Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
REPORTER

Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 55

D


er Nachlassverwalter
der deutsch-russischen
Beziehungen sitzt im
Halbdunkel in einem
West-Berliner Neubau-
block. Ein schmaler,
freundlicher Mann, der aussieht, als
würde er zu wenig schlafen. Vor ihm
auf dem Tisch steht eine Kanne Filter-
kaffee, hinter ihm an der Wand hängt
eine große Landkarte Russlands, in
der Nähe rauscht die Bismarckstraße.
Ansonsten ist es still hier oben, man
glaubt, Ranken wachsen zu hören, die
das Haus einspinnen.
Wie geht es Ihnen?
»Beschissen«, sagt der Mann.
Er heißt Martin Hoffmann und ist
Geschäftsführer vom »Petersburger
Dialog«.
Das ist ein Verein, der im Jahr
2000 von Wladimir Putin und Ger-
hard Schröder gegründet wurde. Ehe-
malige Diplomaten, Journalisten,
Wissenschaftler, Künstler, Wirtschafts-
vertreter und Politiker trafen sich
einmal im Jahr in Russland oder
Deutschland, um – so hieß es – von-
einander zu lernen. Es lief, je nach
Weltlage, mal besser, mal schlechter,
am Ende stockte das Gespräch. Das
letzte Treffen fand vor knapp drei
Jahren in Bonn statt. Dann kam Co-
rona, Alexej Nawalny wurde in
Tomsk vergiftet und nach Berlin aus-
geflogen, schließlich überfiel Russ-
land die Ukraine.
Seitdem wirkt Martin Hoffmann
wie der Moderator einer Talkshow
ohne Gäste.
Er studierte Slawistik und reiste
1986 zu einem Studienaufenthalt
nach Moskau, ans Puschkin-Institut.
Der westfälische Katholik aus Lünen
war überrascht von der Zugewandt-
heit der Sowjetbürger. Er wurde in
den Zentralen Sowjetischen Schach-
klub aufgenommen und Träger des
»Ordens der Freundschaft«. Michail
Gorbatschow ist Pate seiner Ehe.
Er hat gute Voraussetzungen für den
Job, aber gibt es den überhaupt noch?
Martin Hoffmann antwortet fast
zwei Stunden lang, will aber nicht
zitiert werden. Es geht um Angst,
Unterwerfungsrituale, Ratlosigkeit.
Um Gesprächskanäle, die offen-
gehalten werden müssen, damit,
wenn der Krieg vorbei ist, kein riesi-
ges nordkoreanisches Reich mitten in
Europa herumliegt. Hoffmann redet
leise von Egon Bahr und Willy Brandt,
von Putins Wesensveränderung, von
Städtepartnerschaften und Jugendaus-
tausch, während in der Ukraine Men-
schen sterben.
Er legt das Manuskript eines Arti-
kels auf den Tisch, den er einmal ge-

schrieben hat. Auf dem Manuskript
steht oben in roten Buchstaben »Ver-
traulich«. Die Überschrift lautet: »Wir
verlieren Russland«. Der Text ist im
Jahr 2014 im »Tagesspiegel« erschienen,
heute, im Halbdunkel seines Büros,
wirkt er wie ein Geheimdienst papier.
Der Petersburger Dialog wird vom
Auswärtigen Amt finanziert, von pri-
vaten und politischen Stiftungen und
der Wirtschaft. Es gibt noch ein Bud-
get für den Stillstand. Der Geschäfts-
führer erscheint weiter zur Arbeit.
Ein Mann, der morgens seine Tasche
packt, ins Büro fährt, die Sekretärin
begrüßt, die Kaffeekanne aufschraubt
und dann Gesprächskanäle offenhält.
Er erinnert an eine Gestalt aus einem
Graham-Greene-Roman.
Ein paar Kilometer weiter östlich
sitzt Ronald Pofalla im Glasturm am
Potsdamer Platz und versucht, Wor-
te zum Petersburger Dialog zu finden,
die man auch zitieren kann. Pofalla
ist gerade noch Vorstand bei der
Deutschen Bahn und leitet nebenbei
seit ein paar Jahren den Dialog. Auf
seinem Tisch liegen Blätter, die mit
großen Buchstaben beschrieben sind.
Pofalla sieht sie an wie eine Ge-
brauchsanleitung. Jedes Wort, das er
zu Russland sagt, kann in die große
öffentliche Schleudermaschine ge-
raten. Niemand weiß das besser als
Ronald Pofalla, der An gela Merkels
Kanzleramtsminister war. Der Krieg
ist drei Wochen alt, als wir uns das
erste Mal treffen. Pofallas Begrü-
ßungssatz lautet: »Man muss auf-
passen, dass nicht alles, was wir nach
dem Fall des Eisernen Vorhangs auf-
gebaut haben, verloren geht.«
Ronald Pofalla übernahm den
Petersburger Dialog erst spät, im Jahr
2015, als der kaum noch zu hören war.
Lange Jahre war er von Michail
Gorbatschow und Lothar de Maizière

geleitet worden. Die beiden waren
ein Traumpaar, zumindest für die
Deutschen. Friedlich, vorzeigbar, lie-
benswert, vielleicht ein bisschen toll-
patschig, aber voll der russischen
Seele, die man in Deutschland so
liebt: die preußische Sammlung von
Katharina der Großen, die Rotarmis-
ten auf dem Reichstag, die Strickjacke
von Kohl im russischen Wäldchen,
Jelzin schunkelnd auf dem Balkon des
Berliner Rathauses, Putin, Deutsch
sprechend, im Bundestag.
Gorbatschow, den Putin verachtet,
wurde auf russischer Seite 2009 durch
Wiktor Subkow ersetzt, einen ehe-
maligen Ministerpräsidenten mit
guten Kontakten zu Gazprom. De
Maizière hatte seine Karriere als
B ratschist im Berliner Rundfunk-
Sinfonieorchester begonnen, Subkow
als Schlosser in einem nordrussischen
Bergbaukombinat.
Deutschland wurde nun von einem
Streicher vertreten, Russland von
einem Kumpel.
2014 schrieb Alexandra Gräfin
Lambsdorff, die von Anfang an dabei
war: »In Russland gelten persönliche
Beziehungen mehr als rechtliche
Garantien. Der Petersburger Dialog
ist ein gutes Instrument, der russi-
schen Administration zu zeigen, wie
eine Demokratie funktioniert.«
Das Experiment wurde fortgesetzt,
eine Art Paartherapie.
Nach der Annexion der Krim ent-
zog Angela Merkel ihrem einstigen
Chef Lothar de Maizière die Führung
des Petersburger Dialogs. Sein Russ-
landbild war ihr zu sentimental für die
neuen, rauen Zeiten. Ronald Pofal la,
der aus einfachen Verhältnissen
kommt und kein Instrument spielt,
schien eher ein Partner für den Berg-
mann Subkow zu sein.
Pofalla erhöhte die Anzahl der
Mitglieder. Am Ende gab es auf deut-
scher Seite eine Mehrheit regierungs-
unabhängiger Organisationen, Wahl-
beobachter, Umweltschützer, Völker-
rechtler. 2016 in Sankt Petersburg
kritisierte der neue Chef, dass die
russische Seite immer mehr Nicht-
regierungsorganisationen auf schwar-
ze Listen setzte. Auch Olaf Scholz,
der damals Bürgermeister von Ham-
burg war, redete. Die russischen Gast-
geber stellten ihn als »Herrn Schulz«
vor, Scholz sprach unbeeindruckt
weiter. Er erinnerte in seiner Rede an
die Ostpolitik von Brandt, bevor er
die völkerrechtswidrige Annexion
der Krim kritisierte und forderte, dass
die Ukraine volle Kontrolle über ihre
Landesgrenze bekomme.
Er wünsche sich, sagte Scholz da-
mals in Sankt Petersburg, in manchen

Gesprächspartner
Putin, Schröder
2002: Etwas
mehr männliche
Gelassenheit

Der russi­


schen Admi­


nistration


zeigen, wie


Demokratie


funktioniert.


Alexandra
Gräfin
Lambsdorff,
Mitglied
des Petersburger
Dialogs

»


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Hannes Jung / DER SPIEGEL BPA Kühler / picture-alliance / dpa

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