Ins Wochenende mit ...
(^58) WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211
Werner Herzog: Einer
der produktivsten und
bekanntesten Regis-
seure Deutschlands.
Ki Price/CAMERA PRESS/laif
„Stechuhren kurz
und klein schlagen“
Der prominente Filmregisseur spricht über seine
neue Serie zum Autopionier Henry Ford, erklärt, warum er kein
Smartphone besitzt und wieso er den
Europäischen Filmpreis für sein Lebenswerk
am liebsten gar nicht erhalten will.
T
reffen im Ignaz-Günther-Haus in
Münchens Altstadt. Ein Baudenkmal,
das im Kern auf das Mittelalter zu-
rückgeht. Werner Herzog, im Ausland
bekanntester deutscher Filmregis-
seur, ist pünktlich. Er kommt von einem Termin
mit seiner Schwester, die ebenfalls als Regisseurin
arbeitet. Nach dem Interview trifft er seinen Bru-
der, mit dem er eine Produktionsfirma hat. Der
Familienunternehmer ist vom Wohnort Los Ange-
les in seine Geburtsstadt gekommen, um den
nach ihm benannten Filmpreis zu verleihen.
Herr Herzog, in 56 Jahren Filmemachen haben
Sie sich inhaltlich nie mit Wirtschaft beschäftigt.
Ist sie so langweilig?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja in meiner Rolle
als Produzent mittendrin. Mein Langzeit-Überle-
ben beruht auf verantwortlichem Wirtschaften.
Normalerweise haben selbst Regisseure wie Or-
son Welles nur eine Halbwertszeit von 15 Jahren.
Ich schaffe es länger.
Finanzen sind Ihnen weder verdächtig noch
fremd?
Ich musste das Geld für meine ersten Filme selbst
verdienen. Als Gymnasiast habe ich nachts als
Punktschweißer in einer Stahlfabrik gearbeitet.
Das hat mich geprägt. Ich weiß den Wert des Gel-
des zu schätzen – und unterschreibe keinen Ver-
trag als Regisseur, ohne Einblick in den täglichen
Cashflow zu bekommen. Nur so habe ich den Fin-
ger am Puls.
Das heißt, Sie feiern den ersten unternehmeri-
schen Erfolg, bevor der Film überhaupt er-
scheint – quasi als Controller?
Ich bin noch nie über Budget gegangen. Fünfmal
war ich sogar besser. Bei „The Bad Lieutenant“
mit Nicolas Cage habe ich vorher Luftkissen in der
Finanzplanung entdeckt. Am Ende blieben wir
um 2,6 Millionen Dollar unter dem 19-Millionen-
Budget. Über die Boni für gesparte Kosten habe
ich mehr verdient als durch die Gage. Und ich hat-
te es wirklich verdient.
Sie sind also ein ehrlicher Arbeiter im Weinberg
des Herrn.
Nein, nur ein weitblickender, verantwortlicher Fil-
memacher.
Der Gewinne maximieren will?
Wäre schön. Leider habe ich auch Filme gemacht,
die an der Kinokasse auf den Bauch gefallen sind.
Ich habe trotzdem überlebt. Denn die Industrie
weiß immer: Ich liefere zuverlässig ab.
Mit „Fordlandia“ wagen Sie sich an Ihre erste fiktio-
nale Serie – und an einen ökonomischen Stoff. Es
geht um die Utopie von Henry Ford, die Werte einer
amerikanischen Kleinstadt weltweit zu exportie-
ren. Für die Kautschuk-Produktion schuf er in den
1920er-Jahren eine Musterstadt am Amazonas.
Das ist sehr spannend. Und ich kenne mich am
Amazonas gut aus ...
... wo Sie mit Klaus Kinski vielbeachtete Filme wie
„Aguirre, der Zorn Gottes“ oder „Fitzcarraldo“
gedreht haben.
Ich weiß, wie man dort für jede der acht, neun
Folgen eine Million Dollar einsparen kann. Aber
noch sind wir erst bei den Drehbüchern. Bei Ford
geht es um zeitlose Themen wie Automatisierung,
Ressourcen, Globalisierung – und ein Sozialexpe-
riment. Die barfüßigen Arbeiter im Urwald muss-
ten morgens Hafergrütze essen, durften keinen
Alkohol trinken oder unzüchtig tanzen. Es gab
schnell einen Aufstand. Als Erstes wurden die
Stechuhren kurz und klein geschlagen.
Dass ein US-Tycoon seine Vision der ganzen Welt
aufdrängt, ist doch sehr aktuell.
Klar, man muss sich fragen, warum die USA in 140
Ländern militärische Präsenz haben. Donald
Trump ist in einem berechenbar: Er scheint auf
der Seite von Pazifismus zu stehen. Er warf nicht
gleich Bomben auf Nordkorea oder Iran. Er zieht
sich aus Afghanistan und Syrien zurück.
Andererseits polarisiert Trump in den USA
selbst. Wie ist das in Los Angeles, wo Sie mit Ihrer
Familie leben?
Werner Herzog