Partygast trifft
Einzelgänger
Michael Lewis stellt die israelischen Verhaltens-
ökonomen Amos Tversky und Daniel Kahneman
in einem Doppelporträt vor
Vor der Verhaltenspsychologie gibt es
Sport: 30 Seiten Baseball. Der 1960 gebo-
rene Amerikaner Michael Lewis, Wirt-
schaftswissenschaftler und Autor erfolg-
reicher Bücher über die Finanzbranche,
beginnt sein Buch über ein geniales
israelisches Forscherpaar mit einem
Bericht über die Statistikrevolution im
US-Baseball. Anhand der Oakland
Athletics schilderte er bereits 2003 in
seinem Buch Moneyball, wie subjektive
Spielereinschätzungen durch Computer-
analysen ersetzt wurden und das lange
e r f o l g l o s e Te a m d e n Me i s t e r t i t e l g e w a n n.
Was Lewis damals nicht wusste, war,
dass diese Erkenntnis nicht neu war. Dass
Menschen keineswegs rationale Entschei-
dungen treffen, sondern fälschlich ihrer
keinesfalls vorurteilsfreien Intuition
vertrauen, war bereits Jahrzehnte zuvor
in Jerusalem erforscht worden – von zwei
Psychologen der Hebrew University, Amos
Tversky (1937–1996) und dem 1934 gebo-
renen Daniel Kahneman.
So unterschiedlich temperiert sie wa-
ren, Tversky ein Optimist, rasanter Denker
und beliebter Partygast, Kahneman
zweifelnd, sorgfältig und einzelgänge-
risch, verband sie anderes: Beide waren
Enkel osteuropäischer Rabbiner. Kahne-
man war ein Holocaustüberlebender, der
ab 1940 mit seiner Familie durch Frank-
reich f liehen musste, Tversky wurde in
Palästina geboren.
Ihre zentralen Forschungen kreisten
um Entscheidungen. Wieso schätzen
Menschen Risiken bei einer Kosten-Nut-
z en-A bwä g u ng fa l sch ei n? Wa r u m t re ten
kognitive Verzerrungen auf? Weshalb
investieren Menschen Kraft ins Stabili-
sieren des Status quo, statt Situationen zu
ändern? Wie entsteht Risikofreude, wann
schlägt Risikoscheu zu? Und was ist der
Grund, dass Verlustangst schwerer wiegt
als die Hoffnung auf Gewinn? 1979
präsentierten Tversky und Kahneman ihre
Prospect Theory, die „neue Erwartungs-
theorie“, die seither in vielen Bereichen
wirksam geworden ist. 2002 erhielt Kahne-
man – Tversky war 1996 gestorben – hier-
für den Nobelpreis in der Rubrik Wirt-
schaftswissenschaften.
Die geradezu symbiotische Zusam-
menarbeit des Forscherpaares schildert
Lewis sehr lebendig, Kahneman und
Tversky waren so etwas wie der Lennon
und McCartney der Verhaltensökonomie.
Ihre wochenlangen Diskussionen schall-
ten auch manchmal der Außenwelt ent-
gegen, weil nicht selten aus ihren Arbeits-
zimmern Gelächter oder lautstarke
Kontroversen zu hören waren.
Michael Lewis erzählt ihre Geschichte
plastisch und mit dem Flair einer Repor-
tage. Bildet die Prospect Theory in Daniel
Kahnemans eigenem Buch Schnelles
Denken, langsames Denken (2012) nur ein
Kapitel, so wird sie hier umfassend dar-
gestellt, einschließlich Verzweigungen.
Auch von der zunehmenden Entfremdung
der beiden später in den USA und Kana-
da lehrenden Freunde ist die Rede. Am
Ende bedauert man, dass Aus der Welt
nicht noch länger ausgefallen ist.
ALEXANDER KLUY
Michael Lewis: Aus der Welt.
Grenzen der Entscheidung
oder Eine Freundschaft, die
unser Denken verändert hat.
Aus dem Englischen von
Jürgen Neubauer und
Sebastian Vogel. Campus,
Frankfurt a. M. 2017,
359 S., € 24,95
Leseprobe in der App
http://www.hogrefe.com
Angelika SchettDes Menschen
Traurigkeit
Zwölf Gespräche
Angelika Schett
Des Menschen
Traurigkeit
Zwölf Gespräche
- 252 S., Gb
€ 24,95 / CHF 32.50
ISBN 978-3-456-85657-5
Auch als eBook erhältlich
Die ganz normale Traurigkeit – nicht
die Depression, nicht die Melancho-
lie, auch nicht die Trauer. Traurigkeit
begleitet uns ein Leben lang. Sie
braucht keine Therapie. Zwölf Ge-
spräche zum Thema.
Angelika Schett spricht mit Philo-
sophen, Psychiatern, Kulturwissen-
schaftlern und Psychoanalytikerin-
nen rücken aus unterschiedlichen
Perspektiven die Traurigkeit ins
Zentrum. Auch um ein gutes Wort
für sie einzulegen.
Warum ist die
Traurigkeit
sympathisch?