ten wir in der Tat annehmen, dass Del-
fine über ein echtes Bewusstsein ihres
Bewusstseins verfügen.
Sie gehen also davon aus, dass es ein
Gehirn braucht, um Bewusstsein zu
entwickeln. Warum polemisieren Sie
dann in Ihren Büchern so heftig gegen
die Bemühungen der Hirnforscher,
unser Bewusstsein anhand der Vor-
gänge im Gehirn zu erklären?
Es gibt eine riesige Kluft zwischen dem
Anspruch der Hirnforschung und dem,
was sie wirklich kann. Angenommen,
wir sehen, wie jemand Fahrrad fährt.
Und nun wollen wir erklären, was Fahr-
radfahren ist. Wir könnten eine Theorie
entwickeln, die bis in die kleinsten Ein-
zelheiten die Beschaffenheit des Fahr-
rads beschreibt, vom Material über den
Reifendruck bis zu den akustischen
Schwingungen der Klingel. Doch bei all
dem hätten wir nichts über das Fahrrad-
fahren gelernt, sondern nur etwas über das Fahrrad.
Nun braucht man zwar ein Fahrrad, um Fahrrad zu
fahren, aber Fahrradfahren ist in keiner Weise iden-
tisch mit dem Fahrrad. So ist es mit der Hirnfor-
schung und dem Bewusstsein: Das Gehirn entspricht
dem Fahrrad, nicht dem Fahrradfahren.
Wenn es aber doch gelänge, ein Aktivierungs-
muster im Gehirn ausfindig zu machen, aus dem
sich zu 100 Prozent ableiten lässt, was ich in die-
sem Augenblick erlebe, denke, wünsche, beab-
sichtige – könnte man dann sagen: Dieser Hirn-
zustand und mein Bewusstsein sind identisch?
Die Forschung ist davon unendlich weit entfernt.
Niemand hat auch nur die Spur einer Ahnung davon,
was etwa das neuronale Korrelat in Einsteins Gehirn
bei der Entdeckung der Relativitätstheorie war. Aber
ich bin gerne bereit zu unterstellen, dass man für
alle Bewusstseinszustände eine neuronale Entspre-
chung im Gehirn finden könnte. Doch daraus folgt
nichts, außer dass das Gehirn immer in einem be-
stimmten Zustand ist, wenn ein bestimmter Bewusst-
seinszustand vorliegt. Philosophisch brächte uns die-
se Entdeckung nicht weiter, denn sie sagt nichts da-
rüber aus, auf welche Weise diese Gehirn- und Be-
wusstseinszustände miteinander verbunden sind.
Theoretisch ließe dies sogar die Vorstellung zu, dass
ich eine immaterielle Seele habe, die aus dem Nir-
gendwo auf der Klaviatur meines Gehirns spielt. Die-
sen Dualismus halte ich für abwegig – doch auf hirn-
physiologischem Weg ist er nicht zu widerlegen.
In Ihrem Buch Ich ist nicht Gehirn nennen Sie die
Idee, „unser Ich mit dem Gehirnding unter der
Schädeldecke zu identifizieren“, eine „Entlas-
tungsfantasie“. Was soll daran entlastend sein?
Wenn ich es schaffe, mir zu sagen: „Ich bin das Ge-
hirnding unter meiner Schädeldecke“, dann bin ich
entlastet von der mühsamen Arbeit, ständig zu ent-
scheiden, wer ich denn sein will. Ich bin dann ent-
lastet von all den moralischen Fragen, die das Leben
ständig an uns stellt. Denn wenn ich das Gehirnding
b i n , d a n n k ö n n t e e s j a e i n e n E x p e r t e n f ü r m e i n S e l b s t -
sein geben, der mich aus der Außenperspektive bes-
ser beurteilen kann als ich mich selbst. Das könnte
etwa ein Neurologe sein, der mir sagt: „Ich verschrei-
be dir eine Pille gegen deine Depressionen, denn die
sind nichts anderes als dieser Hirnzustand.“
Unser Bewusstsein wird oft mit einer Kino- oder
Theatervorführung verglichen, in der wir selbst
vorkommen. Wie können wir gleichzeitig der Be-
obachter und das Beobachtete sein?
Man sieht daran schon, dass dies ein widersprüchli-
ches Gedankenexperiment ist. Man kann sich Be-
wusstsein zwar als einen grandiosen Film vorstellen,
angereichert mit Gerüchen, Sinnesempfindungen
und Erinnerungen. Und in diesem Film spielen wir
selbst mit, sind mittendrin – bis dahin funktioniert
die Metapher. Probleme gibt es, wenn wir zusätzlich
einen Homunculus, ein kleines Männchen herbei-
zaubern, das sich diese Filmvorführung anschaut.
Zwar sind meine Erlebnisse natürlich Teil von mir
Bewusstsein
ohne Ich
ist ein patho-
logischer
Zustand: Der
Erleuchtete
ist wahn-
sinnig