14 SCHWEIZ Freitag, 1. November 2019
Ein Kommen und Gehen
Wer es zur SRG geschafft hat, bleibt dort bis zur Pensionierung –diese Faustregel ändert sich zusehends
RAINERSTADLER
Am Mittwoch wurde bekannt, dass
Ladina Heimgartner die SRG verlässt
und zu Ringier wechselt.Damitkehrt
erneut eine prominentePerson dem
nationalenRundfunk denRücken zu
und geht zum Boulevardspezialisten an
der ZürcherDufourstrasse. Ihrvoraus-
gegangen sind der ehemalige «Arena»-
ChefJonas Projer, der zurzeit den Start
von Blick-TV vorbereitet, sowie der
SRF-Moderator Reto Scherrer,der
künftig bei Blick-TV als Ansager bzw.
als «Anchorman» auftreten wird. Heim-
gartner,zurzeitRTR-Direktorin und
stellvertretende SRG-Generaldirekto-
rin, wird bei Ringier unter anderem für
dieKommunikation zuständig sein.
Heimgartners Stellenwechsel ist spe-
ziell, weil man ihr dieRolle des jungen
SRG-Nachwuchstalents zuschrieb und
weil sie während des Abstimmungs-
kampfs um die «No Billag»-Initiative als
unverbrauchte, glaubwürdige Stimme
zugunsten des Service public auffiel.
Eine grössereKarriere beim nationalen
Rundfunk schien ihr vorbestimmt.
DerPersonalwechsel verdient in ver-
schiedener Hinsicht Beachtung. Er trägt
die Handschriftvon Ringier-CEO Marc
Walder,derein Flair dafür hat, Mar-
keting-geprägte Akzente zu setzen. Er
kauft damit nicht nurKompetenz ein.
Die bekannten Gesichter verschaffen
gleichzeitig dem für Ringier wichtigen
FernsehprojektAufmerksamkeit.
SchärfererWettbewerb
Blick-TV eröffnet eine neue Phase in der
Geschichte des Medienhauses. BeimVer-
such,auf dem audiovisuellen Markt Fuss
zufassen, verfolgte Ringier bisher eine
komplementäre Strategie, was heisst:
Angesichts der engen Marktperspek-
tiven wollte derVerlag – im Gegensatz
zuTamedia (TV3)– keine direkteKon-
kurrenz zur SRG aufbauen.Vielmehr
realisierte man zusammenmit anderen
Pressehäusern ein Zusatzprogramm, das
innerhalb der SRF-Kanäle zu sehen war.
MangelsRentabilität gab Ringier diese
Tätigkeit jedoch Ende 2012 auf.
Die Streaming-Technik reduziert
die Eintrittsschwellen imAudio- und
Video-Bereich und eröffnet für Rin-
gier eine Chance, sich wieder vermehrt
in diesem Geschäft zu engagieren.Das
Medienhaus kann so dieFesseln des
herkömmlichen, in der Schweiz von der
SRG dominiertenFernsehens spren-
gen. Zudem hilft die neue Strategie da-
bei, der «Blick»-Gruppe, deren Stamm-
geschäft durch die Boulevardisierung
des Medienmarktes erschüttert wurde,
eine besserePerspektive zu verschaf-
fen.Das verschärft denWettbewerb mit
der SRG,die sich ihrerseits vom linearen
Programmbetrieb löst und zum digita-
len Medienhaus mutiert. In diesem Sinn
ist es für Ringier attraktiv, beim öffent-
lichenRundfunkPersonal abzuwerben.
Kommt hinzu, dass man dort ohnehin
das grössteReservoir an audiovisueller
Kompetenz anzapfen kann.
Vielfältigere Perspektiven
Auf dem Arbeitsmarkt haben sich die Zei-
ten ohnehin geändert.Wer heuteaufstei-
gen will, hat einenWettbewerbsnachteil,
wenn er sein Erwerbsleben stets im sel-
ben Betriebverbracht hat. Der Karriere-
bewusste kann seinen Marktwert steigern,
wenn erden Arbeitgeber wechselt.
Stellenwechsel sind ebenso sehr ge-
prägt von den jeweiligen Opportunitä-
ten. Die Digitalisierung hat diese ver-
grössert. Die Märkte wachsen zusam-
men, und damit schrumpft die Kluft zwi-
schen Fernsehsendern, Radiosendern
und Pressehäusern. In allen Betrieben
wächst die Nachfrage nach multimedia-
lerKompetenz.Aus dieser Perspek-
tive stellen die genanntenJobwechsel
keine Überraschung dar. Für die Arbeit-
nehmer, dieim Mediensektor mit einer
generell schwierigen Beschäftigungslage
konfrontiert sind, ergeben sichVorteile.
Die Karriereperspektiven werden viel-
fältiger, auch auf unteren Hierarchie-
stufen.Das ändert aber nichts an derTat-
sache,dass die Nachfrage nach attrakti-
ven Arbeitsplätzen imMediensektor
deutlich grösser ist als das Angebot.
Die dauerndenRestrukturierungen
in denMedienbetrieben – eineFolge
der digitalen Disruption – erhöhen
unter den Belegschaftenjedoch das
Frustrationspotenzial,was wiederum
bei den Beschäftigten die Lust weckt,
anderswo frische Luft zu schnuppern –
falls sich eine Möglichkeit ergibt. Die
permanenteRevolution in den Betrie-
ben schwächt gleichzeitig die Bindung
zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh-
mern.Einige wandern in andereWirt-
schaftszweige ab, oder sie wechseln in
die sichereren Gefilde derVerwaltung
oder einer Stiftung–wie etwa die ehe-
malige stellvertretende Radio-Chef-
redaktorin Elisabeth Pestalozzi, die
nun dieKommunikation der Christoph-
Merian-Stiftung verantwortet.
Die Abgänge bei der SRG wider-
spiegeln einen dynamischeren Markt.
Die Alternativen zum öffentlichen
Rundfunkwerden attraktiver. Unterneh-
mungslustige nutzen die Chancen. Bei-
spielsweise der ehemalige«Tagesschau»-
Moderator Urs Gredig, der vor zwei Jah-
ren denPosten des Chefredaktors bei
CNN Money Switzerland übernahm.
Oder die Sportredaktorin Steffi Buchli,
die nun den UPC-Kanal MySports ver-
antwortet. Der Sportmoderator Matthias
Hüppi wiederum wirkt seit Anfang 20 18
als Präsident des FC St. Gallen.
Ein anderes SRF-Eigengewächs, Kurt
Schaad, wagte den Schrittindie Privat-
wirtschaft bereits vor zehnJahren. Er war
zusammen mit dem SRF-Kollegen Alex-
ander Mazzara Mitgründer desJugend-
sendersJoiz, der allerdings vor dreiJah-
ren den Betrieb einstellen musste. Pascal
Scherrer,einst Leiter vonRadio SRF 3,
wechselte kürzlich zu CH-Media, wo er
dieRegionalfernsehstationen führt.
SRG-Nationalräte
Gleichwohl sind Abwanderungenbei
der SRGkein neuesPhänomen. Einige
Personen kamen aus der Privatwirt-
schaft und zogen bald wieder weiter,
etwa die ehemalige Direktorin Ingrid
Deltenre oder der «10 vor 10»-Pionier
JürgWildberger.Langjährige SRG-Mit-
arbeiter nutzten schon früh dieVorteile
desRampenlichts, das ihnen die SRG
verschaffte, und stiegenindiePolitik ein:
zu erwähnen sind MatthiasAebischer
(SP-Nationalrat), MaximilianReimann
(Ex-SVP-Nationalrat),WernerVetterli
(Ex-SVP-Nationalrat), Norbert Hoch-
reutener (Ex-CVP-Nationalrat) und
nicht zuletzt der «Arena»-Moderator
Filippo Leutenegger, der 2002 die Ge-
schäftsführung des Jean-Frey-Verlags
(«Weltwoche»,«Bilanz») übernahm, ein
Jahr später FDP-Nationalrat wurde und
nun im Zürcher Stadtrat sitzt.
Aufmerksamkeit verdient auch diese
Karriere: MarcFurrer begann als Inland-
journalist vonRadio DRS,wurde 1988
persönlicher Berater von Bundesrat Ogi
und1992 Direktor des neugegründeten
BundesamtsfürKommunikation.Nach
dreissigJahrenkehrte er 20 18 zur SRG
zurück: alsVerwaltungsrat. Der Bundes-
rat hat ihn dorthin entsandt.
Die Fluktuationen rund um die SRG
sindalso seit langem grösser, als es auf
den ersten Blick scheint. Die Stellen-
wechsel bedeuten zudem nicht, dass die
Attraktivität der SRG als Arbeitgeber ge-
sunken wäre. Denn hinsichtlich der Ent-
löhnung und derRahmenbedingungen
kann der hauptsächlich gebührenfinan-
zierteRundfunk nach wie vor mehr bie-
ten als mancherprivate Medienbetrieb.
Jonas Projer ist eines der ehemaligenAushängeschilder, welche die SRGverlassen haben. ENNIO LEANZA / KEYSTONE
Ueli Maurer plant Besu ch bei Putin
Der Bundespräsident will den Kremlherrscher treffen – Kritiker mahnen, Bern sende damit ein falsches Signal
TOBIASGAFAFER
Vor kurzemkehrte Ueli Maurer (svp.)
aus Saudiarabien zurück. Und nun
plant der Bundespräsident bereits seine
nächsteReise. In den nächstenWochen
soll er in Moskau Wladimir Putin tref-
fen,wie mehrereQuellen in der Bundes-
verwaltung bestätigen.DemVernehmen
nach war es MaurersWunsch, den rus-
sischen Präsidenten zu besuchen.Seine
Pressestelle teilt auf Anfrage lediglich
mit, über Besuche des Bundespräsiden-
ten werde zu gegebener Zeit informiert.
In derRegel geschieht dies einigeTage
imVoraus. Über die umstritteneReise
nach Saudiarabien setzte dasFinanz-
departement die Öffentlichkeit erst un-
mittelbar vor der Abreise inKenntnis.
Die Schweiz undRussland pflegen seit
längerem sehr gute Beziehungen. Besu-
che auf oberster Stufe sind jedoch selten.
ImJuni 20 14 traf der damalige Bundes-
präsident Didier Burkhalter Wladimir
Putin inWien. DerWestschweizer war in
diesemJahr aber auchVorsitzender der
Organisation für Sicherheit und Zusam-
menarbeit in Europa – und versuchte in
der Ukraine-Krise zuvermitteln. Maurer
traf Putin 20 14 bereits kurz amRande
der OlympischenWinterspiele in Sotschi.
2009 hatte das damalige Staatsoberhaupt
Dmitri Medwedew die Schweiz besucht.
Beobachter fragen sich nun, was das
Ziel von MaurersReise ist.In derRegel
geht es bei derartigen Besuchen um ein
breitesThemenfeld. NamentlichWirt-
schafts- undFinanzfragen dürften in
Moskau zur Sprachekommen.Russland
gilt alsLand mit grossem ökonomischem
Potenzial. ImJuni weilte bereits Staats-
sekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-
Fleisch mit einerWirtschaftsmission in
Russland, die auf grosses Interesse stiess.
Im Zuge der Ukraine-Krise 20 14 gingen
die Exporte aus der Schweiz allerdings
stark zurück. Zwar stiegen diese in den
letzten beidenJahren wieder.Aber in
derRangliste der wichtigsten Handels-
partner belegteRussland 20 18 lediglich
den 25. Platz. Die Schweiz exportiert
primär pharmazeutische Güter, Maschi-
nen, landwirtschaftliche Produkte wie
Käse sowie Uhren.
Zu schaffen macht Schweizer Unter-
nehmen die sogenannte Lokalisierungs-
politik, die Moskau alsReaktion auf die
westlichen Sanktionen eingeführt hat.
Der Wirtschaftsdachverband Econo-
miesuisse hielt nach Ineichen-Fleischs
Mission fest, dass russischeFirmen bei
öffentlichenAufträgen bevorteilt wür-
den. Zudem seien der administrative
Aufwand und die Rechtsunsicherheit
gross.Die Schweiz beteiligt sich zwar
formal nicht an den Sanktionen, welche
die EU ergriff, nachdem Moskau völker-
rechtswidrig die Krim annektiert hatte.
Bern beschloss aber Massnahmen, um
Umgehungsgeschäfte zu verhindern.
Diese betreffen unter anderem Exporte
von zivil und militärisch verwendbaren
Gütern sowie gewisse Individuen.
Aussenpolitiker kritisieren den geplan-
ten Besuch beim Kremlherrscher. «Es ist
bezeichnend, dass Ueli Maurer in seinem
Präsidialjahr wohl wederJean-Claude
Juncker noch Ursula vonder Leyen,aber
dafür DonaldTr ump, Xi Jinping und
Wladimir Putin getroffen haben wird»,
sagt etwa NationalratFabian Molina (sp.,
Zürich). Der Besuch sei problematisch,
wenn wirtschaftliche Aspekte imVorder-
grund ständen, wie es in Saudiarabien der
Fall gewesen sei. Bern würde damit ein
falsches Signal aussenden und diePoli-
tik der EU unterlaufen. Diese bemühe
sich um eine gemeinsame Haltung. Mau-
rer war mit einerFinanzdelegation in den
Wüstenstaat gereist und nahm auch an
einer saudischen Investorenkonferenz teil.
Die CVP-Nationalrätin Elisabeth
Schneider-Schneiter, die Präsidentin der
AussenpolitischenKommission, vertei-
digt dagegen den geplanten Besuch. Sie
geht davon aus, dass Maurer auch die
RolleRusslands in der Ukraine und in
Syrien ansprechen wird. «Die Schweiz ist
als neutralesLand immer gut gefahren,
wenn sie mit allen Staaten im Dialog ist.»
Schneider-Schneiter sieht die Sanktionen
gegenRussland kritisch.Dabei handle es
sich vor allem umSymbolpolitik.
NebenWirtschafts- undFinanzfragen
dürften in Moskau auch die Guten
Dienste der Schweiz zur Sprachekom-
men. Diese vertritt seit 2009 die Inter-
essenRusslands in Georgien und jene
GeorgiensinRussland, nachdem die
beiden Staatenihre diplomatischen Be-
ziehungen abgebrochen haben. Im Sep-
tember vermittelte Bern amRande der
Uno-Generalversammlung einTr effen
zwischen den beidenAussenministern.
Zudem beteiligt sich die Schweiz an der
Überwachung des Zollabkommens zwi-
schenRussland und Georgien.
In Moskauer
Botschaft
Geld veruntreut
Die Schweizer Vertretungentdeckt
kriminelleTateneinerMitarbeiterin
(sda)·Eine lokale Mitarbeiterin der
Schweizer Botschaft in Moskau soll über
JahreRechnungen, Arztzeugnisse und
Invaliditätszeugnisse gefälscht und so
Geld erschwindelt haben. Die Beschul-
digte wurde MitteFebruar unverzüg-
lich freigestellt.Darauf erhob sie selber
Vorwürfe. Über denFall berichteteRa-
dio SRF am Donnerstag. Das Eidgenös-
sische Departement für auswärtige An-
gelegenheiten(EDA) bestätigte auf An-
frage der NachrichtenagenturKeystone-
SDAentsprechende Informationen.
Offenbar soll eine Meldung eines
Bürgers denFall insRollen gebracht
haben. Dieser berichtete nach einem
Ehevorbereitungsgespräch auf der Bot-
schaftvon einer ohne Quittung ausge-
stelltenRechnung. Die SchweizerVer-
tretung inMoskau analysiertedaraufhin
zahlreiche Dokumente der Beschuldig-
ten. Die Untersuchung förderte ver-
schiedenste kriminelleTaten zutage.
Das EDA spricht von einer Scha-
denssumme für die Botschaft von
umgerechnet rund 75 000 Franken.
Gegen dieFrau sei Strafanzeige einge-
reicht worden.Das Verfahren sei der-
zeit im Gang.
NZZ /
EPA
Wladimir Putin
Präsident
von Russland
Ueli Maurer
Schweizer
Bundespräsident