Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1
AUSLAND

Nr. 19 / 7.5.2022DER SPIEGEL 81

ten haben mir Geld geboten, damit
ich meine Anzeige zurückziehe.«
150 000 Peso, knapp 3000 Euro. Viel
Geld in den Philippinen; genug, um
ein Leben zu verändern. Mariza Ha-
moy sagt: »Die können mich mal, ich
kämpfe für meinen Sohn.«
Sie sitzt auf einem Hocker in ihrer
Hütte in Payatas, einer Gegend im
Nordosten Manilas, in der nur wenig
Hoffnung wohnt, der Armut zu ent-
kommen. Auf einem kleinen Holz-
tisch steht ein gerahmtes Foto ihres
Sohnes und eine Urne mit seiner
Asche. Im Juli 2021 exhumierte ein
Priester Darwin Hamoy, äscherte ihn
ein. »Jetzt habe ich ihn immer bei
mir.«
Mariza Hamoy hat sich bereit er-
klärt, als Zeugin vor dem Strafge-
richtshof auszusagen. Seitdem erhält
sie anonyme Drohungen, Anrufe und
Textnachrichten. Ihr Mann Danilo
wurde im vergangenen Jahr wegen
illegalen Glücksspiels verhaftet. Kurz
darauf hätten Polizisten an ihre Tür
geklopft.
»Sie sagten, dass mein Mann frei-
käme, wenn ich die Klage gegen die
Polizisten, die mein Kind getötet ha-
ben, fallen ließe«, behauptet Hamoy.
Sie habe das Angebot abgelehnt. Erst
nach neun Monaten im Gefängnis
wurde ihr Ehemann auf Bewährung
entlassen. »Viele Leute sagten mir, ich
solle akzeptieren, dass mein Sohn tot
sei, und das Geld nehmen.« Doch für
Mariza Hamoy wäre das Verrat.
Sie steht auf, nimmt das Foto und
drückt es fest an ihre Brust. »Mein
größter Feind ist die Regierung. Die
stecken alle unter einer Decke. Wenn
Duterte abtritt, könnte mein Fall eine
Chance haben. Wenn mein Sohn Ge-
rechtigkeit erfährt, kann ich vielleicht
in Frieden leben«, sagt sie. Während
sie redet, streicheln ihre Finger über
die Urne mit der Asche ihres Sohnes.
Marcos Jr.s Gegenspielerin Leni
Robredo hat versprochen, die außer-
gerichtlichen Tötungen im Drogen-
krieg zu beenden. In Umfragen holte
sie zuletzt auf. 2016 hatte Robredo
schon knapp das Rennen um die Vize-
präsidentschaft gewonnen. Ihr Geg-
ner damals: Ferdinand Marcos Jr.
Daniel Vinluan, der Marcos-Fan
und Wahlhelfer, sagt, eine Niederlage
von »Bongbong« Marcos sei für ihn
unvorstellbar: »Es sieht nach einem
Erdrutschsieg aus. Sollten wir nicht
gewinnen, wird es einen Volksauf-
stand geben.« Er sagt, seine größte
Hoffnung sei ein Selfie mit BBM, das
er bei Facebook posten könnte.
Er nennt Marcos jetzt schon »mein
Präsident«.

tungen inszeniert er sich als großer
Einiger des Landes, lächelt viel und
winkt seinen Anhängern zu. Aber
was er möchte, sagt er nicht.
Daniel Vinluan glaubt nicht daran,
dass die Vizepräsidentin Marcos Jr.
gefährlich werden könnte. »Stellt euch
alle in einer Reihe auf«, spricht er in
ein Megafon. Mit glasigen Augen und
voller Inbrunst schwören die Jugend-
lichen auf Gott, Marcos, Partei, Vater-
land. Unter ihnen ist die 17-jährige
Maria-Elena, eine überzeugte Mar-
cos-Anhängerin, sie sagt: »Ich habe
auf YouTube viele Dokumentarfilme
gesehen, und die haben die Wahrheit
gezeigt, Marcos war kein Diktator, ich
wurde seit meiner Kindheit belogen.«
Im Netz inszeniert sich die Marcos-
Familie als Opfer, die von den Main-
stream-Medien unfair behandelt und
falsch dargestellt wird.
Viele in Maria-Elenas und Daniel
Vinluans Altersgruppe sehen das
genauso. Der Wahlkampf ist geprägt
von Desinformationskampagnen,
Falschinformationen – und er findet
hauptsächlich in den sozialen Medien
statt. Für viele Philippiner sind Face-
book, TikTok und YouTube die ein-
zigen Informationsquellen. Allein
Facebook nutzen rund 74 Millionen
der insgesamt 110 Millionen Einwoh-
ner. Hinzu kommt: Rund die Hälfte
der gut 65 Millionen Wahlberechtig-
ten sind zwischen 18 und 30 Jahre alt.
Viele Philippiner sind von der De-
mokratie enttäuscht. Armut und Kor-
ruption sind weitverbreitet, soziale
Ungerechtigkeit und Einkommens-
unterschiede groß, das Vertrauen in
Politiker gering. Es gibt im Land eine
Sehnsucht nach Politikern, die hart
durchgreifen, aufräumen, Recht und
Ordnung durchsetzen. Auch Rodrigo
Duterte war mit dem Versprechen an-
getreten, den Sumpf aus Nepotismus,
Armut und Korruption trockenzule-
gen – und mit der Drohung, Drogen-
dealer und Konsumenten zu töten.
Duterte spaltet. Seine Gegner be-
schuldigen ihn, die Demokratie aus-
zuhebeln. Seine Anhänger feiern ihn
als Helden, der die Philippinen mit
harter Hand von Verbrechen, Dro-
gen, Vetternwirtschaft und Korrup-
tion befreit hat. Seine Wiederwahl
verbietet die philippinische Verfas-
sung. Aber noch nie war ein philippi-
nischer Präsident am Ende seiner
Amtszeit beliebter als Rodrigo Du-
terte. In Umfragen von Meinungsfor-
schungsinstituten liegen seine Be-
liebtheitswerte noch immer bei mehr
als 60 Prozent.
Schon am Anfang seiner Amtszeit
formte Duterte eine Allianz mit der
Marcos-Familie, und während er


hohe Beliebtheitswerte hatte, be-
reitete die Marcos-Familie im Wind-
schatten von Dutertes Popularität
ihr Comeback vor. Der 64-jährige
»Bongbong« Marcos zog in den Um-
fragen den anderen Kandidaten da-
von, als Dutertes Tochter ihre Kan-
didatur für die Vizepräsidentschaft
bekannt gab.
Seit Jahrzehnten teilen mächtige
Familienclans im Land die politische
und wirtschaftliche Macht unterei-
nander auf, bestimmen über Genera-
tionen hinweg durch Gefälligkeiten,
Stimmenkauf oder Gewalt die Politik.
Mit dem Präsidentenamt allein
will sich der Marcos-Clan nicht zu-
friedengeben: Marcos Jr.s ältester
Sohn Sandro kandidiert für einen Sitz
im Kongress. Seine Schwester Imee
ist Senatorin, sein Neffe Provinzgou-
verneur, ein Cousin Kongressab-
geordneter.
Wer auch immer auf Duterte
folgt  – er übernimmt ein blutiges
Erbe. In seinem Drogenkrieg starben
bei Polizeieinsätzen in den vergange-
nen sechs Jahren 6200 mutmaßliche
Drogenhändler und Drogensüchtige.
Doch das sind nur die offiziellen Zah-
len. Menschenrechtsorganisationen
der Philippinen schätzen, dass bis zu
30 000 Menschen von Sicherheits-
kräften und Todesschwadronen ge-
tötet wurden.
Jahrelang schien es so, als müsste
sich niemand für diese Taten verant-
worten, als würden die Tausenden
Todesfälle unaufgeklärt bleiben. Das
änderte sich am 15. September 2021.
Ankläger des Internationalen Straf-
gerichtshofs in Den Haag kündigten
an, gegen den Präsidenten, dessen
Regierung und die Polizei zu ermit-
teln. Der Vorwurf: Verbrechen gegen
die Menschlichkeit. Seitdem fühlen
sich immer mehr Menschen ermutigt,
als mögliche Zeugen bei Gerichtsver-
fahren aufzutreten, Täter anzuklagen.
Darwin Hamoy starb beim Ziga-
rettenholen. Polizisten erschossen ihn
im August 2016, er wurde 17 Jahre alt.
»Er war zur falschen Zeit am falschen
Ort; die haben ihn einfach abgeknallt
und hinterher behauptet, er habe mit
Drogen gedealt«, sagt Mariza Hamoy,
Darwins Mutter. Sie ist eine energie-
geladene, kräftige Frau mit dunkel-
blond gefärbten Haaren und heiserer
Stimme.
Seit mehr als fünf Jahren kämpft
sie dafür, dass sich die Männer, die
ihren Sohn erschossen haben, vor
Gericht verantworten müssen. Bis-
lang ohne Erfolg. Keine Anklage, kein
Prozess. Stattdessen gab es immer
wieder Versuche, Mariza Hamoy zum
Schweigen zu bringen. »Die Polizis-

Populist Duterte:
Der autoritäre
Politiker darf nicht
mehr antreten

Kandidatin Duterte-
Carpio: Die Tochter
will Vize präsidentin
werden

Präsidentschafts-
anwärter Marcos Jr.:
Der politische
Erbe seines Vaters

Schulter-
schluss
der Clans

Carsten Stormer n

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