mit der unförmig großen ICAO-Karte das
halbe Cockpit zudeckt und verzweifelt ver-
sucht, Landschaftsmerkmalen zu erkenne,
hat weit weniger Kapazitäten frei als derje-
nige, der Kurs und Position mit einem kur-
zen Blick auf Flugzeugsymbol und magen-
tafarbene Linie verifiziert und dabei auch
gleich noch den Abstand zu nahen Lufträu-
men geliefert bekommt.
Unscharf ins blaue Nichts
Für die Augen ist der ständige Wechsel
der Fokussierung von der Ferne in die Nä-
he und umgekehrt eine Herausforderung,
die einige Sekunden in Anspruch nehmen
kann. Deshalb ist es ratsam, das gesamte
Blickfeld einmal konzentriert abzuscannen,
bevor man wieder aufs Panel blickt. Auf der
anderen Seite: Schauen die Augen ohne Fo-
kussierung auf ein Objekt ins blaue Nichts,
stellen sie irgendwann auf einen Bereich
von drei bis zehn Metern scharf. Dagegen
hilft, gelegentlich ein Bodenmerkmal in der
Ferne zu fixieren.
Experten empfehlen, die Augen von
links nach rechts in Zehn-Grad-Schritten
zu bewegen und jeweils mindestens eine
Sekunde zu verharren, um den Sektor ab-
zuscannen. Dabei sollte man auch den Kopf
bewegen, damit man etwa um Fensterrah-
men herumschaut.
Oft ist eine Bewegung am ehesten in
der Peripherie zu erkennen. Allerdings gibt
es dabei einen Haken: Gemäß dem Prinzip
der stehenden Peilung scheinen gerade die
Flugzeuge im Blickfeld stillzustehen, mit
denen man auf Kollisionskurs ist – sie wer-
den einfach nur größer. Ist die Windschutz-
scheibe dann auch noch mit Insekten be-
pflastert, sorgen deren Punkte im Blickfeld
für zusätzliche optische Verwirrung.
Insgesamt zwölf Sekunden kann es dau-
ern vom ersten Wahrnehmen eines Objekts
bis zum Ausweichmanöver. Die Zeit ver-
geht unter anderem mit der Identifikation
des Objekts als Flugzeug, dem Erkennen
der Kollisionsgefahr, der Entscheidung für
ein Ausweichmanöver, der Muskelreaktion
Alles verdeckt: Gerade
ältere Hochdecker wie
die Cessna 195 (oben)
haben nach vorn nur einen
»Sehschlitz«, horizontal zur
Seite ist wegen der Flächen
gar nichts zu sehen. Beim
Tiefdecker (links) verdecken
die Flächen den seitlichen
Blick nach unten
Praxis | Fliegen
und der Verzögerung durch die Trägheit
des Flugzeugs.
Piloten großer Verkehrsmaschinen
haben es leichter: Ihre TCAS-Systeme tau-
schen sich untereinander aus und geben
klare Anweisungen, wie auszuweichen ist:
Der eine hört »climb!«, der andere »de-
scend!« Für Piloten kleiner Maschinen ist
die Entscheidung für ein geeignetes Aus-
weichmanöver schwieriger. Steigen oder
Sinken führt oft dazu, dass man den an-
deren Flieger aus dem Blick verliert – und
dann auch nicht mehr erkennt, wenn der in
die gleiche Richtung ausweicht. Die Geset-
ze geben deshalb laterales Ausweichen vor,
etwa bei frontaler Annäherung beide nach
rechts. Wird es allerdings wirklich knapp, ist
alles erlaubt, was die Situation klärt.
Die Gefahr kommt von hinten
Die naive Vorstellung suggeriert, dass es
genügt, wenn man sich auf den Blick nach
vorn konzentriert, also auf den Sektor zwi-
schen 10 und 2 Uhr. Doch das ist falsch, wie
eine Untersuchung von 50 Midair-Kollisio-
nen durch die FAA ergab: Nur acht Prozent
waren Frontalzusammenstöße. 42 Prozent
dagegen erfolgten zwischen Flugzeugen,
die in der gleichen Richtung unterwegs
waren. Die überwiegende Mehrheit der
Zusammenstöße ereignete sich bei bester
Sicht – und am größten ist das Risiko in der
Platzrunde.
Viele Flugzeuge machen es nicht gerade
leicht, nach draußen zu schauen. Der Klassi-
ker: Ein Tiefdecker im Sinkflug mit schlech-
tem Blick nach unten, darunter ein Hochde-
cker mit schlechtem Blick nach oben ...
Im Hochdecker sollte man vor dem
Einleiten einer Kurve den inneren Flügel
kurz anlupfen, um darunter nach Verkehr
zu schauen. Bei längeren Steigflügen lohnt
es, leichte Kurven zu fliegen oder ab und
zu die Nase zu senken – so kann man mehr
Luftraum beobachten und wird gleichzeitig
durch die Bewegung besser für andere er-
kennbar.
Weil Glühbirnen im Vergleich zu Kollisi-
onen unglaublich billig sind, sollte man zur
besseren Erkennbarkeit so viele Lichter ein-
schalten wie möglich. Auch auf Strecken-
flügen kann man zusätzlich zum Blitzlicht
auch Landescheinwerfer und Navigations- Fotos: christina scheunemann, cornelius braun, berndt stadelhoFer
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