KULTUR FILM
„ES GIBT SCHLIMMERES ALS DAS
KLONEN EINES MENSCHEN“ JULIE DELPY
„MIR GEFÄLLT DIE IDEE, DASS ES DA
EINE MACHT ÜBER UNS GIBT“ DANIEL BRÜHL
Fotos: Paulina Hildesheim für FOCUS-Magazin (2), action press
100 FOCUS 46/2019
haben positiv darauf reagiert, allerdings
nicht so intensiv wie Eltern.
Brühl: Kluge Antwort. Auch ich finde,
dass diese Geschichte einen emotional
tiefer berührt, wenn man selbst Mutter
oder Vater ist. Ich habe einen drei Jahre
alten Sohn. Vielleicht habe ich deshalb
beim Lesen des Drehbuchs geweint. Das
ist mir noch nie zuvor passiert.
War der Moment, als Sie Mutter
beziehungsweise Vater wurden, das
wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Delpy: Der Tod meines Vaters war sehr
hart für mich. Aber die Geburt meines
Sohnes war so viel wichtiger als alles
andere. Ich wünschte, ich hätte früher
gewusst, wie schön es ist, Kinder zu ha-
ben. Leider erfuhr ich das zu
spät, sodass es bei einem Kind
blieb. Es ist eine so erstaunli-
che, zugleich angsteinflößende
Erfahrung, weil sie so viel Ver-
antwortung mit sich bringt.
Brühl: Plötzlich gibt es da je-
manden, der wichtiger ist als du
selbst. Als Schauspieler sind wir
narzisstisch. Ständig kreist unser
Denken um uns, unsere Arbeit.
Ich finde es herrlich, dass ein
Kind uns dabei hilft, das Un-
wichtige vom Wichtigen zu unter-
scheiden. Mir als großem Nörgler
hilft es zu wissen, dass zu Hause
mein Sohn auf mich wartet. Er
freut sich, seinen Papa zu sehen.
Beobachten Sie manchmal über-
eifrige Eltern kritisch, obwohl
Sie Ihr Kind ähnlich vergöttern?
Brühl: Ich wohne ja im Berliner
Stadtteil Prenzlauer Berg, wo Kinder Kult-
objekte sind. Da regt mich das Gehabe
von diesen Profi-Eltern schon auf, die auf
dem Spielplatz darüber dozieren, welches
die beste Marke für Regenjacken oder
für Windeln ist. Mich interessieren solche
Gespräche nicht.
Delpy: Ach, erinnerst du dich an einen
langen Spaziergang, den wir in Los Ange-
les machten, als mein Sohn zwei war?
Brühl: Klar, und ich mochte ja deinen
Sohn. Aber das endlose Reden über ihn,
na ja, das fand ich damals schon schwer
erträglich.
Delpy: Ich versuche, die Leute nicht
mit Geschichten von meinem Sohn zu
langweilen. Ich erzähle nur interessante
oder lustige Sachen. Zum Beispiel, dass
er Gitarre auf seinem Rücken spielt.
Sie mischen sich nie ein?
Delpy: Das einzige Thema, bei dem ich
anderen Eltern mal einen Rat gebe, ist das
Schlafen. Als unser Sohn ein halbes Jahr
alt war, schrie er nachts. Ich musste lernen,
ihn fünf Minuten schreien zu lassen – die
mir wie 100 Stunden vorkamen.
Brühl: Als Vater denke ich übrigens
auch oft über meine Eltern nach. Julie,
bemerkst du nicht auch, wie ähnlich du
jetzt deiner Mutter bist? Ich denke oft da-
rüber nach, wie ich meinem Vater damals
ähnelte, ich bin genauso ungeduldig.
Delpy: Bei mir ist das komplett anders.
Meinen Eltern war ihre Beziehung heilig,
während für mich mein Sohn an erster
Stelle steht. Ich liebe ihn über alles und
zeige ihm das auch.
Auch Ihre Filmfigur Isabelle geht
sehr zärtlich mit ihrer Tochter um, oft
berührt sie Zoes Gesicht, liebkost sie.
Sind Sie selbst auch so?
Delpy: Oh, ist Ihnen das auf-
gefallen? Es ist wahr, das Phy-
sische im Verhältnis zu meinem
Kind ist mir sehr wichtig, das
wollte ich auch im Film zeigen.
Abends halte ich die Hand mei-
nes Sohnes, bevor er einschläft.
Er mag das. Jedenfalls daheim.
Immerzu küsse ich ihn. Jeden-
falls zu Hause, selbstverständ-
lich nicht vor der Schule, er ist
ja schon zehn.
Brühl: Was, er hat nichts dage-
gen? Meiner wehrt sich schon
jetzt.
Frau Delpy, kommt diese
sehr intensive Elternliebe
auch daher, dass Sie –
und ja auch Ihr Filmcharakter
Isabelle – ziemlich spät ein
Kind bekamen?
Delpy: Natürlich. Manchmal wache ich
mitten in der Nacht auf und sage mir: Ich
habe ein Kind. Das war’s. Warum zum
Teufel habe ich nicht zehn bekommen,
als ich es konnte?
Brühl: Zehn? Du spinnst ja! Dafür hast du
deine Arbeit viel zu sehr geliebt.
Delpy: Na gut, sagen wir, realistischer,
fünf. Ich merke jetzt, dass mein Sohn mir
wichtiger als die Arbeit ist.
Brühl: Ich kenne da einen passenden
Arzt – und er sitzt in Moskau! (Red: wie
jener, den er im Film spielt).
Ärgert es Sie, dass späte Eltern-
schaft bei Männern so viel akzep-
tierter ist als bei Frauen?
Delpy: Das ist so, und es ärgert mich.
Wenn ich durch Los Angles laufe und all
diese 70-jährigen reichen Typen sehe,
die mit 28-jährigen Frauen eine Familie
haben, kotzt mich das schon an.
Den Tod besiegen
Die Genetikerin Isabelle (Julie Delpy) bei einem Zoobesuch mit ihrer Tochter
(Sophia Ally). Mit sieben stirbt Zoe an inneren Blutungen – Isabelle will sie klonen
Dieser Text
zeigt evtl. Pro-
bleme beim
Text an
Was nicht passt,
wird auch nicht
passend gemacht.
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