„Es darf nicht noch einmal passieren, dass die
Opel-Beschäftigten die Betroffenen
sind.“
Volker Bouffier, Ministerpräsident Hessens
Worte des Tages
Fed
Gelungene
Zinspause
W
enn Notenbanker spre-
chen, kommt es auf die
Zwischentöne und auf
wenige gesagte oder nicht gesagte
Worte an. Fed-Chef Jerome Powell
ist diese Woche das Kunststück ge-
lungen, de facto das Ende der lo-
ckeren Geldpolitik anzukündigen,
ohne die Märkte zu verschrecken.
Mit seiner jüngsten, dritten Zinssen-
kung in diesem Jahr hat er all jene
beruhigt, die sich Sorgen um die
US-Konjunktur machen. Gleichzei-
tig hat er zu verstehen gegeben,
dass es der Wirtschaft jetzt wieder
so gut geht, dass ihr die Notenbank
nicht mehr weiter unter die Arme
greifen muss.
Man mag darüber streiten, ob der
jüngste Zinsschritt wirklich noch
nötig war. Aber viel wichtiger ist,
dass weitere aggressive Senkungen
erst einmal vom Tisch sind, die Fed
wird eine Pause einlegen.
„Mid cycle adjustment“ ist das
neue Buzz-Wort in der Finanzwelt.
Das soll heißen, dass die jüngsten
Zinsschritte nur eine kleine Anpas-
sung in einer schwierigen Phase in
einem sonst soliden Konjunkturzir-
kel waren. Tatsächlich liegt die Ar-
beitslosigkeit in den USA immer
noch auf einem extrem niedrigen
Niveau, und auch die Preise haben
sich unter dem von der Fed ange-
strebten Wert von zwei Prozent ein-
gependelt. Es gibt nicht mehr wirk-
lich einen Grund, das Zinsniveau
weiter zu senken.
Es bleibt abzuwarten, ob Donald
Trump das genauso sieht. Der US-
Präsident übt seit einem Jahr ex-
trem Druck auf Powell aus, mit ei-
ner lockereren Geldpolitik die Kon-
junktur zu unterstützen.
Powell hat die Zinsen zuletzt vor
allem deshalb gesenkt, weil die ver-
heerende Handelspolitik von
Trump und der drohende Brexit die
Weltwirtschaft und damit auch die
US-Konjunktur bedrohten. Nun sind
die Risiken für einen harten Brexit
gesunken, und auch beim Handels-
streit mit China könnte sich ein Ab-
kommen anbahnen. Die Fed hat al-
so keinen Anlass mehr für eine
noch lockerere Geldpolitik. Schließ-
lich muss sich Powell noch Spiel-
raum lassen, falls die Konjunktur
doch noch einbricht.
US-Notenbankchef Jerome Powell
ist ein kleines geldpolitisches
Kunststück gelungen, meint
Katharina Kort.
Die Autorin ist
New-York-Korrespondentin.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]
D
u hast nur diese Chance, also nutze sie.
Das wird sich der Chef von Peugeot-Ci-
troën (PSA), Carlos Tavares, gesagt ha-
ben, als er nach längerem Zögern die
Fusion mit Fiat-Chrysler (FCA) ansteu-
erte. Die italienisch-amerikanische Kombination aus
Kleinwagen und amerikanischen Benzinfressern ist
kein hochattraktiver Partner. Der portugiesisch-fran-
zösische Technikfan Tavares muss sich vermutlich
die Nase zuhalten, wenn er in einen Jeep oder Ram
steigt. Aber FCA ist derzeit der einzige verfügbare
Partner, um PSA zu mehr Größe zu verhelfen.
Tavares’ seit Jahren vorgetragenes Mantra: „Es
kommt auf Agilität und Rentabilität an, nicht auf
Größe“, war immer nur halb richtig. Profitabel zu
sein ist aber die Grundvoraussetzung für das Über -
leben. Wenn sich selbst ein Riese wie Volkswagen
mit Ford zusammenrauft, um sich auf die Elektro-
mobilität vorzubereiten, ist klar: PSA allein kann die
nötigen Investitionen nicht darstellen.
Damit ist die Entscheidung von Tavares für einen
Zusammenschluss grundsätzlich richtig. FCA ist
auch kein Kümmerling, sondern erreicht einen or-
dentlichen Gewinn, auch wenn das Unternehmen
nicht so hochrentabel ist wie die Franzosen. Das er-
klärt wohl die euphorische Reaktion der Börsen
nach der Bestätigung von Fusionsgesprächen.
Horizont vieler Investoren sind allerdings maximal
die nächsten drei Monate. Der kürzeste Horizont von
Tavares sind die nächsten drei Jahre: Erst später sol-
len die milliardenschweren Synergien voll zum Tra-
gen kommen. Drei Jahre Mindesthaltefrist hat er sich
deshalb von seinen wichtigsten Aktionären ausbe-
dungen. Vorher dürfen sie die neuen Aktien nicht
verkaufen, die sie im Tausch gegen ihre PSA-Papiere
erhalten werden.
Womit wir bei den Mühen und Schwierigkeiten
sind, die dieser Merger verursachen wird, falls PSA
und FCA sich wirklich verständigen. Die größte Nagel-
probe ist die Umstellung auf klimafreundliche Autos.
FCA erwirtschaftet den überwiegenden Teil seiner Ge-
winne in den USA – dank benzinfressender SUVs von
Jeep und Ram. Tavares muss sie auf Entzug setzen, um
die europäischen Normen für den Flottenverbrauch
des fusionierten Konzerns einigermaßen einhalten zu
können. Er hat eine dreijährige Schonfrist, weil FCA
sich in dieser Zeit die Emissionsfreiheit der E-Autos
von Tesla anrechnen lassen darf. Dann wird es ernst.
Schon technisch ist das eine Herausforderung. Und
selbst wenn das klappt: Kann man sich vorstellen,
dass die Fans der US-Marken noch Monster-Gelände-
wagen und Pick-ups kaufen, die nicht mehr grollen
und donnern, sondern schnurren wie ein Kätzchen?
PSA selber ist spät in die Elektrisierung gestartet,
hat erst wenig Erfahrung damit, auch wenn die Platt-
formen inzwischen darauf eingestellt sind. Wie ernst
Tavares diese Herausforderung nimmt, kann man in
seinen Interviews zum Thema nachlesen: Da spricht
er von Emissionsnormen, die „existenzbedrohend“
seien für die europäische Autoindustrie. Dieser Auf-
schrei kommt von Herzen und hat einen triftigen
Grund, eben die hohen Kosten für die Franzosen.
Das zweite Großproblem sind die Überkapazitäten
in Europa. Die Fiat-Werke sind sehr schlecht ausge-
lastet. Die Börsen feiern den Zusammenschluss, weil
sie darauf hoffen, dass die Konsolidierung der Auto-
industrie vorankommt. Das setzt aber voraus, dass
Überkapazitäten abgebaut werden. PSA stellt Syner-
gien von 3,7 Milliarden Euro in Aussicht, wie auch
damit verbundene Kosten in Höhe von 2,8 Milliarden
Euro. Es wird also wohl mit teuren Sozialplänen
oder Angeboten für freiwilliges Ausscheiden gerech-
net. Das ist nur die finanzielle Seite. Die politischen
Belastungen, die mit Auseinandersetzungen um Per-
sonalabbau verbunden sind, haben die Architekten
des Mergers wohl nicht auf der Rechnung.
Hier geht es nicht nur um Fiat. PSA ist viel zu sehr
von Europa abhängig, verkauft hier fast neun von
zehn Autos. Das muss sich ändern, und deshalb wird
auch der gesunde französische Teil des künftigen
Ganzen auf Sicht Produktion aus Europa auf andere
Kontinente verlagern müssen.
Bleibt das Problem Asien, das auch der clevere
Carlos noch nicht lösen konnte. Seit drei Jahren bre-
chen die PSA-Verkäufe in China ein. Darauf hat Tava-
res bislang keine befriedigende Antwort gefunden.
Nun hängt sich auch noch FCA wie ein Klotz an die
in China mühsam über Wasser bleibenden Franzo-
sen und will von dem neuen französischen Partner
auf dem größten Automarkt der Welt in eine glän-
zende Zukunft gezogen werden.
Beruhigend ist, dass die Führungsfragen geklärt
sind. Tavares soll Chef der Gemeinschaftsfirma wer-
den. Die PSA-Seite wird die Mehrheit im Verwal-
tungsrat haben. Der „Merger unter Gleichen“ wird
also in Wahrheit eine Fusion unter französischer
Führung. Das ist gut, weil Tavares seine Fähigkeiten
bewiesen hat. Offen ist, ob amerikanische und italie-
nische Manager sich von ihm führen lassen, wie es
bei Opel der Fall ist: Italiener bekommen Pickel,
wenn ein Franzose ihnen Anordnungen gibt. Der cle-
vere Carlos steht vor seiner größten Härteprobe.
Leitartikel
Kraftprobe für den
cleveren Carlos
Die Fusion von
PSA und FCA ist
rational. Ein
Erfolg wird sie
damit aber noch
lange nicht,
argumentiert
Thomas Hanke.
Die Börsen feiern
die Fusion, weil
sie hoffen,
dass die
Konsolidierung
der Autoindustrie
vorankommt.
Das setzt aber
voraus, dass
Überkapazi -
täten abgebaut
werden.
Der Autor ist Korrespondent in Paris.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Meinung
& Analyse
(^24) WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211