Süddeutsche Zeitung - 08.11.2019

(lily) #1
von lea weinmann

A


ls Ingrid Hemmer im Jahr 2010 erst-
mals von Nachhaltigkeitskonzepten
an Hochschulen hört, denkt sie sich:
„Das können wir doch auch machen!“ Die
Professorin für Didaktik der Geografie
lehrt zu dem Zeitpunkt bereits an der Ka-
tholischen Universität (KU) Eichstätt-In-
golstadt. Kurzerhand schlägt sie dem da-
maligen Präsidenten der Hochschule vor,
ein nachhaltiges Gesamtkonzept auszuar-
beiten. Super Idee, sagt der, sie solle mal
machen.
„Das war die Geburtsstunde“, erzählt
Ingrid Hemmer heute, knapp ein Jahr-
zehnt später. Noch im selben Jahr entwi-
ckelte sie zusammen mit Studenten eine
Strategie, mittels derer Nachhaltigkeit in
alle Bereiche der Hochschule integriert
werden sollte. Über die Jahre wurde die KU
dadurch ordentlich umgekrempelt: Stu-
denten lernen mittlerweile in Projektsemi-
naren die Prinzipien nachhaltiger Entwick-
lung kennen, Mitarbeiter nutzen von der
Hochschule finanzierte Jobtickets, um mit
Bus und Bahn zur Arbeit zu kommen, ein
umfangreiches Umweltmanagementsys-
tem gibt die Leitlinien vor und zeigt auf, wo
es noch hakt. Hemmer ist noch immer Pro-
fessorin an der Hochschule, doch die Liste
ihrer Zuständigkeiten ist länger geworden



  • sie ist nun unter anderem die offizielle
    Nachhaltigkeitsbeauftragte der KU.
    Nicht nur in Eichstätt, sondern weltweit
    hat das Wort „nachhaltig“ in den vergange-
    nen Jahren eine steile Karriere hingelegt:
    Einst Öko-Nerd-Fachausdruck, ist „Nach-
    haltigkeit“ zu einem Begriff geworden,
    über den die einen ganze Bücher schrei-
    ben, während andere sich nur gerne mit
    ihm schmücken. So oder so, spätestens seit
    der Fridays-for-Future-Bewegung kommt
    keiner mehr um Nachhaltigkeit herum –
    schon gar keine Hochschule. Könnte man
    meinen. Als Forschungseinrichtungen
    und Ausbilder der akademischen Zunft
    des Landes könnte man Hochschulen so-
    gar eine ganz besondere Verantwortung in
    Sachen Nachhaltigkeit zuschreiben. Doch
    die Realität sieht anders aus: In der Breite
    ist das Thema Nachhaltigkeit an Hochschu-
    len längst noch nicht angekommen.
    Es sind immer noch Einzelkämpfer, die
    sich in den Bildungseinrichtungen dafür
    einsetzen. Zu ihnen gehört neben Professo-
    rin Ingrid Hemmer an der KU Eichstätt
    auch Lara Lütke-Spatz, die das „Netzwerk
    Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern“
    leitet: „Wir sind Bildungsstätten, nicht nur
    Ausbildungsstätten“, sagt Lütke-Spatz.
    „Das Wichtigste, was wir den Studieren-
    den mitgeben können, ist die Fähigkeit zur
    kritischen Reflexion.“ Bezogen auf die Leh-
    re sei das der Kern von Nachhaltigkeit: „Es
    geht darum, Zusammenhänge zu erken-
    nen und entsprechend verantwortungs-
    voll zu handeln, nicht nur auswendig zu ler-
    nen“, so die studierte Umweltgeografin.


Forschung und Lehre seien aber nicht al-
les. Auch im alltäglichen Betrieb müssten
Hochschulen Vorbild sein: „Wer zu einem
Thema forscht und lehrt – also vorgibt, wie
es sein müsste –, aber es selbst nicht lebt,
der ist schlicht nicht glaubwürdig“, findet
Lütke-Spatz. Sie hat das „Netzwerk Hoch-
schule und Nachhaltigkeit Bayern“ 2012 ge-
gründet und sechs Jahre lang ehrenamt-
lich aufgebaut; erst im vergangenen Jahr
schoss das bayerische Wissenschaftsminis-
terium erste Gelder zu. Mittlerweile beste-
he das Netzwerk aus mehr als 700 Akteu-
ren, sagt die Geschäftsführerin.
Mit regelmäßigen Treffen versucht Lüt-
ke-Spatz, alle Beteiligten in Bayern, die
sich an ihren Hochschulen für Nachhaltig-
keit engagieren, an einen Tisch zu holen.
Ein solches Netzwerk sei bundesweit ein-
zigartig, so die Gründerin. „Man muss zu-
sammenarbeiten“, sagt Lütke-Spatz.
„Wenn jeder nur für sich bleibt und es
dann noch Konkurrenzgehabe gibt – das
funktioniert nicht.“ Stattdessen sei der Aus-
tausch wichtig, sich gegenseitig zu helfen.
Und so kommt es in jüngster Zeit öfter vor,
dass an der KU Eichstätt das Telefon klin-
gelt und eine andere bayerische Hochschu-
le erfragt, wie das mit diesem Umweltma-
nagementsystem nun genau funktioniere.
Jedes Semester kommen alle Vertreter des
Netzwerks zusammen, um über wechseln-
de Themen zu diskutieren: Lehre, For-
schung, Hochschulpolitik, Digitalisierung



  • Anknüpfungspunkte gibt es genügend.
    Beim jüngsten Treffen im Juni rückte die
    Organisation erstmals die größte Akteurs-
    gruppe in den Fokus: Studenten. Sie saßen
    auf dem Podium, während Wirtschaftsver-
    treter und Politiker vorrangig im Publi-
    kum Platz nehmen mussten.
    Constantin Pittruff studiert an der Hoch-
    schule München und hat das Treffen mode-
    riert. Die nachhaltige Ausrichtung der
    Hochschulen – auch seiner eigenen – geht
    dem 27-Jährigen noch entschieden zu lang-
    sam: „Es bringt nichts, im Vorlesungssaal
    etwas über nachhaltiges Management zu
    hören, wenn ich danach in der Mensa den
    Einwegbecher ausgeteilt bekomme“, so
    der angehende Wirtschaftsingenieur.


Er wünsche sich in seinem Studium
mehr Reflexion und Realitätsbezug: Wel-
che Auswirkungen hat es, was er in seinem
Beruf später tut? Und wie kann er als Wirt-
schaftsingenieur zu einem nachhaltigen
Unternehmen beitragen? „Das passiert
punktuell, aber es ist noch kein Lebensge-
fühl, das uns vermittelt wird“, sagt der Stu-
dent. Pittruff wertet es dennoch als gutes
Zeichen, dass das Netzwerk in Bayern die
studentischen Vertreter nun verstärkt mit
ins Boot holen will.
Die Studenten wollen mitreden – auf Au-
genhöhe. Und das sei auch völlig ange-
bracht, meint Rebecca Geyer, Vorstands-
mitglied des Vereins „Netzwerk N“ und
ebenfalls Studentin: „Als Studierende sind
wir die größte Statusgruppe. Es wäre also
nur logisch, wenn wir den größten Einfluss
hätten – oder zumindest das gleiche Mit-
spracherecht wie alle anderen Gruppen.
Das ist aber nicht so.“ Der Verein will die
Stimme der Studierenden in Bezug auf
Nachhaltigkeit bundesweit stärken.
Unzählige nachhaltige Studenteninitia-
tiven gibt es bereits in Deutschland. Ein
paar aktive Studenten haben im Jahr 2012
das „Netzwerk N“ gegründet, um all diese
Gruppen bundesweit miteinander und mit
anderen Studenten und Hochschulen zu
vernetzen – eine Mammutaufgabe. Doch
die Studenten waren und sind erfolgreich:
Online bieten sie den Initiativen ein Forum
zum Austausch an, vergleichbar mit einem
sozialen Netzwerk – nur, dass es eben im-
mer um Nachhaltigkeit geht. Laut Rebecca
Geyer seien immerhin knapp 5000 User
auf der „Plattform N“ angemeldet. Mit der
Zeit hat sich der Verein von einer rein virtu-
ellen auch zu einer physischen Plattform
mit einer jährlichen Konferenz weiterent-
wickelt. Ein festes Mitarbeiterteam küm-
mert sich heute um die Organisation, hält
Vorträge an Hochschulen und mischt sich
auf Bundesebene in die Politik ein.
Das Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) unterstützt das
Netzwerk außerdem finanziell; die Gelder
fließen unter anderem in das „Wandercoa-
ching-Programm“, das nach eigenen Anga-

ben erfolgreichste Projekt der Organisati-
on. Das Prinzip dabei: Das Netzwerk bildet
Studenten zu Coaches aus, die dann von ei-
ner Initiative zur nächsten „wandern“ und
die Gruppen über mehrere Monate inhalt-
lich, strategisch und methodisch weiterbil-
den. In den vier Jahren seit der Gründung
gab es 86 Coachings in Deutschland, etwa
1000 Studenten habe das Netzwerk so er-
reicht, so Rebecca Geyer.
Aus der Erfahrung könne sie sagen, dass
es immer mehr nachhaltige Gruppen an
Hochschulen gebe: „Die Zahl der Engagier-
ten wächst – und mit ihr auch die Zahl der

Erfolgsgeschichten.“ Auf seiner Webseite
sammelt das Netzwerk gelungene Hoch-
schulprojekte, die auf ganz unterschiedli-
che Art zu einer nachhaltigen Entwicklung
beitragen: Von der Umweltringvorlesung
über soziales Engagement bis hin zur Nach-
haltigkeit in der Mensa.
Die große Bewegung fehlt allerdings.
„Viele Initiativen bewegen an vielen Ecken
ihrer Hochschule etwas, aber oft ist das
nicht flächendeckend“, sagt Geyer. Die Ein-
zelkämpfer bleiben meist Einzelkämpfer.
Manchmal haben sie Glück und rennen of-
fene Türen ein, wie Professorin Ingrid

Hemmer an der KU Eichstätt. Meistens
aber eher nicht.
Es scheitert, wie so oft, am Geld. Man-
che Hochschulleitungen argumentieren,
man wolle ja nachhaltiger sein, aber für
neue Lehrangebote fehlten ihnen die Mit-
tel. Ebenso für eine umweltfreundlichere
Gestaltung des Betriebs; es reiche ja gera-
de so zur Instandhaltung. Die Länder seien
gefragt: Sie müssten zusätzliche Finanzie-
rungen bereitstellen, um die Hochschulen
bei ihrem Wandel zu unterstützen.
Mehr Geld würde vieles erleichtern,
denn den Hochschulen fehlen die Anreize,
sich des Themas anzunehmen. Dabei könn-
te ein Anreizsystem eine sehr wirksame
Maßnahme sein, denn niemand kann die
Hochschulen dazu zwingen, sich mit Nach-
haltigkeit zu beschäftigen. Die Freiheit der
Forschung und Lehre verbietet jede Einmi-
schung in den Lehrplan der Bildungsein-
richtungen. Sie müssten also aus eigener
Motivation zur Überzeugung gelangen, et-
was verändern zu wollen. Die Vorreiter in
der Hochschullandschaft halten die aktuel-
le gesellschaftliche Stimmung für den per-
fekten Moment dafür. Tatsächlich bahnen
sich größere Veränderungen an: Neben all
den studentischen Initiativen und interdis-
ziplinären Arbeitsgruppen, die sich for-
miert haben, werden mehr und mehr Pro-
gramme für nachhaltige Bildungszertifika-
te entwickelt; immer mehr Hochschulen er-
nennen Nachhaltigkeitsbeauftragte und
starten nachhaltige Lehrprojekte.

Große Signalwirkung hat die Empfeh-
lung der Hochschulrektorenkonferenz
(HRK) von 2018, in der nahezu alle Präsi-
denten und Rektoren deutscher Hochschu-
len vertreten sind. Das Papier betont die Be-
deutung aller Hochschulen beim Thema
Nachhaltigkeit als „Zukunftswerkstätten
der Gesellschaft“. Damit haben sich die
Hochschulleitungen quasi offiziell zu einer
nachhaltigen Kultur bekannt.
Bleibt die Frage, ob es bei diesen Worten
bleibt. Die Zeit drängt, da sind sich die
Nachhaltigkeitsverfechter einig: „Die Hüt-
te brennt“, sagt Lara Lütke-Spatz vom
„Netzwerk Hochschule und Nachhaltigkeit
Bayern“. „Wenn die Akteure das erst ein-
mal erkennen, kann es mit der Umsetzung
an Hochschulen schnell gehen“, hofft sie.
Und obwohl Ingrid Hemmer an ihrer Uni-
versität schon erfolgreich war, sieht sie
sich noch lange nicht am Ziel. Sie will auch
andere Hochschulen dabei unterstützen,
nachhaltiger zu werden: „Wir haben gera-
de ein tolles Gelegenheitsfenster, in dem
wir etwas erreichen können. Daran müs-
sen wir mit aller Kraft arbeiten.“

Die Hochschulrektorenkonferenz
hatein Statement veröffentlicht.
Die Frage ist, wann Taten folgen

Charme gewinnt
Was Karriereexperte Jürgen Hesse
Hochschulabsolventen fürs
Vorstellungsgespräch rät 18

Kreativ planen
Architekten können sich auf
verschiedene Fachrichtungen
spezialisieren 19

Das Studium finanzieren
Worauf man bei Bafög,
Krediten, Fonds und bei
Stipendien achten muss 20

Vernetzt euch!


In der Hochschullandschaft haben sich viele Initiativen entwickelt, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen.


Geglückte Einzelprojekte gibt es bereits, doch der große Erfolg lässt noch auf sich warten. Woran liegt das?


DEFGH Nr. 258, Freitag, 8. November 2019


LERNEN


Studenten wünschen sich mehr


Realitätsbezug:Wie kann man


im Job verantwortlich handeln?


INHALT


18–


Noch ist das Thema
Nachhaltigkeit ein zartes
Pflänzchen in der deutschen
Hochschullandschaft. Doch
mehr und mehr Lehrende und
Lernende engagieren sich.
So bildet etwa das „Netzwerk N“
Coaches aus, die anderen
Studenten beibringen,
wie sie an ihrer Hochschule
etwas bewegen.
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