Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
AUSLAND

Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 79

D


ie drohende Apokalypse ist eindrucks-
voll bebildert. Auf den Werbefotos zu
sehen sind qualmspeiende Schlote,
außerdem über Ruinenlandschaften kreisen-
de Kampfhubschrauber wie im Ukrainekrieg.
Ein im Abendrot abgelichteter Hochspan-
nungsmast verdeutlicht den drohenden Ener-
gieblackout der westlichen Welt.
Die Zeiten sind düster. Deshalb bauen die
Immobilienentwickler von Kitzbüheler Alps
für fi nanzkräftige Weltfl üchtige nun eine
»zeitgemässe, autarke Arche Noah«: einen
Ort ohne Umweltverschmutzung oder Gra-
natenhagel, mit eigener Energie- und Wasser-
versorgung, an dem sich alles um die eigene
»Unabhängigkeit und Sicherheit« dreht.
Die Welt mag untergehen, hier oben sollen
die Begüterten unbehelligt weiterleben kön-
nen, das zumindest suggerieren die Werbe-
bilder. Das Szenario erinnert entfernt an den
Film »Snowpiercer« des südkoreanischen
Regisseurs Bong Joon-Ho, in dem während
einer menschengemachten Eiszeit die weni-
gen verbliebenen Menschen, je nach sozialer
Schicht auf verschiedene Zugwaggons ver-
teilt, endlos um die Welt kurven.
Gebaut wird die Arche des dritten Jahr-
tausends auf 1200 Meter Seehöhe am Pass
Thurn, an der Grenze zwischen den öster-
reichischen Bundesländern Tirol und Salz-
burg. Dreizehn »Villen für den Weltunter-
gang«, wie die Tageszeitung »Standard« spot-
tet, dazu 33 Apartments, 4 Townhäuser und
ein Hotel mit 77 Zimmern sowie Suiten ent-
stehen auf ehemaligem Weideland. Wo bis
vor Kurzem noch das Rindvieh bergauf stapf-
te, ist nun eine Liegewiese für die zahlungs-
kräftige Klientel geplant. Eine komplett ein-
gerichtete Villa mit 430 Quadratmeter Wohn-
fl äche ist zum Kaufpreis von 15 Millionen
Euro im Angebot.
Das dazugehörige Leitmotiv der weltweit
tätigen Luxusresort-Kette Six Senses lautet:
»The world is changing«, abgekürzt: Twic.
Was nach Schokokeks klingt, steht für ein
ehrgeiziges 180-Millionen-Euro-Projekt, das
aus den Zukunftsängsten von Menschen ohne
Finanzsorgen Kapital zu schlagen versucht:
Die Welt verändert sich, und nicht zum Gu-
ten, das ist die Botschaft. Die Entwickler
haben dafür eine Lösung – und verbreiten
Werbevideos mit esoterisch intonierten Ga-
ga-Texten: »Um deine Nasenspitze dreht
sich die Milchstraße zum Walzer, den das
Herz spielt.«

Auf dem Weg in die neue heile Welt lief
allerdings bisher nicht alles rund. Es seien »in
der Vergangenheit wahnsinnig viele Fehler
passiert«, räumt der PR-Beauftragte Anton
Santner ein, als ehemaliger Landesgeschäfts-
führer der Kanzlerpartei ÖVP bestens ver-
netzt. Der ursprünglich vorgesehene Partner
Porsche, der potenziellen Käufern eine E-Li-
mousine spendieren sollte, sprang ab. Bewor-
ben wurde das Projekt irrtümlicherweise mal
vor der Kulisse der auf italienischem Staats-
gebiet liegenden Seiser Alm, dann wieder mit
Zugspitz-Panorama. Korrekt wären die Kitz-
büheler Alpen. Auch die Behauptung, man
baue »im Nationalpark Hohe Tauern« ist
falsch. Korrekt wäre: in der Nähe.
Immer wieder seien Hubschrauber mit In-
teressenten gelandet, die aber schon Minuten
später wieder die Baustelle verließen hätten,
sagt Marlene Rainer, die schräg gegenüber
lebt und derzeit noch Vorsitzende des Vereins
ist, der sich um das angrenzende Naturschutz-
gebiet Wasenmoos kümmert. Rainer sagt, sie
könne sich »bis heute nicht erklären«, wie die

Investoren zu ihren Genehmigungen gekom-
men seien: »Seit 15 Jahren habe ich hier nur
Dreck und Lärm, ich ziehe weg.«
Wer aber sind die Menschen, die sich auf
der modernen Arche Noah vor den Zumu-
tungen der Gegenwart, vor der Sintfl ut an
schlechten Nachrichten und vor der »Welt der
Gottlosen«, wie es in der Bibel heißt, retten
wollen? Wer macht sieben- bis achtstellige
Summen locker im Nirgendwo, südlich von
Mittersill, für eine Zweitwohnung, die extra
durch einen Lärmschutztunnel von der Biker-
Rennstrecke hinauf zum Pass Thurn abge-
schirmt werden muss? Welcher Multimillionär
lässt sich vom Versprechen ködern, es werde
einen wöchentlichen Bauernmarkt vor der
Haustür geben und einen Hühnerstall in
Schlagdistanz zum 3000-Quadratmeter-Spa-
Bereich auf drei Ebenen?
Die Anfragen, mehr als ein Dutzend pro
Tag, kämen zu 95 Prozent aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz, sagen die Pro-
jektentwickler. Es gebe bereits erste Abschlüs-
se. Erfolgreiche Unternehmer und Ex-Sport-
ler seien interessiert. Familien mit Kindern,
»die unsere Ideen teilen«, würden bevorzugt.
Weil künstliche Angebotsverknappung
den Anreiz erhöht, werden in einem Voraus-
wahlverfahren per Fragebogen und späterem
Zoom-Interview 50 Sieger ermittelt. »Haben
Sie das Gefühl, dass sich die Welt verändert?«,
müssen sich die Villen-Anwärter fragen las-
sen, und: »Wie wichtig ist Ihnen Sicherheit
und Schutz?« Der Tiroler Fotograf Lois He-
chenblaikner, rastloser Chronist des touristi-
schen Wahnsinns in seiner Heimat, spricht
von einer »scientologyhaften Vorauslese für
Flachlandautisten«.
Michael Staininger sieht das naturgemäß
anders. Er ist Projektentwickler und Mit-
eigentümer am Pass Thurn. Gebürtig in Wien,
studierte er als junger Mann an der Filmhoch-
schule in New York und drehte 2009 den mä-
ßig erfolgreichen Horrorschocker »Das Grab
der Ligeia«, auch an Schauplätzen in der
Ukraine. Spekuliert er nun, mitten im Ukrai-
nekrieg, in der Pandemie und der Klimakrise,
auf Umwegrendite? Auf verängstigte, aber
solvente Menschen, die abseits von Kitzbühel
im Einklang mit der Natur eine »dynamische
und einfl ussreiche Community für die Zu-
kunft« gründen wollen? Autark, dank Solar-
energie, Erdwärme und zwei Alpenquellen?
Staininger bejaht das. Er sagt, seine Vision
sei ein Ort, wo man »den Alltag und die
Herausforderungen dieser Zeit hinter sich
lassen kann«.
An dieser Vision arbeitet nun die renom-
mierte deutsche Lindner Group, zuvor weit-
gehend verantwortlich für den Innenausbau
der Hamburger Elbphilharmonie. Wann die
Arche am Pass Thurn startklar sein wird? Im
»Dezember 2024 / 12 Uhr«, so steht es auf
der Website. Das klingt, unfreiwillig, wie die
Verabredung des braven Soldaten Schwejk
im Schelmenroman: »nach dem Krieg um
halb sechs«.
Walter Mayr n

Die Arhe der Reihen


ÖSTERREICH Krieg, Klima, Pandemie: Für betuchte Krisenfl üchtlinge bauen
Investoren abseits von Kitzbühel ein »autarkes« Luxusresort.

Immobilienprojekt
Kitzbüheler Alps

»Scientologyhafte
Vorauswahl für
Flahlandautisten«
Lois Hechenblaikner, Fotograf

JFK / EXPA / picture alliance
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