Die Welt Kompakt - 05.11.2019

(Steven Felgate) #1

KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,5.NOVEMBER2019 SEITE 20


E


s ist 14 Uhr, ein Freitag.
Roland Emmerich, 63,
empfängt in der Suite
des Berliner „Hotel de
Rome“, um über seinen neuen
Film „Midway“ reden. Das ist ein
Kriegsfilm über eine Schlacht auf
dem Pazifik zwischen Japan und
Amerika. Es knallt und bumst da-
rin viel. Typisch Emmerich halt.
Metall- und Menschenteile flie-
gen atemberaubend schön insze-
niert durch die Luft. Emmerich
trägt ein blau-weiß kariertes Ja-
ckett von Zegna, ein graues Shirt
und eine Jeans. Der graue Bart
steht ihm. Vor ihm auf dem Tisch
eine Obstplatte, die er während
des Gesprächs nicht anrühren
wird. Häufig kommt das Schwä-
bische bei ihm durch – und das
Englische.

VON FRÉDÉRIC SCHWILDEN

WELT:In Amerika würde man
jetzt „How are you“ sagen.
ROLAND EMMERICH:Und ich
hab am Anfang immer noch ehr-
lich geantwortet: not so good,
headache. Und dann haben die
mich nur angeschaut. What the
fuck is he talking about?

Wie geht’s Ihnen?
Gut. Ich bin ein bisschen müde.
Wir haben gestern in Zürich in
der Kronenhalle ein Essen ge-
habt.

Ich liebe die Kronenhalle. Da
kommen nach der Vorspeise
die Kellner und fegen mit klei-
nen Besen die Brotkrümel vom
Tisch auf Bleche.
Genau. Ich bin dann um ein Uhr
ins Bett gegangen und musste
um 6:40 Uhr aufstehen. I’m hap-
py, but I’m tired.

Wie sieht Ihr Tag aus, wenn Sie
nicht reisen?
Wenn ich schneide, dann schnei-
de ich. Wenn ich schreibe, schrei-
be ich. Aber am besten ist das
Drehen. Da passiert auch am
meisten.

Lesen Sie noch?
Ein, zwei Bücher die Woche. Da-
für aber fast keine Magazine und
Zeitungen mehr. Gerade lese ich
das zweite neue Buch über die
Manson-Morde. Komisch, dass
sich Tarantino nicht dafür inte-
ressiert.

Der Fotograf Juergen Teller,
der schon seit Jahren in Lon-
don lebt, redet so ähnlich wie
Sie. Fängt Sätze deutsch an, be-
endet sie englisch. Denken Sie
auch so?
Englisch ist halt die Amtssprache
in meinem Beruf. Der Harald, ein
Mitarbeiter von mir, ist Österrei-
cher, und meine Schwester, die
ist ja auch Deutsche, und wir re-
den manchmal den ganzen Tag
Englisch miteinander. Nur wenn
ich mit meiner Mutter rede, wird
das schwierig. Die versteht kein
Englisch. Und ich merke selber
nicht, dass ich einen halben Satz
auf Englisch gesagt habe. Meine
Mutter sagt dann immer: „Ro-

land, red Deutsch“. Dann sag ich,
sorry. Und sie sagt: „Jetzt sagste
auch noch sorry“. Dann sag ich:
„Entschuldigung“.

Träumen Sie auf Englisch?
Ich glaube, ja.

Hat sich der Grund, warum Sie
Filme machen, geändert?
Ich habe hauptsächlich einen
Film gedreht, um einen Film zu
drehen. Ich wollte keinen Kurz-
film drehen, also habe ich einen
langen gedreht. Heute frage ich
mich: Ist das der richtige Film
zur richtigen Zeit?

In diesem Jahr haben Forscher
gemeldet, dass sie das erste Fo-
to eines schwarzen Loches ge-
macht hätten. Aber das war
kein Foto im fotografischen
Sinne. Was haben heutige Fil-
me noch mit Film zu tun?
Wir drehen auf digitalem Medi-
um. Die Auflösung wird immer
größer. In „Midway“ hatten wir
außerdem allein 1500 Visual-Ef-
fects-Schüsse.

Was wird denn da noch gefilmt
von den Luftschlachten, vom
Wasser, vom Himmel?
Gar nichts! Das ist 100 Prozent
Computer – selbst der Pilot.

Wie arbeiten Sie denn bei die-
sen Szenen als Filmemacher?
Ob du das mit Modellen drehst
oder mit dem Computer, ist doch
kein Unterschied. Du machst ein
Storyboard von all den Szenen,
wo es ums Fliegen und um Ac-
tion geht. Die Schauspielszenen
storyboarde ich nie. Ich überlege
mir das spontan am Tag. Da muss
ich ja auf die Schauspieler reagie-
ren, wie die spielen.

Beim Filmemachen mit dem
Computer müssen Sie sich das
Drumherum der Szene kom-
plett vorstellen.
Du musst wissen, zu welcher
Uhrzeit die Szene spielt. Wo ist
das Hauptlicht? Was für Effekte
kommen drauf? Wenn du einen
Effekt hast, sagen wir mal, wenn
die im Wasser untertauchen und
um die rum sind die ganzen Ex-
plosionen der Flak-Geschosse, da
musst du vorher wissen, wo du
das auf den Gesichtern sehen
willst. Wobei man Schatten und
Lichter auch nachträglich auf ein
Gesicht malen kann. Das ist rela-
tiv einfach dieser Tage.

Ist das ein Film eines Amerika-
ners oder eines Deutschen, der
auf die amerikanische Ge-
schichte schaut?
Das Schicksal hat mich nach
Amerika gebracht. Ich war mit 13
und mit 14 1/2 jeweils für drei Mo-
nate im Sommer in Amerika, bin
da auch zur Schule gegangen. Das
hat mich völlig amerikanisiert.
Als ich zurückgekommen bin,
hatte ich lange blonde Haare.
Meine Mutter ist ausgeflippt. Auf
der Filmhochschule habe ich
mich nie für deutsche Filme inte-
ressiert. Ich hab ein paar deut-
sche Filme sehr bewundert, zum

Beispiel „Die Blechtrommel“
oder „Die Brücke“, den „Jungen
Törless“. Aber Fassbinder-Filme
oder Wim Wenders waren nicht
mein Fall.

Sind Sie Amerikaner?
Ja, ich habe seit sechs, sieben
Jahren den Pass. Meine Schwes-
ter und ich sind vor 30 Jahren rü-
ber. Wir haben gesagt, wenn
Obama gewinnt, dann werden
wir Amerikaner. Wir haben dann
auch einmal Obama gewählt.
Und dann kam halt der red-hai-
red conman.

Wie geht das denn, Amerikaner
zu werden?
Da liest du dir wie bei der Füh-
rerscheinprüfung so ein Buch
durch und machst einen Test –
alles really simple. Ich habe das
alles auch so gewusst. Dann
musst du deine Steuererklärung
der letzten fünf Jahren mitbrin-
gen. Die sahen bei mir natürlich
gut aus. Der Typ im Federal Buil-
ding von Los Angeles meinte
dann: „What are you doing?“ Ich
meinte: „I’m making movies.“
Der hatte natürlich keine Ah-
nung. Und dann hab ich ihm ein
paar Filme gesagt. Und er sagte
nur: „Oh, wow.“ Und wenn das
alles durch ist, wirst du mit 5000
Leuten zusammen eingeschwo-
ren. Da musste anstehen, dann
musst du deine Hand auf Herz

legen. Aber inzwischen bereue
ich das.

Haben Sie den Film jetzt als
Amerikaner oder als Deutscher
gemacht?
Ein Amerikaner hätte einen an-
deren Film gemacht. Hätte ich
den für ein amerikanisches Stu-
dio gemacht, hätten die gesagt:
„This is too depressing in the
end. Can’t you have another
cheer?“ Wir hatten ja im Dreh-
buch eine Szene, wo der Flug-
zeugträger in den Hafen einfährt
und alle jubeln. Die habe ich
rausgeschnitten.

Verstehen Sie Krieg?
Kriegsfilme sind cool, das sind
extreme Situationen, es geht um
dein Leben. Ich bin immer schon
angezogen von existenziellen...,
na, dass man sterben kann. Im
Desasterfilm kannst du sterben.
Im Alien-Invasion-Film kannst
du sterben. So Filme wie „Stone-
wall“ und „Anonymous“ waren
für mich aber auch interessant.
Da gab’s auch ein paar Tote, aber
es ging um etwas anderes.

Ich finde die Begeisterung für
Krieg so komisch. Beim Ersten
und Zweiten Weltkrieg war so
eine absurde Euphorie, endlich
in den Krieg ziehen zu wollen.
Und keiner wusste, worum es
geht.

Die Soldaten in Ihrem Film
wollen auch in den Krieg. Kön-
nen Sie das nachvollziehen?
Überhaupt nicht.

Haben Sie ...
... Militärdienst gemacht? Ich ha-
be mich gedrückt. Ich wollte so
schnell wie möglich Filme ma-
chen. Ich wollte auf die Film-
hochschule. Ich hatte mir zum
Glück die Schulter ausgerenkt.
Was ich aber so interessant finde
am Zweiten Weltkrieg, dass dir
keiner erzählen kann, warum die
Japaner mitgemacht haben. Kein
Historiker, kein politischer Kom-
mentator, kein Mensch weiß das.
Das war einfach ein Riesenfehler.
Der Yamamoto hat gesagt, er
muss die ganze amerikanische
Flotte zerstören, und die Öltanks
und die Flugzeugträger, und er
hat halt nur die Flotte zerstört.
Die Flugzeugträger waren durch
Zufall nicht im Hafen. Und dann
hat Amerika gesagt: „We got atta-
cked, we get into the war.“ Wenn
Amerika das nicht gemacht hätte,
unsere Welt wäre heute faschis-
tisch – honest to God. Da waren
die Italiener, die Deutschen, die
hätten England überrannt. Ame-
rika hätten sie nicht angegriffen.
Russland hätte vielleicht noch
was tun können. Aber die Russen
hatten auch einen Zweifronten-
krieg. Die Amerikaner haben sin-
gle-handedly fought for demo-

„Ein Amerikaner hätte einen
anderen Film gemacht“:
Szene aus „Midway“,
ab Donnerstag im Kino

„Roland,


rede


Deutsch!“


Seit „Independence Day“ ist Roland Emmerich der


wichtigste Hollywood-Deutsche. Ein beinahe


zweisprachiges Gespräch über seine Mutter, Kriegsfilm-Coolness


und sein Bedauern, Amerikaner geworden zu sein

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