Die Welt Kompakt - 05.11.2019

(Steven Felgate) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,5.NOVEMBER2019 THEMA DES TAGES 3


Gegner und wirtschaftliche Ent-
scheider, aber auch Infrastruk-
tureinrichtungen oder Firmen-
eigentum. „Dabei ist das Aggres-
sionsniveau kontinuierlich ange-


stiegen“, sagte Haldenwang.
Nicht erst seit dem G-20-Gipfel
in Hamburg könnten viele Poli-
zeibeamte bestätigen, „dass auch
die Gefährdung von Menschenle-

ben von linksextremistischen
Gewalttätern in Kauf genommen
wird“. Linksextremisten griffen
emotional besetzte Themen auf
wie etwa Kapitalismuskritik oder
den Klimawandel. „Sie verstehen
es, zivilgesellschaftlichen Pro-
test zu kapern. Es wird die politi-
sche Fieberkurve hochgetrieben,
um die vermeintliche Systemfra-
ge zu stellen.“
Christoph de Vries, CDU-In-
nenexperte und Bundestagsabge-
ordneter aus Hamburg mit lang-
jähriger Erfahrung mit der mili-
tanten Linken in der Hansestadt,
beklagte gegenüber WELT eine
sympathisierende Milde im Um-
gang mit ihr: Es sei gesellschaft-
lich gefährlich, dass diese „insbe-
sondere in großstädtischen Mi-
lieus zum Teil salonfähig ist“.
Dauerhafte Hausbesetzungen
wie in Hamburg, Berlin und Leip-
zig und tätliche Angriffe auf Poli-
zisten, „die als Repräsentanten
des verhassten Staats quasi ent-
menschlicht werden“, würden
„„„vielfach romantisiert und ver-vielfach romantisiert und ver-
klärt“. Der gesellschaftliche Auf-
schrei bleibe aus, „wenn im Mo-
natstakt Farbanschläge auf Poli-
tiker verübt und ihre Abgeordne-
tenbüros demoliert werden. Das
ist der große Unterschied zum
Rechtsextremismus, der zu
Recht gesellschaftlich konse-
quent geächtet wird.“ Die Inkon-
sequenz des Rechtsstaats gegen-
über Linksextremen, sagte de
VVVries, zeige sich im Umgang desries, zeige sich im Umgang des
rot-grünen Senats in Hamburg
mit der Roten Flora, einem Zen-
trum der Szene. „Einzige politi-
sche Konsequenz in Hamburg,
nachdem linke Chaoten beim
G-20-Gipfel 2017 die halbe Stadt
verwüstet und Hunderttausende
Bürger verängstigt hatten, war
die Einführung einer Kennzeich-
nungspflicht für Polizeibeamte
durch Rot-Grün. Ein einziges po-
litisches Versagen.“
Sachsens Innenminister Ro-
land Wöller (CDU) will bald mit
dem Oberbürgermeister von
Leipzig und der Polizei das wei-
tere Vorgehen gegen den Links-
extremismus besprechen. WELT
sagte er: „Leipzig hat sich zu ei-
nem Schwerpunkt beim Linksex-
tremismus entwickelt.“
Man habe eine gemeinsame
Ermittlungsgruppe des LKA und
der Polizeidirektion Leipzig ge-
gründet und Kontrollen an
Brennpunkten verstärkt. Die Po-
lizei sei verstärkt präsent und
ahnde Rechtsverstöße. Nach
den Gewaltexzessen der letzten
Zeit wollten Polizei, Justiz und
Stadt „alles daransetzen, die Tä-
ter zu ermitteln. Wir werden in
Sachsen und insbesondere in
Leipzig keine rechtsfreien Räu-
me dulden.“
Berlins Innensenator Andreas
Geisel (SPD) hat die jüngsten
Gewaltausbrüche in seiner Stadt
scharf verurteilt: „Wer Menschen
angreift, die das Grundrecht auf
VVVersammlungsfreiheit sichern,ersammlungsfreiheit sichern,
hat sich von der ernsthaften poli-
tischen Debatte verabschiedet.
Hier sind ganz offenbar blinde
WWWut und schlichte kriminelleut und schlichte kriminelle
Energie am Werk.“ MITARBEIT:
MANUEL BEWARDER, UWE MÜLLER

In der Rigaer Straße in Berlin
werden oft Barrikaden ange-
zündet – und Polizisten mit
Flaschen und Steinen beworfen

PICTURE ALLIANCE/ DPA

/ PAUL ZINKEN

Ein zerstörtes Schaufenster im Leipziger Stadtteil Connewitz

PICTURE ALLIANCE/ DPA

/ JAN WOITAS

B


jörn Höcke erscheint auf
der Leinwand im Tagungs-
saal des nordrhein-westfä-
lischen Innenministeriums. Der
Fraktionschef der AfD in Thürin-
gen spricht über seine „dunkle
VVVermutung“, dass die „Flücht-ermutung“, dass die „Flücht-
lingsströme vielleicht doch als Mi-
grationswaffe eingesetzt werden“.
Es sei eine „realistische Möglich-
keit“, dass Angela Merkel „in ei-
nen großen geopolitischen Plan
eingeweiht ist und diesen Plan wil-
lentlich durchführt“.

VON KRISTIAN FRIGELJ
AUS DÜSSELDORF

Mit diesen Ausschnitten aus ei-
ner öffentlichen Rede Höckes will
der Landesverfassungsschutz
NRW beispielhaft deutlich ma-
chen, wie die rechtsextremistische
VVVerschwörungstheorie vomerschwörungstheorie vom
„„„Volkstod“ und vom „großen Aus-Volkstod“ und vom „großen Aus-
tausch“ verbreitet wird. Es ist ein
Narrativ, dass in der rechtsextre-
mistischen Szene überaus populär
ist – und auf das sich auch Atten-
täter berufen haben, um ihre Ver-
brechen zu rechtfertigen.
Bei einer Fachtagung über aktu-
elle Entwicklungen im Rechtsex-
tremismus zeigte sich NRW-In-
nenminister Herbert Reul (CDU)
am Montag alarmiert über die
wachsende Radikalisierung und
Gewaltbereitschaft in der Szene.
„Rechtsextremismus ist neben Is-
lamismus die größte Gefahr für
die innere Sicherheit unseres
Staates“, betonte Reul in Düssel-
dorf. Neu sei der bewaffnete An-
griff auf Vertreter des Staates.
Der Mord an dem hessischen
CDU-Politiker Walter Lübcke und
der Anschlag von Halle mit zwei
Todesopfern gelten als Belege da-
fffür, dass es nicht mehr bei Dro-ür, dass es nicht mehr bei Dro-
hungen bleibt. Mit großer Sorge
registrieren die Sicherheitsbehör-
den in diesem Zusammenhang,
dass deutsche Anhänger einer US-
Gruppe namens „Atomwaffen Di-
vision“ Morddrohungen gegen die
beiden Grünen-Politiker Cem Öz-
demir und Claudia Roth ausge-
sprochen haben. Diese „absolut
radikale extremistische Neonazi-
Gruppe“ habe in den USA mehrere
Menschen getötet, betonte Extre-
mismusforscher Peter R. Neu-
mann vom King’s College in Lon-
don. Sie ist nach seiner Ansicht
unter den neonazistischen Grup-
pen eine der gefährlichsten, weil
es ihr allein um den bewaffneten
Kampf, um einen gewaltsamen
Umsturz geht.
Bundesweit zählen die Verfas-
sungsschützer etwa 24.000 Perso-
nen mit rechtsextremem Potenzi-
al, 12.700 von ihnen gelten als ge-
waltbereit. In Nordrhein-Westfa-
len sind es 3255 Rechtsextreme,
unter ihnen etwa 2000 Gewaltbe-
reite. Seit der Flüchtlingskrise
2 015 wird in der Szene verstärkt
zur Radikalisierung und zum Wi-

derstand aufgerufen. Die Szene ist
nicht sonderlich angewachsen,
aaaber die Gewaltbereitschaft hatber die Gewaltbereitschaft hat
zugenommen. Zudem versuchen
sogenannte Kulturkämpfer, wie et-
wa die Identitäre Bewegung, mit
zeitgemäßen Clips Ideologien
vom angeblichen Volksaustausch
zu verbreiten und zu einem Main-
stream in der Gesellschaft zu ma-
chen. „Die Täter kommen nicht
aus einem luftleeren Raum. Sie
sind in einem gesellschaftlichen
Umfeld eingebunden“, sagt Chris-
toph Busch, Experte für Rechtsex-
tremismus beim Landesamt für
VVVerfassungsschutz NRW.erfassungsschutz NRW.
Extremismusforscher Neu-
mann betont, dass ein neuer Tä-
tertypus entstanden sei: der Ein-
zeltäter, der jedoch nicht komplett
isoliert sei, sondern sich über das
Internet mit Gleichgesinnten
weltweit vernetzt habe und sich
sehr aktiv in Chatforen mit ande-
ren austausche. „Sie sind Einzeltä-
ter, haben aber dennoch ein Publi-
kum.“ Neumann spricht auch von
einer „Gamifizierung des Ter-
rors“, wonach die Täter wie bei ei-
nem Ego-Shooter-Spiel vorgingen
und sich gegenseitig zu übertref-
fffen versuchten.en versuchten.
Eine Reihe fremdenfeindlicher
AAAttentäter der vergangenen Jahrettentäter der vergangenen Jahre
hat unter psychischen Störungen
gelitten, etwa der Mann, der in der
Silvesternacht 2018 in Bottrop mit
einem Auto Migranten angefahren
hat. Oder jener Mann, der die da-
malige Kölner Oberbürgermeis-
terkandidatin Henriette Reker
(parteilos) 2015 im Kommunal-
wahlkampf mit einem Stich in den
Hals lebensgefährlich verletzt hat-
te. Oder jener Mann, der 2017 den
Bürgermeister von Altena, Andre-
as Hollstein, mit einem Messer in
einem Dönerladen angegriffen
und am Hals verletzt hatte.
CDU-Politiker Hollstein nahm
ebenfalls an der Fachtagung im
NRW-Innenministerium teil und
sprach darüber, dass die Drohun-
gen gegen Kommunalpolitiker
deutlich zugenommen haben. „Die
Rechtsradikalen haben gemerkt,
dass Kommunalpolitiker leicht zu
verunsichernde Ziele sind. Das ist
eine ganz gefährliche Entwick-
lung“, sagt Hollstein. Er habe von
einigen Amtsträgern gehört, dass
sie deswegen aufhören würden.
Hollstein kritisierte in diesem Zu-
sammenhang auch das Gerichtsur-
teil, wonach die Grünen-Politike-
rin Renate Künast schäbigste Be-
leidigungen hinnehmen muss.
Dieses „Fehlurteil“ dürfe nach
Hollsteins Ansicht nicht in der
WWWelt bleiben. „Wer will dann nochelt bleiben. „Wer will dann noch
Kraft haben weiterzumachen?“
Hollstein hatte sich nach dem At-
tentat vor zwei Jahren selbst mit
dem Gedanken getragen aufzuhö-
ren. Gemeinsam mit seiner Fami-
lie entschied er sich dann aber fürs
WWWeitermachen. Im nächsten Jahreitermachen. Im nächsten Jahr
tritt er jedoch nicht wieder an.

Der neue rechtsextreme


Täter-Typus


Die Attentäter werden durch


Verschwörungstheorien angestachelt


Die verkohlten Reste der angezündeten Baustellenkräne – ein
Millionenschaden

DPA

/ SEBASTIAN WILLNOW
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