Studien zufolge bilden ärztliche Behand-
lungsirrtümer die dritthäufigste Todes-
ursache in den USA. In Großbritannien
u n d F r a n k r e i c h w e r d e n e t w a z e h n P r o z e n t
aller Patienten durch ärztliche Fehler ge-
tötet oder verletzt. Irren ist menschlich.
Aber der direkte Vergleich mit den Feh-
lerquoten der Luftfahrtindustrie offen-
bart ein schockierendes Missverhältnis.
Bei westlichen Fluggesellschaften kommt
nur ein Unfall auf etwa 8 Millionen Flüge.
Warum?
In seinem faktenreichen und unterhalt-
samen Buch Das Black-Box-Prinzip ver-
ficht der britische Journalist und Extisch-
tennisprofi Matthew Syed die These, dass
erfolgreiche Persönlichkeiten, Organisa-
tionen und Gesellschaften eine hohe Be-
reitschaft eint, aus Fehlern zu lernen. Aus-
führlich legt er dar, wie die Techniken,
Institutionen und Kulturnormen der
Luftfahrtindustrie systematisch die Lern-
bereitschaft fördern. „Das hohe Sicher-
heitsniveau der Luftfahrt ist aus den
Trümmern realer Unglücksfälle hervor-
gegangen.“ Alle Daten der Black Boxes, die
bei sämtlichen Flügen die Kommunika-
tion aufzeichnen, werden nach Unfällen
von unabhängigen Experten eingehend
analysiert, damit Piloten in aller Welt die
begangenen Fehler in Zukunft vermeiden.
Zudem lernt das Flugpersonal, laut und
deutlich Kritik zu äußern. Untersuchun-
gen von Krankenhäusern zeigen dagegen,
dass Fehler selten gemeldet werden. Un-
realistische Unfehlbarkeitserwartungen
hindern Ärzte daran, Fehler einzugeste-
hen. Aber Syed berichtet auch von Klini-
ken, deren Fehlerquoten nach der Etab-
lierung von offenen Lernkulturen drama-
tisch sanken.
Anhand von Fallbeispielen aus vielen
Gesellschaftsbereichen demonstriert der
Autor, wie wissenschaftliche Experimen-
te Lernprozesse beschleunigen. So nutzen
große Unternehmen wie Google zahllose
Kontrollstudien, um ihre Leistungen zu
optimieren. Sie behandeln Fehlversuche
als irritierende, aber hilfreiche Informa-
tionen.
Der Autor zeigt, dass erfolgreiche Schü-
ler, Sportler, Unternehmer sowie Wissen-
schaftler zumeist ein dynamisches Men-
schenbild haben. Sie betrachten Nieder-
lagen nicht als Resultat unveränderlicher
Persönlichkeitsmerkmale, sondern als
Wachstumschance. In Studien erhöhte die
Übernahme dieser optimistischen Sicht-
weise die Lernbereitschaft und das Durch-
haltevermögen von Probanden.
Schließlich belegt Syed, dass kluge und
berühmte Menschen überdurchschnitt-
lich stark dazu neigen, Versagen zu leug-
nen. Fehler gefährden das Charisma und
den Ruf, von dem ihre Karrieren abhän-
gen. Ihre Intelligenz hilft beim Erfinden
kluger Ausreden. Der Autor schildert, wie
renommierte Ökonomen und Politiker
offenkundige Fehlprognosen abstreiten.
Tony Blair erklärte 2012, er sei sich „si-
cherer als je zuvor“, dass die Invasion in
den Irak richtig gewesen sei.
Syed streitet für transparente und f le-
xible Institutionen sowie fehlertolerante
Kulturen. Er plädiert dafür, alle bedeu-
tenden Maßnahmen von Staaten und Or-
ganisationen wissenschaftlichen Tests zu
unterziehen. Seine kluge Streitschrift weist
den Weg in eine niemals perfekte, aber
lernende Gesellschaft. MICHAEL HOLMES
Matthew Syed: Das Black-
Box-Prinzip. Warum Fehler
uns weiterbringen. Aus dem
Englischen von Ursula Pesch
und Franka Reinhart. Dtv,
München 2016, 382 S.,
€ 16,90
„Eine befrei-
ende Haltung
gegenüber
Fehlern wür-
de fast jeden
Aspekt unserer
Berufe, Schulen
und politischen
Einrichtungen
verändern“
MATTHEW SYED
Erfolgreich scheitern
Matthew Syed belegt eindrucksvoll, wie in vielen
Branchen aus Fehlern gelernt werden kann
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