KULTUR
Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 113
Kriegstraumata meines Vaters haut-
nah miterlebt. Wie er da gebrochen
und mit Granatsplittern im Bein aus
dem Zweiten Weltkrieg zurückkam –
grauenvoll, Krieg ist immer grauen-
voll. Aber nicht nur der in der Ukrai-
ne, sondern auch der im Jemen, Syrien
oder Afghanistan.
SPIEGEL: Würden Sie Deutschland
verteidigen?
Westernhagen: Nicht einen Zenti-
meter. Ich liebe Deutschland, aber
Pa triotismus ist mir völlig fremd. Ich
habe Putin ja mal getroffen. Da habe
ich schon diese Gefährlichkeit, die
von ihm ausging, gespürt. Das klingt
jetzt vielleicht seltsam. Aber ich spü-
re so was.
SPIEGEL: In welchem Zusammenhang
haben Sie Putin getroffen?
Westernhagen: Auf dem 60. Geburts-
tag von Gerhard Schröder in Hanno-
ver. Da war Putin mit seiner Frau und
wurde mir vorgestellt. Ansonsten
waren da vor allem hochrangige Wirt-
schaftsbosse.
SPIEGEL: Sie verabscheuen Gier und
den Turbokapitalismus, aber stehen
mit Wirtschaftsbossen und den Putins
auf dem Geburtstag von Gerhard
Schröder herum. Das passt doch nicht
zusammen.
Westernhagen: Ich finde schon. Ich
gehe gern irgendwohin und schaue
mir das an. Ich war damals auch mal
auf einem Dinner von Axel Springer
eingeladen und bin hingegangen, ob-
wohl viele meinten: Mach das bloß
nicht. Aber das ist doch hochinteres-
sant! Sich anzusehen, wie sich diese
Menschen verhalten.
SPIEGEL: Was lernt man dabei?
Westernhagen: Man lernt etwas über
Macht, denn das sind natürlich alles
Machtmenschen. Und Macht und
Geld korrumpieren. Auch das hat
man dann ja bei Schröder gesehen.
SPIEGEL: Sind Sie noch mit Gerhard
Schröder befreundet?
Westernhagen: Nein. Ich sah ihn
manchmal beim Fußball, man nickte
sich freundlich zu. Mehr nicht.
SPIEGEL: Ist der Song »Spieglein,
Spieglein an der Wand« auf Ihrem
neuen Album an Gerhard Schröder
gerichtet? Sie fragen darin: »Wer ist
der Mächtigste im ganzen Land?«,
und singen: »Du wolltest mal die Welt
verändern, und als dir das nicht mehr
gereicht hat, das hat dir wohl den
Kopf verdreht.«
Westernhagen: Das Lied könnte an
jeden Autokraten auf der Welt gerich-
tet sein.
SPIEGEL: Was fanden Sie an Gerhard
Schröder eigentlich so faszinierend?
Westernhagen: Ich fand es schon im-
mer erstrebenswert, mich nicht nur
mit Musikern zu umgeben, sondern
auch mit Menschen, mit denen man
sich über Politik unterhalten kann.
Und da war Gerhard natürlich eine
hochinteressante, sehr kluge und cha-
rismatische Figur. Ich habe ihn wirk-
lich für vieles bewundert, auch für die
Art, wie er Dinge durchgezogen hat,
an die sich kein Bundeskanzler seit
Adenauer herangetraut hat.
SPIEGEL: Aber Schröder hat auch sehr
viel zerstört. Zum Beispiel beinahe
seine eigene Partei.
Westernhagen: Das stimmt. Aber er
war trotzdem mutiger als Merkel, die
hat immer innenpolitisch alles nur
ausgesessen. Das hat sie sich von Kohl
abgeschaut. Von Gerhard habe ich viel
über Politik gelernt und wie sie früher
gemacht wurde. Aber natürlich muss-
te ich immer aufpassen, mich nicht
von ihm instrumentalisieren zu lassen.
SPIEGEL: Ist Ihnen das gelungen?
Westernhagen: Ich glaube, ja. Aber
ich bin natürlich auch tief enttäuscht
über seinen Weg und darüber, wie er
sich mit seinem Gazprom-Deal an
Putin verkauft hat.
SPIEGEL: Sind Sie eigentlich Sozial-
demokrat?
Westernhagen: Ich würde mich nicht
als einen bezeichnen, eher als Libe-
ralen. Aber nicht im Sinne von Wirt-
schaftsliberalismus. Die FDP verab-
scheue ich.
SPIEGEL: Sie haben Boris Becker zur
Therapie geraten, sagen Sie. Haben
Sie selbst Therapieerfahrung?
Westernhagen: Natürlich. Ich bin ein
absoluter Befürworter von Psycho-
therapie. Jegliche Art von Stigmati-
sierung von Therapien finde ich
furchtbar. Wenn du Magenschmerzen
hast, gehst du zum Arzt, aber wenn
was mit deiner Birne nicht okay ist,
dann traust du dich nicht zum Thera-
peuten? Das ist doch idiotisch.
SPIEGEL: Hatten Sie je das Gefühl,
dass das Beste hinter Ihnen liegt?
Westernhagen: Nein.
SPIEGEL: Herr Westernhagen, wir
danken Ihnen für dieses Gespräch.
Wenig später röhrt ein Auto aus der
Sony-Parkgarage auf die Bülowstraße.
Darin sitzen Westernhagen und seine
Frau. Es ist ein Porsche 911 Targa, eine
auberginefarbene Sonderedition –
eine motorisierte Schwanzverlänge-
rung, aber eine sehr stilvolle. n
Ehepaar Müller-
Western hagen
»Ich halte
Frauen auf
jeden Fall
für die
clevereren
Wesen.
Männer sind
eher blöde.«
Privat