Handelsblatt - 27.11.2019

(Barré) #1
P. Köhler, C. Krapp, R. Landgraf
Frankfurt, Düsseldorf

D


ie Aktien des chinesi-
schen Onlinehändlers
Alibaba sind bei ihrem
Börsenstart in Hong-
kong um fast acht Pro-
zent gestiegen. Zur Eröffnung legten
die Papiere am Dienstag von ihrem
Ausgabepreis bei 176 auf 187,60 Hong-
kong-Dollar zu. Im weiteren Handels-
verlauf gaben die Aktien zwar nach,
gingen aber noch mit einem Kursge-
winn von 6,6 Prozent aus dem Handel.
Vor fünf Jahren war Alibaba mit ei-
nem Volumen von 25 Milliarden Dollar
an die New Yorker Börse gegangen –
bis heute das größte Initial Public Offe-
ring (IPO) der Welt. Bei der jetzt erfolg-
ten Zweitnotierung an der Hongkonger
Börse mit einem Volumen von mehr
als elf Milliarden Dollar handelt es sich
zwar bisher um den weltweit größten
Börsengang 2019.
Allerdings war in Medienberichten
sogar über noch höhere Summen von
15 Milliarden Dollar spekuliert worden.
Eine Notierung der Aktie näher am
Heimatmarkt ist ein lang gehegter
Traum von Jack Ma, dem Milliardär

und Mitgründer von Alibaba. Alibaba
hat bei dem Börsengang in Hongkong
500 Millionen Anteilsscheine zu je 176
Hongkong-Dollar ausgegeben. Die Pa-
piere werden unter dem Code 9988 ge-
handelt — die Zahlen stehen in Chinas
Kultur für Wohlstand und Glück. Die
Zweitnotierung fällt in eine Zeit, in der
die Wirtschaft von Hongkong durch
anhaltende Proteste massiv eingebro-
chen ist. Im dritten Quartal ist das BIP
der Sonderverwaltungszone im Ver-
gleich zu den drei Monaten zuvor um
3,2 Prozent gesunken, damit befindet
sich Hongkong in einer Rezession.
Die Sekundäremission in Hongkong
könnte Vorbild für chinesische Tech-
Giganten wie den Fahrdienstleister Di-
di oder den Konzern Bytedance sein,
die sich bei ihren Börsengängen auch
zwischen den USA und Hongkong ent-
scheiden müssen.
Der Börsengang in Hongkong war ei-
gentlich bereits vor fünf Jahren geplant
gewesen, scheiterte jedoch an einem
Streit mit der Börsenaufsicht. Erst Re-
geländerungen des Börsenbetreibers
HKEX im vergangenen Jahr machten
den Start in Hongkong möglich. „Dan-
ke, Hongkong, und Dank an die
HKEX“, sagte Alibaba-Chef Daniel

Zhang. Das frisch eingesammelte Geld
dürfte Alibaba unter anderem in einen
teuren Kampf gegen chinesische Riva-
len stecken. Außerdem gehen Beob-
achter davon aus, dass Alibaba das ein-
gesammelte Kapital für die Entwick-
lung neuer Technologien einsetzen
wird, etwa im Bereich der Künstlichen
Intelligenz.
Auch schnell wachsende Töchter
wie Ant Financial könnten damit ge-
stärkt werden. Letztlich könnte die
Zweitnotierung außerdem eine Absi-
cherung sein, sollte sich der Handels-
konflikt zwischen Peking und Washing-
ton verschärfen, analysiert die Nach-
richtenagentur Bloomberg. US-Senator
Marco Rubio hat in den vergangenen
Wochen sogar den Ausschluss von chi-
nesischen Konzernen von den US-Bör-
sen ins Spiel gebracht.
Während in den USA das laufende
Jahr für Börsengänge technologiege-
trieben war, was sich in einem Volu-
men von 21,9 Milliarden Euro für neue
Tech-Aktien nach den Berechnungen
der Investmentbank Lazard ausdrückt,
fällt Europa deutlich zurück. Hier sind
es bislang gerade einmal 8,1 Milliarden
Euro. Deutschland wurde 2019 von der
Aktienneuemission des Softwarekon-
zerns Teamviewer mit über zwei Milli-
arden Euro geprägt.
Dass es in Europa und Deutschland
schwer ist, neue Investoren zu gewin-
nen, macht die Kursentwicklung nach
dem Börsengang deutlich. In den USA
liegt sie seit 2010 bei durchschnittlich
plus 17,6 Prozent in den ersten sechs
Monaten nach der Börsennotiz, in
Europa bei noch ordentlichen 9,4 Pro-
zent, in Deutschland nur noch bei drei
Prozent.
Für Dominik Bär, Chef des Aktien-
emissionsgeschäfts in Deutschland,
schauen deshalb gerade US-Investoren
kritisch nach Europa. „Eine durch-
wachsene Kursentwicklung und sport-
liche Wachstumsprognosen der Unter-
nehmen führen zu erhöhter Vorsicht“,
sagt er. Wenn einmal das Vertrauen
verspielt sei, dauere es Jahre, bis es
wieder gewonnen werden könne.
An den deutschen Handelsplätzen
kann man jedenfalls von Mega-Börsen-
gängen wie Alibaba derzeit allenfalls
träumen. So gab der Ökostromprodu-
zent Summiq am Dienstag die Details
seines Debüts an der Börse München
bekannt. Das Emissionsvolumen be-
läuft sich hier auf maximal 100 Millio-
nen Euro.

Zweitnotierung


Alibaba-Aktien


stark gefragt


Der chinesische Internetkonzern feiert


ein erfolgreiches Börsendebüt an


seinem Zweithandelsplatz in Hongkong.


EU-Gesetzgebung


Streit


über grüne


Geldanlagen


Eva Fischer Brüssel


D


erzeit gibt es keine allgemein
verbindlichen Definitionen,
wann eine Finanzanlage als

„grün“ bezeichnet werden darf. Die


EU arbeitet daran, das zu ändern.


Nur: Die Trilogverhandlungen zwi-


schen Rat, Kommission und Parla-


ment stocken. Der Grund: Deutsch-


land und Frankreich, die beiden EU-


Länder mit der höchsten Stimmge-


walt innerhalb der EU, wollen die De-


finition von „grün“ erweitern, sodass


beispielsweise auch Investitionen in


Gas oder Atomkraft darunter fallen


können. Das geht aus einem Arbeits-


dokument der finnischen Ratspräsi-


dentschaft hervor, das dem Handels-


blatt vorliegt.


Genau genommen sollen Indus-


trien, die den Übergang in ein Zeital-


ter mit komplett erneuerbaren Ener-


gien ermöglichen, wie beispielsweise


Gas oder Atomkraft, auch als „grün“


bezeichnet werden dürfen. Einen An-


satz, den Klimaschützer für falsch


halten, da Infrastruktur, die nun ge-


baut werde, noch Jahrzehnte in Be-


trieb sein wird. „Wir glauben, dass


dies von der französischen und der


deutschen Regierung zum Schutz ih-


rer jeweiligen Atom- und Gasindus-


trie vorangetrieben wird“, sagte ein


mit den Verhandlungen Vertrauter


dem Handelsblatt.


Zudem wollen die beiden Länder,


dass sich wandelnde Branchen eben-


falls berücksichtigt werden. Wenn al-


so beispielsweise ein Autobauer an-


gibt, in der Zukunft Klimaneutralität


anzustreben, sollen seine Finanzpro-


dukte auch das Label „grün“ erhal-


ten. Des Weiteren soll es für Finanz-


dienstleister möglich sein, Produkte


als „grün“ zu bezeichnen, die es nach


EU-Gesetzgebung nicht sind, solange


er auf eben jenes hinweist.


Ein weiterer Punkt sieht vor, dass


nationale Regierungen final entschei-


den, was „grün“ ist – und was nicht.


Nach dem Willen des EU-Parlaments


soll dies dagegen die Aufgabe von


Fachexperten sein.


Provokante Vorschläge


An diesem Mittwochabend findet in


Straßburg die nächste Trilogverhand-


lung statt. Insider erwarten dabei kei-


nen Fortschritt. „Die Regierungen ha-


ben extra diese provokanten Vor-


schläge eingebracht. Entweder


bekommen sie, was sie wollen, oder


das Green-Finance-Gesetz stirbt“, ist


aus Beobachterkreisen zu hören.


Tatsächlich stehen die Chancen


nicht schlecht, dass Berlin und Paris


ihren Willen bekommen könnten.


Die Finnen haben ihre Ratspräsident-


schaft unter das Motto Nachhaltigkeit


gesetzt und wollen daher ein EU-Ge-


setz für grüne Finanzprodukte unbe-


dingt durchbringen – wenn auch


möglicherweise mit Abstrichen.


Auch schon bei der Europäischen


Investitionsbank (EIB) hatte Deutsch-


land eine Ausnahme für die Finanzie-


rung von Gas durchgesetzt: Die EIB


wollte eigentlich bis Ende 2020 aus


der Finanzierung fossiler Energien,


wozu auch Gas zählt, aussteigen. Auf


Druck Berlins, das sich die Unterstüt-


zung der Osteuropäer und Italiener


sicherte, wird die Organisation nun


doch noch bis Ende 2021 Geld in Gas-


projekte stecken.


Daniel Zhang:
Der Alibaba-CEO
beim Börsenstart
in Hongkong.

Shutterstock

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MILLIARDEN


Dollar beträgt das
Volumen des Börsen-
gangs von Alibaba
in Hongkong.

Quelle: Bloomberg


Alibaba
Kurs am 26.11.2019 in HK-Dollar

18 7,60 HK-Dollar


HANDELSBLATT

2:15 Uhr 9:15 Uhr


Quelle: Bloomberg

189,50

188,50

187,50

18  ,50

Ausgabekurs:
176,00 HK-Dollar

Finanzen & Börsen
MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229

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