist ultramodern,
sowohl was seine Musik als auch was seine
Karriere angeht.“ Bei aller Widersprüch-
lichkeit gibt es eine Konstante: „Ich habe
nur vier Jahre meines Lebens kein Klavier
gespielt“, sagt Pamart. „Es ist eine Sucht.
Ich wette: Mit achtzig werde ich noch
immer Piano spielen.“ Dann, so Pamart,
wolle er so berühmt sein wie sein Instru-
ment. „Jeder weiß, was ein Piano ist. Und
wer an ein Piano denkt, der soll im selben
Moment auch an mich denken.“ n

Seine Karriere begann Pamart im Schat-
ten französischer Hip-Hop-Granden. Er
war der Pianist, den Rapper anriefen,
wenn sie ihren Stücken einen Touch Me -
lancholie verleihen wollten. Irgendwann
hatte er mit nahezu jedem Rapmusiker
Frankreichs zusammengearbeitet, zwei
Gold-Singles komponiert und mit dem
Belgier Scylla ein Album mit Klaviermu-
sik und Sprachgesang aufgenommen.

Weltmeister der Vermessenheit
2019 erschien Pamarts erstes Soloalbum
„Planet“. Eine musikalische Weltreise
zwischen Klassik und Jazz, die er Ende
2020 mit „Planet Gold“ um sechs Songs
erweiterte. 2021 spielte er ein Album mit
dem belgischen Rockgranden Arno ein,
war für die Aufnahmen zu „Letter“ im
Studio und absolvierte Dutzende Solo-
auftritte. Ferner arbeitete er mit diversen
Hip-Hop- und Elektrokünstlern zusam-
men und reiste für die Cercle-Show nach
Finnland. In zwei Jahren habe er mehr als
hundert Songs komponiert, sagt Pamart.
Er ist zu gleichen Teilen Musiker, Kunst-
figur und Unternehmer. Mit Universal
handelte er einen Co-Publishing-Vertrag
aus, der seine Rechte als Künstler stärkt –
eine Seltenheit im Musikbetrieb.
Die Klaviatur der Medien bespielt Pa-
mart ebenso meisterhaft wie sein Instru-
ment, an seinem Look tüftelt er mindes-
tens so besessen wie an seinen Kompo-
sitionen. Den biederen Dresscode des
Konzertsaals ersetzt er durch einen ex-
zentrischen Mix aus High-End-Fashion
und Streetstyle, die Bühnendekoration

Selbsterhebung
Der Piano King
lässt es funkeln

Selbstbewusstsein
Sanfte Musik,
gewaltige Show:
Pamart und sein
klassikuntypi-
sches Publikum

MUSIK
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