Respekt, Rücksichtnahme,
Höflichkeit: Ohne diese
Kardinaltugenden zerbröselt das
gesellschaftliche Leben
ist, zu orientieren. Da dieser moderne Zeitgenosse
heute nicht weiß, was morgen „für alle selbstverständ-
lich“ ist, muss er dauerhaft fähig sein, „Signale von
nah und fern zu empfangen“ und sich auf die häufi-
gen Programmwechsel einzustellen. Kein Kreisel-
kompass mehr, sondern „Radaranlage“. Mit der Ero-
sion der Innenleitung schwächt sich aber auch der
Widerstand gegen falsche Autoritäten; insofern kann
der aktuelle Begeisterungsschub für Populisten nicht
verwundern. Die Lähmung der einst internalisierten
Kontrolle setzt auf der Gegenseite unkontrolliert
Trieb- und Impulskräfte des Menschen gefährlich
frei. Wo keine innengesetzten Barrieren mehr regu-
lieren, bricht sich „Archaisches“ Bahn. Kurz gefasst:
„Innengeleitet“ hatte immer auch den anderen Men-
schen mitgedacht, sein Daseinsrecht, seine Bedürf-
nisse und berechtigten Erwartungen. Außengeleitet
impliziert Empathieverlust und Egomanie.
Solche Veränderungen fallen nicht einfach vom
Himmel; an ihnen ist eine gesellschaftliche Dynamik
beteiligt, die soziologisch im Begriff der „Individu-
alisierung“ erfasst werden kann. Damit gemeint ist,
dass das Leben von Frauen und Männern aus einst
gott- oder gesellschaftsgesetzten Umständen „befreit“
ist. Zwänge, wie sie früher bestanden, haben sich auf-
gelöst und die Menschen in die alleinige Verantwor-
tung für ihr Leben entlassen. Religiöse Determinan-
ten, Traditionen und Wertvorstellungen sind zusam-
mengebrochen. Das Selbst-Recht dominiert. Je stär-
ker der Individualschub, desto schwächer die
gesellschaftlichen Normen. „Ich-Steuerung“ ist ei-
gennütziges Kalkül, nicht nur selbstbezogen, sondern
selbstherrlich, durchsetzungsstark gegen andere,
rücksichtslos. Romano Guardini, italienisch-deut-
scher Theologe und Kulturphilosoph, hat dazu schon
vor einigen Jahrzehnten in seiner Tugendlehre no-
tiert: „Echte Höf lichkeit ist Ausdruck von Achtung
vor der menschlichen Person. Sie macht, dass die
vielen, die im engen Raum des Lebens einander be-
ständig begegnen, es tun können, ohne sich wech-
selseitig zu verletzen.“
Walter Hollstein, emeritier-
ter Professor für politische
Soziologie, lebt in Basel. Er
ist Autor zahlreicher Bü-
cher, Gutachter des Euro-
parates für soziale Fragen
und einer der bekanntesten
und anerkanntesten Män-
nerforscher des deutsch-
sprachigen Raums
Gebunden mit Schutzumschlag
19,99 [D] | ISBN 978-3-424-20168-0
Auch als E-Book und Hörbuch erhältlich
PSYCHOLOGIE ENTDECKEN
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Menschen beeinfl ussen, und wie bleibt man
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