Christine Finke: Allein,
alleiner, alleinerziehend.
Wie die Gesellschaft uns
verrät und unsere Kinder
im Stich lässt. Lübbe,
Köln 2016, 239 S., € 14,99
Allein mit Kind?
2,3 Millionen Kinder in
Deutschland wachsen ohne
den Vater oder die Mutter
auf. Drei Bücher beleuchten
die Widrigkeiten des
Alleinerziehens – und die
Chancen, die darin liegen
Kaum jemand wünscht sich, ein Kind al-
lein zu erziehen. Aber viele, die – nach
einer Trennung oder von Anfang an, frei-
willig oder gezwungenermaßen – allein-
erziehend sind, haben dadurch auch eine
Menge gelernt: Sie haben Organisations-
talent, Disziplin und Durchsetzungsfä-
higkeit entwickelt oder die Gabe, einen
Freundeskreis zu pf legen.
Allerdings sind auch die Probleme oft
groß, von der Organisation des Alltags bis
zum knappen Geld. Die wirtschaftliche
Situation ist der eigentliche Skandal: Al-
leinerziehende leben fünfmal häufiger in
Armut als Paarhaushalte (Bertelsmann-
Studie 2015). Christine Finke, alleinerzie-
hende Mutter von drei Kindern, promo-
vierte Anglistin, freie Journalistin und
Kinderbuchautorin, hat ihrer Wut über
die vielfältigen Belastungen in ihrem All-
tag Luft gemacht: die immerwährende
Verantwortung für alles, die ungute Mi-
schung aus Erschöpfung, Geldsorgen und
sozialer Isolation, das Trennungsgift der
Anwesenheit eines feindselig gestimmten
anderen Erwachsenen, der ständig quer-
schießt. Ihr Buch will Tausenden von Al-
leinerziehenden eine Stimme geben und
sie vom Rand in den Mittelpunkt der Auf-
merksamkeit holen. Finke klagt an, un-
terbreitet aber auch klare Vorschläge, was
konkret zu ändern wäre, um etwa die
strukturelle Benachteiligung Alleinerzie-
hender in rechtlicher, steuerlicher oder
finanzieller Hinsicht abzufedern. Das tut
dem berechtigten Aufschrei aber keinen
Abbruch: Wie politisch das Persönliche
sein kann – darüber lässt sich treff lich
streiten. Für diejenigen, die sich bereits
ausführlich mit der Lebenssituation Al-
leinerziehender auseinandergesetzt ha-
ben, wird das Buch wenig wirklich neue
Erkenntnisse bringen. Alle anderen finden
einen gut recherchierten und trotzdem
sehr persönlichen Einblick in die Widrig-
keiten eines Lebensmodells, in dem sich
immer mehr Menschen mit Kindern wie-
derfinden.
Die Kulturjournalistin Bernadette
Conrad erzählt in ihren Porträts von den
unterschiedlichen „kleinsten Familien der
Welt“, die sie mit ihrer eigenen Erfahrung
vom Leben mit einer Tochter verwebt. Sie
öffnet den Blick auf die Chancen dieses
Lebensmodells, ohne die bekannten
Schwachstellen zu leugnen. All das Ein-
springen, Übernehmen, Grenzen – ver-
wischenlassen – eine ungute Rollenun-
klarheit kommt zwar auch in traditionel-
len Familien vor, wenn die Kinder mit-
unter eine Verantwortung übernehmen,
die über ihr Alter und ihre Rolle hinaus-
geht. In Alleinerziehendenfamilien ge-
schieht das aber häufiger, und „vielleicht
sollte man einfach zugeben, dass Rol-
lenunklarheit eine vielleicht nicht ver-
meidbare Folge der Art von Nähe ist, die
man als kleinste Familie erlebt“. Das zu
erkennen wäre schon der erste Schritt. Zu
vermeiden, dass sich falsche Routinen ein-
schleichen und daraus eine feste Rolle
wird, wäre der zweite. Es sind Einsichten
wie diese, die dieses Buch so lebensfreund-
l i c h w i r k e n l a s s e n u n d a u c h g a n z p r a k t i s c h