Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 63

N


och eine halbe Stunde bis Palm Springs,
Leonie Hanne hat jetzt Zeit zum Tele-
fonieren. Alex, ihr Lebenspartner, Ge-
schäftspartner und Fotograf, sitzt am Steuer.
Wenig später stellt Hanne ein Video von der
Autofahrt auf Instagram. 4,2 Millionen Men-
schen folgen ihr dort, mehr als jeder anderen
deutschen Modeinfluencerin.
Es ist Gründonnerstag, Hannes Ziel ist das
Coachella-Musikfestival in Indio, Kalifornien.
US-Modehändler Revolve, der Hannes Reise
bezahlt, veranstaltet dort ein Treffen für In-
fluencer. Hanne wird sich vor der Open-Air-
Kulisse in den neuen Kollektionen fotografie-
ren lassen, sie wolle »von morgens bis abends
durcharbeiten«, sagt sie. Zu sehen gibt es auf
Instagram in den folgenden Tagen: Hanne
vorm Riesenrad, in einem Kettenkleid, mit
einem Schmetterling als Ohrring, im bunten
Hippieoutfit, zu einem Beyoncé-Hit tanzend.
Stets mit ordentlich Glitzer im Gesicht.
Hanne, 33, die in Hamburg und London
wohnt, arbeitete als Strategieberaterin bei der
Otto Group, bis sie sich 2014 mit einem Mode-
blog selbstständig machte. Seither lässt sie
ihre Anhängerinnen täglich an ihrem Jetset-
Leben teilhaben. Anfangs trug sie bodenstän-
dige Marken wie Zara oder H&M, heute sind
vorwiegend Luxuslabels ihre Kunden.
Ende März wurde sie in Dubai als »Fashion
Influencer of the Year« ausgezeichnet, da trug
sie Schmuck von Tiffany. Im April war sie für
ein Titelshooting mit dem Magazin »Harper’s
Bazaar« in Brasilien, am Set schwebte sie per
Helikopter ein, im pinkfarbenen rückenfreien
Sandkreppkleid von Valentino. Im Mai fliegt
Hanne für ein Event von Louis Vuitton nach
San Diego, für Gucci nach Apulien. Außer-
dem zu den Filmfestspielen in Cannes, meh-
rere Haute-Couture-Häuser hätten angeboten,
einen Dress für sie zu entwerfen, erzählt sie.
Bislang orientierten sich eher Millennials
an ihrem Style: Frauen zwischen 25 und 34.
Seit sie einen TikTok-Account hat, ist sie auch
Jüngeren ein Begriff, eine Million Fans hat sie
auf der Teenie-App. Die Generation Z, die
10- bis 25-Jährigen, finde hochwertige De -
signermode »total toll«, sagt Hanne. »Die
wenigsten können sie sich in dieser Lebens-
phase leisten. Aber den Unternehmen ist es
wichtig, dass bereits Teenager wissen, wel-
ches die bedeutenden Marken sind.«
Und die junge Zielgruppe ist überraschend
offen für Louis Vuitton, Gucci & Co. Ganz
nach dem Motto: Die Welt lässt sich auch in


Prada retten. Im Luxussegment sorgen die
um die Jahrtausendwende und später Gebo-
renen jedenfalls schon für knapp ein Drittel
des Umsatzes, im Jahr 2025 sollen es 50 Pro-
zent sein. Für die Marken geht es im Wett-
kampf um die Gunst der Kunden von morgen
und übermorgen darum, cooler zu wirken als
die Konkurrenz.
Dafür gehen die Traditionsfirmen unge-
wöhnliche Allianzen ein, mit Internetpromi-
nenz ebenso wie mit flippigen Marken. Sie
veranstalten Verkaufsshows auf Social Media
und bemühen sich um ein nachhaltiges Image.
Chloé und Jacquemus arbeiten PET-Flaschen
zu Kleidern um, Tom Ford brachte eine Uhr
aus 100 Prozent Meeresplastik auf den Markt,
der Uhrenfabrikant Omega sponsert eine
Firma, die Weltraumschrott einsammelt. Die
jungen Kunden kaufen nicht bloß teuer ein,
sie verändern auch die Luxusbranche selbst.
Derzeit läuft das Geschäft so gut wie lange
nicht. Kaum eine Sparte hat die Coronazeit
besser überstanden, wenngleich es zunächst
nicht danach aussah. 2020, als sich das ge-
sellschaftliche Leben weitgehend vor dem
Zoom-Bildschirm abspielte, tendierte das In-
teresse an feinen Roben und teuren Taschen
gegen null. Umso größer war der Nachhol-
bedarf. Heute stehen die Nobelmarken besser
da als vor der Pandemie. Der Börsenkurs des

französischen Konzerns LVMH, zu dem Louis
Vuitton, Dior und Tiffany gehören, ist in den
vergangenen beiden Jahren um mehr als
70 Prozent gestiegen. Vermutlich wird die
Luxusbranche auch gut durch die aktuelle
Krise, ausgelöst durch den russischen Angriff
auf die Ukraine, kommen.
Zwar verhängte die EU im März ein Ver-
bot, Luxusgüter nach Russland zu exportie-
ren. Der Kreml ließ daraufhin in einer Mos-
kauer Tochterfirma Luxusuhren des Schwei-
zer Herstellers Audemars Piguet konfiszieren;
russische Influencerinnen veröffentlichten
Videos, in denen sie Chanel-Handtaschen zer-
schnitten. Sonderlich wehtun wird das der
Branche nicht. Vermögende Russen fliegen
weiterhin nach Dubai, um unbegrenzt zu
shoppen. In Europa könnte die Unsicherheit,
die durch den Krieg entstanden ist, die Ge-
schäfte sogar beflügeln: Hochwertige Uhren
und Designerhandtaschen gelten als krisen-
sichere Wertanlage.
An Lust auf Prunk und Bling-Bling mangelt
es den Jungen nicht. Ganz im Gegenteil. Mil-
lennials und GenZ seien »luxuswütig«, sagt
Judith Meyer, Partnerin bei der Management-
beratung BrainTrust. »Sie sind besessen da-
von, ihre Persönlichkeit mit den teuren, iko-
nischen Marken zu schmücken.«
Auch Geld ist da. In der Pandemie sind
viele Reiche noch vermögender geworden,
darunter 20- bis 30-Jährige, die dank Krypto-
währungen quasi über Nacht fast zu Millio-
nären wurden. Hinzu kommt, dass bereits
Schüler heute mehr Möglichkeiten haben,
Geschäfte zu machen als frühere Generatio-
nen. Etwa indem sie limitierte Turnschuhe
online für ein Mehrfaches vom Originalpreis
weiterverkaufen. Da gönnt man sich gern mal
eine Rolex.
Dass selbst Teenager es nicht mehr peinlich
finden, Reichtum zur Schau zu stellen, liegt
an ihren Idolen, YouTubern wie Marc Gebauer,
33, der mit Luxusuhren handelt, zum Maß-
anzug stets Einstecktuch trägt und Schauspie-
ler Elyas M’Barek oder Social-Media-Star
MontanaBlack zu seinen Kunden zählt und
laut eigenen Angaben voriges Jahr 40 Millio-
nen Euro umsetzte. Oder Achraf Ait Bouza-
lim, 26. Er gründete das Streetwearlabel 6PM
und hält sich bevorzugt in seinem Frankfurter
Penthouse auf, in Luxushotels wie dem Ritz
Carlton oder in der Lufthansa-Businessclass.
Und einer der Erfolgreichsten: YouTuber
Justin Fuchs, 24, dessen Vermögen auf

Generation Bling-Bling


KONSUM Jahrzehntelang lebten Louis Vuitton, Gucci & Co. gut von der betuchten älteren Klientel. Inzwischen
umgarnt die Luxusindustrie bereits Teenager. Deren Lust auf Prunk und Protz ist überraschend groß.

* ausgewählte Marken der Konzerne:
Richemont: Chloé, Cartier; LVMH: Louis Vuitton, Dior, Tiffany;
Kering: Gucci, Saint Laurent, Brioni
S◆Quellen: Refinitiv Datastream, Unternehmensangaben

Goldene Zeiten


Umsatz mit Luxusmarken*, Veränderung
gegenüber dem 1. Quartal 2019 in Prozent

Q1
2019

Q1
2020

Q1
2021

Q1
2022

− 40

0

+ 40

+ 80

Richemont Hermès LVMH Kering

+ +

+
+ 
Free download pdf