Süddeutsche Zeitung - 18.11.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
Die Ausstellung „Van Dyck“ läuft bis 2. Febru-
ar inder Alten Pinakothek in München. Von
den 109 Exponaten stammen 60 aus dem Be-
stand der Bayerischen Staatsgemäldesamm-
lungen. Die Liste der Leihgeber reicht vom Me-
tropolitan Museum of Art über den Louvre bis
zu den National Galleries of Scotland.
Einen Einblick in die Forschungsarbeiten
gewähren die Kuratorenführungen am 19. 11.,


  1. 12., 17. 12., 7. 1., 21. 1., 28. 1., jeweils um 19
    Uhr oder am 2. 2. um 16 Uhr.
    Vorträge ergänzen das Programm. Adam
    Eaker vom Metropolitan Museum of Art erläu-
    tert am 11. 12. ab 18.30 Uhr die Inszenierung
    des Porträts. Über die Studienköpfe referiert
    Nico Van Hout, Kurator am Koninklijk Muse-
    um voor Schone Kunsten, Antwerpen, am
    Mittwoch, 15. 1., ab 18.30 Uhr.


Kunst, Musik und Bier aus Flandern gibt es
bei den After-Work-Abenden am 5. 12., 9. 1.
und 23. 1., ab 19 Uhr. Familien, die selbst aktiv
werden wollen, können sich in Workshops an
Selbstporträts oder an Kostümen versuchen.
Geöffnet ist dienstags und mittwochs von 10
bis 21 Uhr, donnerstags bis sonntags von 10
bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 12 Euro, ermä-
ßigt 9 Euro. http://www.pinakothek.de

von harald eggebrecht

W


ahrscheinlich war es schon für
den Knaben Anthonis van Dyck
selbstverständlich, mit Seide,
Brokat und anderen kostbaren Stoffen um-
zugehen. Schließlich war sein Vater Frans
van Dyck ein wohlhabender Textilkauf-
mann und seine Mutter Maria eine versier-
te Kunststickerin. Man kann sich durchaus
vorstellen, wie die Kinderschar, von der An-
thonis die Nummer Sieben war, zwischen
Stoffballen und Nadelkissen, Schmuckbor-
ten, Garnknäueln und anderem Näh- und
Stickzeug herumtollte.
Später, als längst hochgerühmter Maler
mit einer sehr flexibel arbeitenden Werk-
statt – in der zum einen Gemälde vorberei-
tet wurden nach Entwürfen des Meisters,
in der zum anderen auch Detailspezialis-
ten tätig waren – ließ van Dyck für Porträts
oft auch Kleider des Porträtierten herbei-
schaffen. Dabei ging es nicht nur um die an-
gestrebte hohe Authentizität der Darstel-
lung, sondern auch um charakteristische
und damit charakterisierende Vorlieben
des Abzubildenden. Dementsprechend teil-
ten die Qualität der verwendeten Stoffe, ih-
re jeweilige Farbigkeit, ihr unterschiedli-
cher modischer Schnitt sehr viel mit über
das Repräsentationsbedürfnis, das Mode-
bewusstsein, aber auch das Sicherheitsge-
fühl der Abgebildeten und wohl auch über
die bequeme Passform der Gewänder.
So fällt bei nahezu allen Porträts van
Dycks sofort auf: Seine Modelle bis hinauf
zum englischen König Karl I. wirken nie
steif, unpassend angezogen oder übertrie-
ben ausstaffiert, sondern sie erscheinen ge-
wissermaßen in einer unangreifbar guten
Façon. Auch wenn Karl I. in prächtiger Ga-
larüstung zu Pferde sitzt, bleibt er König
auch seiner selbst und sieht nicht wie einer
aus, der sich in die Rüstung hat quälen
müssen. Nichts scheint van Dyck ferner ge-
legen zu haben, als seine Kunden etwa
heimlich zu desavouieren oder lächerlich
machen zu wollen. Mit seiner immer flüssi-
gen, leichthändig-nervösen farbenreichen
Malweise holte er seine Auftraggeber
gleichsam wie Protagonisten ihrer selbst
auf die Bühne seiner Gemälde.
Man achte nur einmal bei den Männern
auf die Vielfalt der locker hingemalten offe-
nen oder geschlossenen Hemdkrägen, auf
ihre manchmal sorgfältig umgelegten
oder lässig hervorlugenden Manschetten,


an die noblen Goldketten und andere
Schmuckstücke. Bei den Damen meint
man manchmal die Seide rascheln zu hö-
ren, wirken die Kleiderfalten wie gerade
entstanden durch unwillkürliche Bewegun-
gen unter den Gewändern. Und Perlen,
Edelsteine und goldenes Geschmeide blit-
zen und blinken nie aufdringlich, sondern
gehören so edel wie unauffällig zum Er-
scheinungsbild der Frauen.
Darüberhinaus inszenierte van Dyck sei-
ne Kunden nach allen Regeln malerischer
Positionierkunst, wie er sie bei seinem Leh-
rer Rubens und auch auf seiner weitschwei-
fenden Italienreise unter anderem bei Tizi-
an und Tintoretto gesehen hatte. So treten
die sehr unterschiedlichen Porträtierten in
geschlossenen Räumen auf oder vor Durch-
blicken auf Landschaften. Oder sie sind
umringt von dienenden Personen, prä-
gnanten Tieren wie Hunden oder Pferden
oder umgeben von Gegenständen mit viel-
sagendem Symbolgehalt.

Je souveräner sich also die Gemalten in
ihrem Habit vor dem Porträtisten fühlten,
desto natürlicher und eleganter kommen
sie einem beim ersten Anblick vor. Doch
das täuscht, denn ihre Gesichter zeigen un-
verkennbar Anspannung, Skepsis, Nervosi-
tät, und einen empfindsamen Grundernst.
Dabei legen sie nicht ihr Gesicht absicht-
lich in Seriositätsfalten, setzen kein Reprä-
sentationsgesicht vorsätzlich auf, fallen
nicht in vermeintlich für sie besonders vor-
teilhafte Posen. Das gilt auch für die Kin-
derbilder.
Viele seiner der ganz- oder halbfiguri-
gen Bildnisse erscheinen so, als habe van
Dyck den Betreffenden oder die Dame gera-
de getroffen und um ein kurzes Innehalten
gebeten. Ein Hauch von Überraschung
zeichnet sich da manchmal in den Gesich-
tern ab. Oft hat der Künstler seine Auftrag-
geber so gemalt, als seien sie unterwegs,
sie sehen nur aus den Augenwinkeln zum
Betrachter, mal forschend, mal fast be-
fremdet oder gar besorgt. Nein, das sind
keine in sich ruhenden, ihr jeweiliges Amt,
ihre Bedeutung oder ihre Selbsteinschät-
zung gleichsam wuchtig und in aller
Pracht präsentierenden Könige, Edelleute

und Honoratioren, wie sie etwa Rubens ins
Bild setzen konnte. Auch gibt es nicht die
Kühle und melancholische Einsamkeit der
Macht, wie sie Tizian bei Kaiser Karl V. so
einzigartig porträtierte.
Die Zeiten waren wahrlich nicht danach.
Spätestens seit 1618 erfüllten sie wachsen-
de Gefahren und Unsicherheiten, als Euro-
pa sich in die Katastrophe des Dreißigjähri-
gen Krieg stürzte. Etwas Unstetes und Ver-
letzliches liegt daher über denen, die van
Dyck so rasch wie fliegend virtuos unmit-
telbar bildnerisch einfangen konnte, als
regten sich hinter ihren so modisch perfek-
ten Fassaden Ahnungen und Ängste. Die
Noblesse und Eleganz, in der sie van Dyck
so bewunderungswürdig vielgestaltig dar-
stellte, wird deshalb zu einer Art Schutz-
mantel ganz weltlicher Art für sie.
Auch den jungen Malerkönig Anthonis
van Dyck selbst, der 1641 im Alter von nur
42 Jahren in London starb, trieb es zu sei-
nen Lebzeiten um und hin und her zwi-
schen Flandern und England. Italien durch-
streifte er ruhelos bis nach Sizilien und zu-
rück. Schon der Knabe hatte es eilig, seine
enorme Frühbegabung auszuleben. Die
Reihe seiner Selbstporträts gehört zu den
Inkunabeln dieses erfolgsverwöhnten Ma-
lerlebens. Bereits der Sechzehnjährige
schaut hellwach, neugierig und zugleich
prüfend aus den Augenwinkeln über den

weißen Kragenrand seines Hemdes den Be-
trachter an, als sei er in Eile. Fünf Jahre spä-
ter ist van Dycks Blick auf sich selbst selt-
sam ernst (heute in München): Der erfolg-
reiche Künstler im schwarzen Gewand mit
Goldkette über der Schulter hält für einen
Augenblick still, die rechte Hand fasst den
linken Unterarm. Noch unruhiger er-
scheint er auf einem Bild (heute in New
York) mit Mantel, kurz angelehnt und auf-
gestützt an eine halbhohe Mauer, dahinter
glimmt es im düsteren Himmel. Zwei Jahre
später trägt er ein kess an Bauch und Ober-
arm aufgeschnittenes Wams, aber van
Dycks Antlitz zeigt unverhohlene Skepsis
(heute in St. Petersburg). 1640, ein Jahr vor
seinem Tod malt er sich wieder mit dem Au-
genwinkelblick über die Schulter, mit brei-
tem weißen Kragen über schwarz-weiß ge-
streiftem Oberkleid. Das Haar trägt er nun
länger als früher, und ein rötlicher
Schnauzbart verdeckt fast den sinnlichen
Mund. Da mustert sich ein wahrlich elegan-
ter, gut aussehender Mann in seinen bes-
ten Jahren unmissverständlich kritisch
und distanziert. Zu lachen gibt es nichts,
auf keinem der Selbstbildnisse des großen
van Dyck.

Bayern, Flandern und die Kunst


Es istschöner Brauch, den Gönnern, Leih-
gebern und Sponsoren einer Ausstellung
zu danken. So ist es auch in der Van-Dyck-
Schau in der Alten Pinakothek: Zwei Por-
träts zeigen dort die beiden Sammler, de-
nen die Bayerischen Staatsgemäldesamm-
lungen ihren beachtlichen Bestand an Wer-
ken des flämischen Barockmalers Antho-
nis van Dyck (1599 - 1641) verdanken: Max
II. Emanuel von Bayern (1662 - 1726) und
Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz-Neu-
burg (1658 - 1716). Beide waren Wittelsba-
cher, beide rangen in den Auseinanderset-
zungen des damaligen Europas um Macht


  • und beide sammelten hochrangige
    Kunst. Auch Anthonis van Dyck.
    Für Mirjam Neumeister, Kuratorin der
    Van-Dyck-Schau und in der Alten Pinako-
    thek für Flämische Malerei zuständig, war
    die Fülle an Werken van Dycks ein willkom-
    mener Anlass, das Konvolut zusammen
    mit Eva Ortner und Jan Schmidt, beide Res-
    tauratoren am Doerner Institut, gründlich
    zu erforschen und das Werk des berühm-
    ten Porträtmalers zu sezieren. Mit positi-
    vem, aber auch einem schmerzhaften Er-
    gebnis. Zwei vermeintlich echte van Dycks
    der Pinakothek stellten sich letztlich als


Werkstattarbeit heraus. Die gute Nach-
richt: Das Porträt von Wolfgang Wilhelm
von Pfalz-Neuburg, das vor dem Projekt
als Werkstattarbeit galt, kann nun gänz-
lich van Dyck zugeschrieben werden.
Der Ansatz war natürlich auch gründ-
lich. „Wir haben die Werke mit kunsthisto-
rischer und restauratorischer Expertise,
technologisch und naturwissenschaftlich
untersucht“, berichtet die Kunsthistorike-
rin. Im Jahr 2015 begann man mit den Vor-
arbeiten, 2016 starteten die Untersuchun-
gen. Was würden Röntgenaufnahmen,
Analysen der Leinwände oder der Grundie-
rung enthüllen? Und wie könnte man zu-
gleich die Entwicklung van Dycks vom be-
gabten Rubens-Schüler über einen, der Ita-
lien bereiste und dort Impulse etwa von Ti-
zian aufnahm, zum berühmtesten Porträt-

maler seiner Epoche nachzeichnen? Die
Ausstellung löst die Aufgabe, indem sie
mehrere Stränge verbindet: Weitgehend
chronologisch angeordnet zeichnet sie die
Entwicklung van Dycks nach, zeigt auf Ti-
schen an Bildschirmen, was Röntgenauf-
nahmen offenbarten, präsentiert Serien
oder hängt Darstellungen gleicher Szenen
nebeneinander. Die Unterschiede sind oft
frappierend und gewähren einen Einblick
in die Künstlerpersönlichkeit van Dycks.
Man erfährt viel über die Kunstproduk-
tion des 17. Jahrhunderts. Den oft negativ
bewertenden Begriff „Werkstatt“ will Neu-
meister differenzieren: „Für uns steht er
für vielschichtige, effizient organisierte Ar-
beitsabläufe von Mitarbeitern, die den
Meister bei der künstlerischen Produktion
unterstützten. Das Ideal des einsam für
sich schaffenden Genius gab es nicht in der
damaligen Zeit.“ Die Werkstatt, betont sie,
bedeutete Arbeitsteilung, einen allgemein
verbindlichen Stil mit individuellen Mo-

menten, aber auch Erfindung. Die Praxis,
Studienköpfe anzulegen, hat van Dyck aus
der Rubens’schen Werkstatt übernom-
men. Und so sieht man in der Ausstellung,
wie Köpfe aus verschiedenen gemalten
und gezeichneten Studien in Gemälden
wieder auftauchen. Oder man erfährt, dass
die Gesichter nachträglich in bereits weit-
gehend fertig gemalte Bildnisse, in denen
lediglich ein weiß grundiertes Oval ausge-
spart war, eingefügt wurden. „Manche Bil-
der wurden wohl auf Vorrat gemalt“, sagt
Neumeister. Getroffen hat es, wie erwähnt,
die Alte Pinakothek selbst: Zwei Ganzfigu-
renporträts stellten sich als Werkstattar-
beiten heraus. „Wir legen strenge Maßstä-
be an“, betont die Kuratorin.
Bildgebende Verfahren wie Röntgenauf-
nahmen lieferten nicht nur Erkenntnisse
über die Zuschreibung, sondern zeigten
auch, wie oft van Dyck seine Werke verän-
dert hat. Mal wurden Teile übermalt, mal
eine neue Version angefertigt. „Er malte
oft zwei oder drei Fassungen eines Bildes“,
berichtet Neumeister. Die Darstellung des
Heiligen Sebastian durchlief mehrere Sta-
dien – mal ist die Beinstellung verändert,
mal das Hüfttuch neu geschlungen, mal
das Pferd anders gemalt. Auch offenbart
sich die Persönlichkeit des Malers – er ver-
zichtet auf sichtbare Darstellung von Ge-
walt. Kein Pfeil durchbohrt den Märtyrer,
kein Blut fließt, nur der Gesichtsausdruck
des Sebastian lässt erahnen, was passiert.
Es ist eine psychologische Studie.
Dieser subtile Unterschied zu seinem
Lehrmeister Rubens offenbart sich auch
bei der „Susanna im Bade“. „Hier sieht
man, wie sich van Dyck von seinem Vorbild
Rubens gelöst hat, und ihn in der psycholo-
gischen Durchdringung des Geschehens
sogar übertrifft“, so Neumeister.
Van Dycks Ruhm führte ihn letztlich
nach England. Die englische Porträtmale-
rei, auf die die Ausstellung zum Ende hin-
weist, wäre ohne ihn nicht denkbar. Und
die Künstlerbilder van Dycks, ebenfalls in
der Ausstellung zu sehen, zeugen von die-
ser Meisterschaft. „Er vermittelt Status. Zu-
gleich teilen seine Bilder etwas mit über
die Persönlichkeit der Dargestellten. Das
ist seine große Gabe“, so Kuratorin Neu-
meister. johanna pfund

Zwei Jahre vor seinem Tod
malt ersich ein weiteres Mal:
als Mann mit kritischem Blick

Glanz schützt


In denPorträts von Anthonis van Dyck spielt


Eleganz in besonderer Weise eine Rolle


Die Bilder wurden mit
Röntgenaufnahmen
gründlich untersucht

Der Schönheit auf der Spur


DieAlte Pinakothek hat ihre Van Dycks erforscht – und Erstaunliches entdeckt


Viele Gesichter
zeigenAnspannung
und Nervosität

Die „Studie von drei Pferdeköpfen“ zeigt,
wieunermüdlichvan Dyck an seinen Ob-
jekten arbeitete. BILD: RIJKSMUSEUM AMSTERDAM

Das Vertrauen der kleinen Clara del Monte in ihre ernst blickende Mutter Susanna Fourment wird auf diesem Bild
deutlich und spürbar. BILD: NATIONAL GALLERY OF ART, ANDREW W. MELLON COLLECTION, WASHINGTON,DC

14 SZ SPEZIAL – VAN DYCK Montag, 18. November 2019, Nr. 266 DEFGH


VAN EYCK-JAHR 2020

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