Die Welt Kompakt - 27.11.2019

(Michael S) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,27.NOVEMBER2019 FORUM 15


N


ach dem Parteitag der
CDU ist vor dem Par-
teitag der SPD. Zur Mitte
der Legislaturperiode
sortiert man sich. Die
Unionspolitiker haben in Leipzig deut-
lich gesagt, dass nun mal Schluss sein
müsse mit dem Verteilen von sozialen
WWWohltaten. Die Sozialdemokraten da-ohltaten. Die Sozialdemokraten da-
gegen schicken sich an, jetzt erst so
richtig in die Vollen zu gehen. Bei der
Rente verspricht die SPD den heutigen
und allen künftigen Senioren ein stabi-
les Rentenniveau – obwohl in den
nächsten Jahren immer weniger Bei-
tragszahler viel mehr Senioren alimen-
tieren sollen. Doch nicht nur für die
AAAlten baut die Partei Luftschlösser.lten baut die Partei Luftschlösser.
AAAuch den Familien machen die Sozial-uch den Familien machen die Sozial-
demokraten riesige Versprechungen.
Eltern sollen eine Kindergrundsiche-
rung von bis zu 478 Euro pro Kind
erhalten plus beitragsfreie Kitas, kos-
tenlose Ganztagsangebote für Schul-
kinder und freie Fahrt mit Bus und
Bahn beim Nahverkehr. Je niedriger das
Haushaltseinkommen ist, desto mehr
Kindergeld soll Vater Staat drauflegen.
Die Sozialdemokraten wildern unge-
niert bei der Linkspartei, die solche
Vorschläge schon seit Jahren pro-
pagiert. Während die Frage nach der
soliden Finanzierung eine Oppositi-
onspartei selten interessiert, sollte das
bei der SPD, die erklärtermaßen auch
in Zukunft regieren möchte, anders
sein. Umso mehr irritiert, dass mit
Bundesfinanzminister Olaf Scholz
ausgerechnet Deutschlands oberster
Kassenwart immer neue unbezahlbare
Sozialprojekte ins Schaufenster der
SPD stellt. Scholz, der gute Chancen
hat, bald seine panisch links blinkende
Partei zu führen, versucht das Kunst-
stück, als Wahlkämpfer um den Partei-
vorsitz Spendierhosen zu tragen, wäh-
rend er gleichzeitig als Vizekanzler die
schwarze Null im Bundeshaushalt
verteidigt und alle Angriffe auf die
Schuldenbremse abwehrt.
Mit dem Vorstoß für eine Kinder-
grundsicherung und den neuen Ren-
tenversprechen bereiten sich die Sozi-
aldemokraten inhaltlich schon auf die
nächste Bundestagswahl vor. Und sie
machen klar, dass sie ihre Zukunft in
einem Bündnis mit Linker und Grünen
sehen. Zumal die Schnittmenge per-
manent größer wird. Einig wäre man
sich in diesem Dreierbündnis, den
gesetzlichen Mindestlohn auf zwölf
Euro anzuheben, ein Vorschlag, den
Scholz seit Längerem propagiert. Eine


schärfere Regulierung der Mieten und
eine lenkende Rolle des Staates in der
Wirtschaft wären weitere Gemein-
samkeiten in einer solchen Koalition.
Die schwarze Null allerdings passt
dann wohl nicht mehr ins Konzept.
Die Kindergrundsicherung mag auf
den ersten Blick ein guter Wahlkampf-
schlager sein. Schließlich soll das Gros
der Familien mehr Geld bekommen.
VVVerlierer einer solchen Reform wärenerlierer einer solchen Reform wären
lediglich die von der SPD ohnehin ver-
achteten Gutverdiener. Diese können
im derzeitigen System den Kinderfrei-
betrag geltend machen, der pro Kind
bis zu 300 Euro im Monat Steuerent-
lastung bringt und damit mehr als das
Kindergeld, das derzeit 204 Euro be-
trägt. Doch das Geschrei der Linken,
dass im heutigen System der Nach-
wwwuchs der Reichen bevorzugt würde, istuchs der Reichen bevorzugt würde, ist
aaabsurd. Denn der Freibetrag stellt le-bsurd. Denn der Freibetrag stellt le-
diglich sicher, dass der Staat das Exis-
tenzminimum der Kinder nicht be-
steuert – wie dies schließlich auch bei
jedem Erwachsenen gewährleistet wird.
Die SPD will nun aber den Kinderfrei-
betrag und damit das steuerliche Exis-
tenzminimum kräftig kürzen und be-
gründet das mit all den versprochenen
Kostenlosangeboten wie Kitas und
Kindertickets. Auf der anderen Seite
soll der Staat jedoch Arbeitslosen oder
Geringverdienern in Zukunft weit mehr
als das Existenzminimum als Geld-
leistung gewähren. Und das obwohl
auch die Kinder dieser Familien von
lauter Kostenlosleistungen profitieren
wwwürden. Es geht der SPD mithin umürden. Es geht der SPD mithin um
eine gewaltige Umverteilung zwischen
den Familien. Und weil die SPD-Kinder-
geldreform milliardenschwere Zusatz-
kosten verursachte, müssten außerdem

Das Füllhorn


der SPD


Die Sozialdemokraten planen eine


Kindergeld-Revolution: Wer nichts oder


wenig verdient, soll bis zu 448 Euro bekommen,


Wohlhabende dagegen steuerlich bluten.


Das hätte fatale Folgen


DOROTHEA SIEMS

LEITARTIKEL


alle Steuerzahler für den Familien-
lastenausgleich mehr berappen.
Dass sich mit kräftig erhöhten Geld-
leistungen für einkommensschwache
Familien die Kinderarmut im Land
effektiv bekämpfen lässt, ist höchst
zweifelhaft. Die SPD will mit ihrem
Konzept dafür sorgen, dass kein Kind
mehr allein von Hartz IV leben muss.
Die Geldleistung geht jedoch immer an
die Eltern. Und deshalb kann die Poli-
tik gar nicht sicherstellen, dass die
Kinder am Ende tatsächlich von dem
Geldsegen profitieren. Schon heute
können Geringqualifizierte mit mehre-
ren Kindern mit ihrer eigenen Arbeit
kaum ein Einkommen erzielen, das
höher ist als Hartz IV. Und manche
Väter oder Mütter versuchen es auch
gar nicht erst. Von der Kindergrund-
sicherung dürfte eine fatale Anreiz-
wirkung ausgehen, die eher für eine
Vergrößerung der sozialen Probleme
sorgen dürfte.
Gerade am unteren Einkommens-
rand sind fehlende Konsummöglich-
keiten nicht das größte Problem. Was
nottut, sind vor allem bessere Bil-
dungschancen, denn ohne diese gelingt
nur selten der soziale Aufstieg. Die
Kostenloskitas für alle, die von der SPD

versprochen werden, mindern jedoch
die Chance auf Qualitätsverbesserun-
gen beim Angebot. Berlin ist dafür das
beste Beispiel: In der Hauptstadt bietet
der rot-rot-grüne Senat den Familien
schon gebührenfreie Kinderbetreuung,
Ganztagsschulen und kostenlose Schü-
lertickets – doch in puncto Bildungs-
standards landet die Stadt regelmäßig
am untersten Ende Deutschlands. Und
auch bei der Integration ausländischer
Kinder schneidet Berlin besonders
schlecht ab. Soll das die Zukunft für
ganz Deutschland sein?
Großzügigere Transferleistungen
sind kein probates Mittel gegen Kin-
derarmut. Nötig ist vielmehr die Ak-
tivierung der Eltern. Wer Familien
umso mehr Geld verspricht, je weniger
sie selbst erwirtschaften, der dämpft
jedoch die Leistungsbereitschaft der
Transferempfänger. Demotiviert wer-
den aber auch die Finanziers. Die Gut-
verdiener, die nach dem Willen der
SPD schon den Solidaritätszuschlag
ewig zahlen sollen, will die Partei nun
über die Kürzung des Kinderfreibe-
trags steuerlich auch an dieser Stelle
zusätzlich belasten. Weil sich Leistung
auf diese Weise immer weniger lohnt,
wären langfristig die Kosten einer
solchen familienpolitischen Radikalre-
form noch weitaus höher, als von der
SPD mit elf Milliarden Euro pro Jahr
veranschlagt.
Deutschland steht aufgrund des
rasanten gesellschaftlichen Wandels
vor enormen Herausforderungen. Die
Sozialdemokraten aber haben keine
Zukunftsvision, sondern geben sich
nun völlig dem Sozialpopulismus hin.
Das ist eine Tragödie.
[email protected]

Großzügigere Transferleistungen ǑǑ


sind kein probates Mittel


gegen Kinderarmut


KOMMENTAR

DANIEL WETZEL

Klima im


Konjunktiv


A


utobauer und ihrer Zulieferer
bauen Tausende Stellen ab.
Auch in der Energiewirtschaft
ist der personelle Aderlass erheblich.
Der Druck auf Chemie- und Stahl-
industrie wächst ebenfalls. Und stets
ist der Hintergrund derselbe: Ver-
brennungsmotoren sollen ausgemu-
stert, Industrieprozesse CO 2 -neutral
gestellt werden. So will es die Klima-
politik. „Die Zukunft hat uns bereits
erreicht“, mahnt erneut Bundes-
umweltministerin Svenja Schulze
(SPD). „Deutschland steckt mitten
drin in der Erderhitzung.“ Das mag
sein: Die Durchschnittstemperatur in
Deutschland hat seit Ende des 18.
Jahrhunderts um 1,5 Grad zugenom-
men. Es gibt jetzt mehr Hitzetage
und deshalb mehr Hitzetote, man-
cherorts bleibt im Sommer der Bo-
den zu trocken. So steht es im neuen
Monitoringbericht der Umweltmini-
sterin zu den Folgen des Klimawan-
dels für Deutschland.
Nur: Die Beschreibung des Ist-
zustands ist damit fast schon abge-
schlossen. Auf das Wirtschaftsleben,
das geht aus dem Bericht auch her-
vor, hat die Erwärmung bislang kaum
Auswirkungen. Ein überraschender
Befund nach den von Klimaangst
geprägten Schlagzeilen. Pausenlos
Hochwasserkatastrophen? „Signifi-
kante Trends lassen sich nicht fest-
stellen.“ Dürren? „Während die mitt-
leren Regenmengen im Sommer
weitestgehend unverändert geblieben
sind, ist es insbesondere im Winter
signifikant feuchter geworden.“
Sturm? „Ein signifikanter Trend
zeichnet sich für den Schadenauf-
wand in der Sachversicherung bisher
nicht ab.“ Hagelereignisse? Es gibt
eher einen „fallenden Trend“.
AAAber wenn im heißen Sommer derber wenn im heißen Sommer der
Rhein unbefahrbar ist, ist doch si-
cherlich der Klimawandel schuld?
Die Berichterstatter des Umwelt-
bundesamtes und des Ministeriums
winken auch hier ab: da ließen sich
„statistisch signifikante Trends bis-
lang nicht ableiten“. Selbst der Win-
tersporttourismus darf hoffen: Be-
züglich der Anzahl der Tage mit
weniger als 30 Zentimeter Schnee
gebe es „für keinen der skitouristi-
schen Räume in Deutschland einen
signifikanten Trend“.
Der Klimafolgenbericht hat Stand
heute noch wenig vorzuweisen.
Recht eigentlich geht es darin um
mögliche Folgen der zukünftigen,
prognostizierten Entwicklung. Da ist
viel Klimakonjunktiv im Spiel. Der
umweltpolitisch befeuerte Arbeits-
platzabbau findet jedoch hier und
heute und im Indikativ statt. Die
Zahl der von klimapolitischen Ein-
griffen betroffenen Arbeitnehmer
wächst schnell. Damit wächst auch
die Verantwortung der Klimawissen-
schaft, die noch bestehenden Pro-
gnoseunsicherheiten rasch und über-
zeugend auszuräumen.
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