Freitag, 1. November 2019 SCHWEIZ 13
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Die ETH Zürichverursachte mit personalrechtlichen Auseinandersetzungen unliebsame Schlagzeilen. CHRISTIAN BEUTLER / NZZ
Drei ETH-Richter treten unter Pr otest zurück
Gegen ihren Willen müssen der Präsident und zwei Mitglieder die Beschwerdekommiss ion der Hochschule ve rlassen
ERICHASCHWANDEN
Die ETH stand in letzter Zeit auch ab-
seits von wissenschaftlicher Exzellenz in
den Schlagzeilen.FürAufsehen sorgte vor
allem die erste Entlassung einer Professo-
rin oder eines Professors in der164-jähri-
gen Geschichte des Instituts. Die Astro-
physikerin Marcella Carollo musste im
Juli ihr Pulträumen, weil Mobbingvor-
würfe gegen sie erhoben wurden.Dass
arbeitsrechtlicheKonflikte an der Hoch-
schule derart eskalieren und an die
Öffentlichkeit dringen, ist äussert selten.
Normalerweise werden Beschwerden in
SachenPersonal- und Hochschulrecht von
der ETH-Beschwerdekommission behan-
delt und entschieden. Bei diesem Gre-
mium handelt es sich um ein erstinstanz-
lichesVerwaltungsgericht, dessen Ent-
scheide ans Bundesverwaltungsgericht
weitergezogen werdenkönnen. Gewählt
werden die sieben Mitglieder vomETH-
Rat,dem obersten Leitungsorgan der Eid-
genössischenTechnischen Hochschule.
Neue Kandidaten«geeigneter»
Nun kommt es in dieserKommission zu
einem grossen personellen Umbruch,
wie derWebseite desETH-Rates zu ent-
nehmen ist.Auf den1. Ja nuar 2020 tre-
ten nämlich gleich vier Mitglieder des
siebenköpfigen Gremiums zurück.Wie
Recherchen der NZZ zeigen, erfolgt
die Mehrzahl der Abgänge nicht freiwil-
lig. So haben Präsident HansjörgPeter,
Rodolphe Schlaepfer und Consuelo
Antille ihr Amt bereits in denvergange-
nenWochen niedergelegt.Dies per sofort
und unter Protest.Nur beimAbgang von
Vizepräsidentin EstherTophinke handelt
es sich um einen ordentlichenRücktritt.
Der Eklat hat einelängereVorge-
schichte.Bis EndeAugust gingenPeter,
Rechtsprofessor an der UniversitätLau-
sanne, Schlaepfer, ehemaliger Direktor
der EidgenössischenForschungsanstalt
fürWald,Schnee undLandschaft (WSL),
und Antille,Fakultäts-Administratorin
an derETH Lausanne, davon aus, dass sie
für eine weitereAmtszeit wiedergewählt
würden. Dies, nachdem sie Anfang 20 19
eine entsprechende Anfrage des damali-
gen ETH-Rats-PräsidentenFritz Schies-
ser positiv beantwortet hatten.
Schriftlich teilte ihnen die interimisti-
sche ETH-Rats-Präsidentin Beth Krasna
am 27.August jedoch mit, dass aus dem
Kreis der Institutionen desETH-Bereichs
neue Kandidaturen eingegangen seien.
Die neuenLeute seien geeigneter für die
Aufgaben in der Beschwerdekommission.
Peter wurde beschieden,nach zweiAmts-
perioden von je vierJahren sei es Zeit
für einen neuen Präsidenten. Bei Antille
könne «der Anschein der Befangenheit
nicht ausgeschlossen werden». DieserVor-
wurf wurde im Schreiben Krasnas aller-
dings nicht genauer spezifiziert. Eindeu-
tig war dagegen dieAbsage an Schlaepfer:
Mit 79Jahren habe er «ein fortgeschritte-
nes Alter» erreicht und müsse einer jün-
gerenPerson Platz machen.
AufAnfrage der NZZ erklärt Hans-
jörg Peter, das Vorgehen habe ihn völ-
lig überrascht, zumal bis zum Ende der
offiziellen Eingabefrist am 30.Juni keine
zusätzlichen Kandidaturen eingegangen
seien. Stutzig habe ihnall erdings ge-
macht,dass dieseFrist um zweiTage ver-
längert wurde. «Ich bin erschüttert, wie
das Ganze abgelaufen ist», sagt Peter.
«Es handeltsich umeinen Angriff auf
die richterliche Unabhängigkeit.Wenn
die Kommissionsmitglieder um ihreWie-
derwahl fürchten müssen, wird das in
Zukunft ihre Entscheide beeinflussen.»
RechtsprofessorPeter hat den Ein-
druck,dass das richterliche Gremium mit
dem personellen Umbruch geschwächt
werden soll.Auch Schlaepfer glaubt,dass
es sich um eine gezielte Aktion handelt.
Die Beschwerdekommission habe immer
wieder Entscheide gefällt, die denETH
Zürich undLausanne nicht gepasst hät-
ten. Er vermutet, dass die Zeit der inte-
rimistischenFührung genutzt wurde, um
unliebsameKommissionsmitglieder los-
zuwerden. Neuer Präsident desETH-
Rats wird Michael Hengartner, ehema-
ligerRektor der Universität Zürich. Er
tritt sein Amt am1. Februar 2020 an.
BeimETH-Rat weist man dieseVer-
dächtigungen von sich. «AlsAufsichts-
organ über rund22 000 Mitarbeitende
ist für den ETH-Rat die Corporate
Governance ein zentralesAnliegen. Die
Unabhängigkeit wird durch einenregel-
mässigenWechsel der Kommissions-
mitglieder gestärkt», sagt Gian-Andri
Casutt, LeiterKommunikation. Bisher
habe der Präsident der Beschwerdekom-
mis sion jeweils nur eine Amtszeit absol-
viert.Dass es jetzt nach achtJahren zu
einer Ablösung in diesem Amtkomme,
sei daher notwendig.
«Niemand hat einen Anspruch auf
Wiederwahl.Das ist kein Gewohnheits-
recht», erkl ärt der Sprecher desETH-
Rats. Die Anfrage, ob bestehende Mit-
glieder sich für weitere vierJahre zur
Verfügung stellen würden, habe daher
einen gewissen formellen Charakter.
Bei der Suche nach neuen Kandidatin-
nen und Kandidaten sei darauf geachtet
worden,dass Kriterien wie Geschlecht
oder Herkunft aus einerLandesregion
bei der neuen Zusammensetzung der
Beschwerdekommission erfüllt würden.
KeinVerständnisfür Entscheid
HansjörgPeter kann dieArgumentation
des ETH-Rats nicht nachvollziehen.Bei
allendrei zurückgetretenenKommis-
sionsmitgliedern seien die angeblichen
Hinderungsgründewie Amtszeit und zu
hohesAlter bekannt gewesen. Man hätte
sie also darauf hinweisenkönnen, dass
ih re Kandidatur nicht mehr erwünscht
sei.Noch weniger kann der zurückgetre-
tene Präsident verstehen,dass die Unab-
hängigkeit von ConsueloAntille infrage
gestellt wird.Es gebe immer wieder Ent-
scheide der Beschwerdekommission,
bei der sich dieFrage der Befangenheit
stelle. «In solchenFällen tritt das betrof-
fene Mitglied selbstverständlich in den
Ausstand», betont der Ex-Präsident.
Nachdem er mit seinen Bedenken
beimETH-Rat auf taube Ohren stiess,
wandte sich HansjörgPeter in einem
Brief an das Departement fürWirtschaft,
Bildung undForschung, das für dieAuf-
sicht der Hochschulen zuständig ist.
Doch sein Schreiben an Nathalie Gou-
maz,die Generalsekretärin von Bundes-
rat GuyParmelin, zeigtekeine Wirkung.
Sie habe denWorten von Interimsprä-
sidentin Beth Krasna nichts beizufügen,
beschied ihm die Chefbeamtin.
Für den Ernstfall fehlen 5000 Polizisten
Bund und Kantone prob en eine Terror-Notlage – erst e Erkenntnisse liegen bereits vor
CHRISTOF FORSTER, BERN
Sind die Sicherheitsorgane bei Bund
und Kantonen gerüstet für einenTer-
ror-Ernstfall in der Schweiz? Dies wird
in einer grossangelegten 52-stündigen
Übung vom 11. bis 13. November ge-
testet. Obwohl freiwillig, machen alle
Kantone mit. Im gegenwärtigen Um-
feld latenter Bedrohungkönne es sich
kein Kanton erlauben, abseitszustehen,
sagt einTeilnehmer der Übung. Getestet
werden die Krisenstäbe bei Behörden,
Polizei, Bevölkerungsschutz, Armee,
Nachrichtendienst, nationaler Alarm-
zentrale und Bundesanwaltschaft.
Neben derTeilnehmerzahl ist auch
der Zeitraum breit gefasst. Bereits seit
Anfang 2018 erhalten die rund 70 Stäbe
und Kommandos von Kantonen,Polizei
und BundesbehördenLageberichte. Und
die haben es in sich. Die Schweiz wird
an mehrerenFronten bedroht und ange-
griffen.Das Szenario beginnt mit schwe-
renTerroranschlägen und einer Geisel-
nahme in Genf. DieAngreifer sterben als
Selbstmordattentäter oder bei Eingriffen
der Polizei. Drei werden verhaftet. Die
fiktiveTerrororganisation Global Libe-
ration Front (GLF) bekennt sich zu den
Anschlägen.Ihr Feindbild sind Gross-
mächte, das globalisierteFinanzsystem
und internationale Organisationen als
deren Handlanger. In der Schweiz hal-
ten sich schätzungsweise 20 GLF-Mit-
glieder auf, die auf eine unbekannte An-
zahl anSympathisanten zählenkönnen.
Die Bevölkerungreagiert trotz spürba-
rer Verunsicherung besonnen.
Anschlägeund Erpressungen
Einige Monate später schlägt die GLF
wieder zu: Sie ermordet einen Berner
Regierungsratvor dessen Hausund ver-
letzt durch einen Messerangriff in einem
Intercity-Zug eineThurgauer National-
rätin schwer.WeitereAnschlägeauf Per-
sonen des öffentlichen Lebens werden
angedroht.Damit will sie die drei gefan-
genenTerroristen freipressen. Die Orga-
nisation veröffentlicht 450 Namen von
Politikern und Medienleuten und ruft
dazu auf, diese zu töten. Die GLF kann
sich Sturmgewehre, Handgranaten und
Sprengstoff beschaffen. Mittels Cyber-
angriffen auf Online-Medien versucht
sie permanent,Falschinformationen zu
verbreiten, um die Behörden zu diskre-
ditieren und die Bevölkerung zu verun-
sichern. Insgesamt14 Attentate fordern
30Tote und 210Verletzte. Das in Zusam-
menarbeit mit dem Nachrichtendienst
entworfene Szenario haben die Beteilig-
ten in vier gestaffeltenLageberichten er-
halten.Dazwischen konnten sie ihre Pla-
nungen und Strategien anpassen.
Zum Start der Übung in zehnTagen
spitztsich die Situation nochmals zu.
GLF hat einen Anschlag auf das Atom-
kraftwerk Beznauverübt. Hintergrund
ist der Prozess gegen die drei Attentäter
von Genf, der Mitte November in Bellin-
zona beginnt. Bereits zuvor hatte es An-
griffe gegen die Strominfrastruktur und
die Trinkwasserversorgung gegeben.
Rund 2000 Personen beteiligt
An der Übung nehmen rund 2000Perso-
nen teil.Für die Bevölkerung ist davon
jedoch nichts zu sehen. DieTeilnehmer
arbeiten an ihren angestammtenArbeits-
plätzen,das Operationszentrum der Lei-
tungist in der Kaserne Bern unter-
gebracht. Übungsleiter ist der ehemalige
BernerRegierungsrat Hans-Jürg Käser.
Erste Erkenntnisse liegen bereits vor.
Die Polizeikorps seien nichtimstande, die
geforderten Einsätze während einer lange
andauernden Bedrohungslage zu leisten,
sagte ChristianVarone, Kommandant der
KantonspolizeiWallis. Dafür seien zu den
rund18 000 bestehenden rund 5000 zu-
sätzlichePolizisten notwendig. Die Be-
wachung vonPersonen und Infrastruktu-
ren sowie die verstärkte Präsenz in der
Öffentlichkeit erforderten zusätzliche
Kapazitäten. Umso wichtiger sei die gute
Koordination der Sicherheitskräfte im
ganzenLand, sagteVarone, der imVor-
stand der kantonalenPolizeikommandan-
tenkonferenz sitzt. ZurVerstärkung der
Polizei kommt die Armee zum Einsatz.
Die Sicherheitsverbundübung 20 19
ist die zweite dieserArt nach 2014. Nach
dem Ende des Kalten Krieges hat die
Schweiz während 25Jahren keine solchen
Sicherheitsübungen mehr organisiert.Die
Schweiz sei ein sicheresLand, sagteJus-
tizministerin Karin Keller-Sutter am
Donnerstagvor den Medien.Aberauch
sie müsse sich wappnen. Dies sei nicht
Alarmismus, sondern Krisenvorsorge. In
der Realität steht lautKeller-Sutter der
dschihadistisch motivierteTerrorismus im
Vordergrund. Doch auch dierechts- und
die linksextreme Szene würden Gewalt-
potenzial bergen. Der Abschlussbericht
zur Übung wird Mitte 2020 veröffentlicht.
Füralle, dieeineklugeFormel
fürihreZukunft suchen:
Indi viduelle Vorsorge-und
Finanzberatungfür ein
selbstbestimmtes Leben.
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