Modell Aviator August 2017

(sharon) #1

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Grundlagenserie Teil 104


Eine alte Modellflieger-Weisheit besagt, dass Modelle mit klassischer Papierbespannung sehr viel
gutmütiger seien als solche mit glatter Flügeloberfläche aus Folie oder gar Faser-verstärktem
Kunststoff. Doch die Erfahrung lehrt, dass nicht jede althergebrachte Weisheit auch der Überprüfung
Stand hält. Hat also tatsächlich die eigentlich veraltete Technik der Papierbespannung Vorteile
gegenüber Hightech-Materialien?

60 08/2017


Oberflächlich


Text und Grafiken:
Tobias Pfaff

Um diese berechtigte Frage zu beantworten, müssen wir zu-
nächst aber fragen, was mit „gutmütig“ gemeint sein mag. Das
größte Problem im Modellflug ist die Re-Zahl. Dieser Parameter
macht es möglich, zwei ähnliche aber unterschiedlich große Strö-
mungskörper bezüglich des Stromlinienbilds zu vergleichen. Da-
mit also ein Tragflächenprofil eines Flugmodells genau so gute
Leistungen zeigt wie dasselbe Profil bei einem manntragenden
Muster, müssen beide Profile bei der gleichen Re-Zahl verglichen
werden. Nun hängt die Re-Zahl unter anderem von der Größe des
Strömungskörpers, aber auch seiner Anströmgeschwindigkeit
ab. Besitzt das Modell einen Maßstab von 1:2, besitzt es also die
halbe Profiltiefe im Vergleich zum Original, so müsste es doppelt
so schnell fliegen wie sein Vorbild. Doch das ist unrealistisch.
Modelle fliegen in der Regel sehr viel langsamer als das Vorbild.
In Folge sinkt die Re-Zahl nicht nur wegen der geringeren Pro-
filtiefe, sondern auch zudem wegen der geringeren Anströmge-
schwindigkeit. Leider verhalten sich viele Strömungskörper bei
sehr geringen Re-Zahlen sehr unangenehm. Die Strömung bleibt
nicht zwingend am Körper anliegen. Sie bildet einen laminaren
Ablösewirbel; siehe Abbildung 1.

Was man über Flügeloberflächen wissen sollte


Passiert das an der Oberfläche einer Tragfläche, ändern sich
damit der Auftrieb und Widerstand indem der Auftrieb sinkt,
aber der Widerstand zunimmt. Geschieht das an beiden Tragflä-
chen gleichzeitig, so wird das Modell „durchsacken“, dadurch
aber wieder Fahrt aufnehmen und somit in den Bereich unkri-
tischer Re-Zahlen zurückkehren. Besonders unangenehm wird
es hingegen, wenn der Effekt zum Beispiel durch geringfügige
Bautoleranzen nur an einer Tragflächenhälfte auftritt. Das Modell
wird zu dieser Seite abkippen. Geschieht das beispielsweise im
Lande anflug – bei dem ja die Fluggeschwindigkeit und da-
mit auch die Re-Zahl besonders niedrig ist, so hat dies nicht
selten eine Bruchlandung zur Folge. Die Neigung zu solchen
Strömungs ablösungen ist vor allem bei laminaren Strömungen
sehr ausgeprägt. Turbulente Strömungsverläufe hingegen er-
möglichen einen Energieaustausch mit weiter entfernt liegenden
Strömungsschichten. Bei ihnen tritt dieser Effekt erst bei viel
geringeren Re-Zahlen beziehungsweise Geschwindigkeiten auf.
Leider haben jedoch turbulente Strömungen einen deutlichen
Nachteil. Sie erzeugen einen deutlich höheren Widerstand im
Vergleich zu laminaren Strömungen.
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