Süddeutsche Zeitung - 08.11.2019

(lily) #1
interview: harald freiberger
undveronika wulf

M


arius Müller-Westernhagen, 70,
erscheint komplett in Schwarz:
Stiefel, Jeans, Rolli, Jeansjacke.
Die Kappe hat der Rockmusiker tief ins Ge-
sicht gezogen, um ein blaues Auge zu verde-
cken. Er sei gegen eine Glasscheibe gelau-
fen, sagt er am Ende. Dass er auf einem
Sofa der Berliner Niederlassung von Uni-
versal sitzt, hindert ihn nicht daran, über
Plattenfirmen herzuziehen. Antworten be-
ginnt er gerne mal, bevor die Frage fertig
gestellt ist, und nach den vereinbarten ein-
einhalb Stunden redet er einfach weiter,
auch wenn sein Manager schon den Raum
verlassen hat. Am Freitag erscheint sein



  1. Album „Das Pfefferminz-Experiment“.


SZ: Herr Müller-Westernhagen, reden wir
über Geld.
Marius Müller-Westernhagen: Ich halte
Geld für das Grundübel. Ich habe zeitweise
unverhältnismäßig viel verdient und genie-
ße auch die Vorteile, die dadurch entstan-
den sind. Aber die entscheidende Frage ist:
Machst du dich vom Geld abhängig?
Sie haben jetzt Ihr erstes Erfolgsalbum
wieder aufgelegt: „Mit Pfefferminz bin
ich dein Prinz“. Gehen Ihnen etwa die
Ideen aus – oder das Geld?
Diese Idee wurde an mich herangetragen:
Warum setzt du dich nicht nach 40 Jahren
noch mal auseinander mit diesem Album,
so wie du das heute angehen würdest? Ich
hielt die Idee ehrlich gesagt für idiotisch.
Aber ich dachte: Sei nicht ignorant, hör dir
das Album noch mal an. Und dann dachte
ich: Scheiße, das ist gut, das lebt von der
Unerfahrenheit und Naivität von damals.
Darin habe ich einen Reiz gesehen. Und
das ist auch das, was mich nach wie vor mo-
tiviert: Ist da irgendwas, an dem du wach-
sen kannst? Ist ein Risiko dabei?


Wer hatte denn die Idee?
Olaf Meinking(zeigt auf seinen Manager).
Ich habe festgestellt, wie sehr du ein Stück
verändern und ihm auch eine andere Be-
deutung verleihen kannst, gerade durch
die Interpretation. Der Song „Johnny Wal-
ker“ war über viele Jahre, auch durch uns
Musiker befördert, eine Hymne für Alko-
hol, dabei ist der Song eigentlich eine
traurige Geschichte über die Abhängigkeit
vom Alkohol. In der jetzigen Interpretation
wird das klar.
Der Song hat ja einen biografischen Hin-
tergrund.
Ja, mein Vater war Alkoholiker.
Wie viel hat er getrunken?
Sehr viel. Er war jung und hoffnungsvoll,
ein großartiger Theaterschauspieler, als er
in den Krieg geschickt wurde. Er kam ge-
brochen zurück – und fing an zu trinken.
Neben dem Düsseldorfer Theater gab es
vom Krieg noch einen Schuttberg, und
oben stand eine Baracke, in der eine Knei-
pe drin war. Da haben die Schauspieler je-
den Abend ihre Jugend nachgefeiert und in
einer Art und Weise getrunken, dass meine
Mutter ihn jeden Abend da rausholen
musste. Das ist schon prägend.
Inwiefern haben Sie das als Kind mitbe-
kommen?
Ich war als Kind ziemlich spinnert. Ich
konnte nur bei Licht schlafen, sonst sah ich
irgendwelche Geister. Wenn meine Mutter
ihn dann abholte, konnte ich nicht schla-
fen, saß als kleiner Steppke am Fenster
und habe gewartet, dass das Auto kommt,
dann konnte ich beruhigt sein. Da ging die
Autotür auf, und mein Vater fiel raus.
Aber er war nicht aggressiv?
Nein, er war ein ganz großartiger Mensch
uns gegenüber. Meine Mutter auch, auf ei-
ne andere Art. Sie war sehr gefangen in ih-
ren Konventionen. Sie kam aus einer Offi-
ziersfamilie mit acht Kindern und brachte
Disziplin in die Familie. Und wenn es mal
nicht so gut lief, nahm sie sofort einen Job
an und krempelte die Ärmel hoch. Dafür
habe ich sie immer bewundert. Sie hielt
mich und meine Band für Vollidioten, hat
aber immer alle bekocht und unsere Ver-
stärker durch die Gegend gefahren.
Am Anfang haben Sie nur 400 Euro mit
„Stones“-Covern verdient, wie Sie in Ih-
rem Song „Mit 18“ singen, den Sie jetzt
wieder aufgelegt haben. Was haben Sie
sich davon gekauft? Platten?
Platten konnte man sich nicht leisten. Ich
habe Platten geklaut. Du kamst in so einen
Radio-Fernseher-Laden, der damals auch
Platten hatte, die hatten Abhörräume. Da
hast du dann ganze Stapel reingeschleppt,
hast die aufgelegt, danach wieder zurück
und einige hattest du unter der Jacke ver-
steckt. Da hat keiner drauf geachtet. Die
Platten waren Gold! R ’n’ B, Blues, Soul.
James Brown war für mich eine Legende.


Mit 14 haben Sie die Schule verlassen...
Mein Vater hatte mich vom Humboldt-
Gymnasium runtergenommen. Denn ich
hatte einen Französischlehrer, das war ei-
gentlich ein Sadist, der hat ständig die gan-
ze Klasse beleidigt. Mein Vater rief da an
und sagte, mein Sohn kommt nicht mehr
zur Schule. Und dann starb mein Vater. Mei-
ne sehr pragmatische Mutter hat gleich
gesagt: Okay, dann gehst du jetzt auf die hö-
here Handelsschule. Da musste ich lauter
Dinge lernen, die ich im Leben nie wieder
brauchte. Den Sinn von Steno oder Buch-
führung habe ich nie begriffen.

Wofür geben Sie heute Ihre Gage aus?
Ich glaube, das meiste Geld in meinem Le-
ben habe ich fürs Wohnen ausgegeben. Ich
bin einfach ein Ästhet, und da, wo ich die
meiste Zeit verbringe, muss es schön sein.
Außerdem gebe ich Geld für gutes Essen
aus und guten Rotwein. Ansonsten habe
ich immer sehr viel Geld in meine Produkti-
onen, in meine Konzerte gesteckt. Man
nannte mich die Geldverbrennungsma-
schine. Für mich ist Geld Mittel zum
Zweck. Es hat mir die Freiheit gegeben, im-
mer sagen zu können: Mache ich nicht.
Dann hieß es: Wir legen noch mal soundso
viel drauf – interessiert mich nicht. Sie kön-
nen mich bezahlen, aber nicht kaufen.
Haben Sie Verluste gemacht mit den Kon-
zerten?
Ich habe schon Klubkonzerte gemacht, mit
denen ich gar nichts verdient habe. Bei den
Stadionkonzerten ist das Risiko natürlich
am größten, aber damit kann man auch
am meisten verdienen. Du hast einen
Break-even. Die Kosten sind sehr hoch: Sta-
dionmiete, Equipment, eine Crew von bis
zu 150 Leuten mit Trucks und alldem.
Wo ist denn der Break-even von der Zu-
schauerzahl her?
Ich hab keine Ahnung, und es interessiert
mich auch nicht. Mich kannst du beschei-

ßen von vorne bis hinten. Ich sitze manch-
mal mit meinem Steuerberater zusam-
men, der redet und redet, und ich schlaf
ein, weil es mich einfach nicht interessiert.
Trotz höherer Handelsschule.
Ich brauche immer Kontrolle durch Olaf
oder irgendjemanden, der da draufguckt,
weil ich ja diese Sprache nicht verstehe. Da
gerate ich in Panik.

Das „Pfefferminz“-Album von 1978 war
Ihr viertes, Sie habendrei Alben Anlauf ge-
braucht, bis Sie kommerziell erfolgreich
waren. Geben Plattenfirmen ihren Künst-
lern heute noch so viel Zeit?
Nee. Ich bin 30 Jahre bei Warner gewesen,
da hat nie jemand gewagt, meine Arbeit im
Studio zu beeinflussen. Das gibt es ja auch,
jemand ruft dich an und sagt: „Wie läuft’s
denn? Ich höre gerade Aufnahmen von dir:
Wie wär’s mit etwas mehr Bass, mehr
Hall?“ So was verbitte ich mir.

Ist die Musikbranche so schlimm?
Da werden alle so zurechtgebogen. Und
das Schlimme ist: Es ist eine Generation
nachgewachsen, die das einfach gewohnt
ist. Da kommt einer und sagt: Spring mal
durch den brennenden Reifen, das ist gut
für dich. Ich schwöre, 99 Prozent springen.
Muss man denn springen? Gibt’skeine an-
dere Möglichkeit, Fuß zu fassen?
Du musst natürlich nicht springen. Aber
dann musst du den Weg gehen, den es
eigentlich nicht mehr gibt. In der Zeit, in
der ich angefangen habe, konntest du dir
durch viel Spielen ein loyales Publikum
schaffen. Ich habe bei einer Plattenfirma

unterschrieben, weil ich das Haus so toll
fand, in dem die waren. Die hatten einen
regenbogenfarbenen Teppich, und die
erschienen mir cool. Außerdem haben sie
mir gesagt, wenn du unterschreibst,
kriegst du aus unserem Repertoire jede
Platte, die du haben willst. Das war für
mich eine Goldmine. Dann habe ich da-
mals natürlich unter für mich sehr ungüns-
tigen Bedingungen unterschrieben.
Wie waren da die Bedingungen?
Das waren zehn bis zwölf Prozent der Ge-
samteinnahmen. Bis Udo Lindenberg, mit
dem ich damals in Hamburg in der WG ge-
lebt habe, für die ganzen Dummen, die da
rumliefen, einschließlich mir, die Tür ge-
öffnet hat. Ich habe da schon die großen
Hallen gefüllt, aber eine Abendgage von
5000 Mark bekommen. Und hab gedacht,
ich bin einer der reichsten Männer dieser
Welt. Aber Udo meinte: Bis du eigentlich be-
kloppt? Was kosten die Karten? 20 Mark?
Alter, hier gehen 10 000 Leute rein, rechne
mal durch!
Haben Sie das nie gemacht?
Nein, das hat mich wirklich nie interes-
siert. Der Dylan war da ganz anders. Der
hat jeden Abend durch den Vorhang ge-
guckt und die Zuschauer gezählt, weil er so
eine Angst hatte, dass der Veranstalter ihn
bescheißt. Später kamen dann Spezialis-
ten, die am Eingang mit Tickern bei jedem
Besucher klickten. Und ich kenne einen
Veranstalter, der ihnen das Doppelte ver-
sprach, wenn sie mit Klicken aufhören.
Heute fliegen die einmal mit der Drohne
drüber, machen ein Foto und wissen ge-
nau, wie viele drin sind.
Die Veranstalter haben ein Geschäft dar-
ausgemacht, die Zuschauerzahl runterzu-
korrigieren?
Ja sicher, da kam das Schwarzgeld her.
Das ist ja Betrug.
(Lacht)Ja. Im Laufe der Jahre fanden wir al-
le heraus, dass wir immer beschissen wur-

den. Wir waren halt Idealisten, wir sagten
uns: Oh, wir können Musik machen! Und
dann kriegen wir auch noch was zu trin-
ken! Und die holen uns mit dem Auto ab!
Das war unbegreiflich. Wir sind die, die das
Produkt liefern, aber richtig Geld verdie-
nen die, die es vermarkten. Und die bleiben
dabei auch noch gesund.
Aber später, in den Neunzigern, haben Sie
ja schon ordentlich verdient. Wie viel?
Ich bin zur Zeit der Stadiontourneen sehr,
sehr gut bezahlt worden.
Sechsstellig? Siebenstellig?
Mich hat das nicht interessiert.

Sie hatten in Ihrer Karriere sehr unter-
schiedliche Images: Sind Sie eher der
Ruhrpott-Rebell oder der Bentley fahren-
de Armani-Rocker?
Weder noch. Obwohl ich in Düsseldorf
wohnte, war ich vor dem Film „Theo gegen
den Rest der Welt“ nie im Ruhrgebiet. Das
war eine rein schauspielerische Aufgabe,
die es zu erfüllen galt. Ich hab dann sehr
profitiert davon, weil ich drei Platten mach-
te, die in diesem Milieu spielten. Aber mir
wurde das wirklich zu kumpelig. Deshalb
bin ich dann überall in Anzug und Schlips
aufgetaucht. Ich bin eher so ein bisschen
distanziert. Ich mag auch nicht, wenn Leu-
te mich erkennen.
Passiert das nicht ständig?
Sicher, aber du siehst es irgendwann nicht
mehr. Doch wenn Leute dich angucken, als
wär ihnen Jesus erschienen, ist es schon un-
angenehm. Oder du gehst irgendwo über
die Straße, und von hinten hörst du
(schreit): „Westernhagen! Sexy!“ Wuäh!
Ab 1999 wollten Sie nicht mehrin den gro-
ßen Stadien spielen. Warum?
Es fing an, mich zu langweilen. Du bist ir-
gendwann am Ende der Fahnenstange für
Kreativität. Dann wird es albern, es wird
nur noch größer, aufwendiger, bunter. Die
Verpackung wird immer größer, was drin
ist, immer kleiner. Du bist ständig in der
Gefahr, dich selbst zu verlieren und irgend-
wann nicht mehr zu wissen: Was willst du
hier eigentlich? Die Leute sehen dich über-
lebensgroß, was du natürlich nicht bist. Du
wirst einsam und mutierst zu einer Person,
die dir selbst nicht mehr gefällt. Jeder will
was von dir. Die Motive von Leuten, die du
lange kennst, verändern sich schnell.
Inwiefern?
Komischerweise wird der Mensch ab einer
gewissen Summe doch schwach. Die Verlo-
genheit bei der Vermarktung führt auch zu
einer gewissen Verlogenheit beim Pro-
dukt. Du kannst als Künstler aber Men-
schen nur erreichen und berühren, wenn
das, was du machst, auch ehrlich ist.
Und das geht vor einem großen Publikum
nicht mehr so gut?
Es geht, aber mir wurde es zu gigantisch.
Ich konnte meinen eigenen Namen nicht
mehr hören, konnte keinen Fernseher an-
machen, ohne dass ich irgendwann kam.
Reich wie nie, aber unglücklich wie nie?
Wenn du nicht wirklich reflektierst und er-
kennst: Ich werde zum Opfer hier, dann
bist du verloren. Amy Winehouse nahm He-
roin. Elton wurde Alkoholiker und war lan-
ge Zeit abhängig. Whitney Houston – das
sind außerordentlich begabte und damit
außerordentlich sensible Menschen. Sie
sind die Opfer der Industrie.
Sie hatten nie Alkoholexzesse? Hat Sie die
Geschichte Ihres Vaters abgeschreckt?
Ja, durchaus. Ich trink gerne Rotwein, aber
das hatte ich immer sehr gut unter Kontrol-
le. Und Dope macht mich völlig phlegma-
tisch. Ich hab einmal high gesungen – oder
besser gesagt nicht gesungen. Die Ama-
teurband fing an zu spielen, und ich dach-
te: Das ist ja schön. Dann spielten die das In-
tro noch mal und noch mal und dachten:
Wann fängt der Idiot endlich an zu singen?
Ich fand aber, es brauchte keinen Gesang.

Für einen Rockstar sind Sie ohnehin ziem-
lich asketisch, rauchen nicht, trinken
nicht übermäßig, treiben viel Sport.
Das tun ja jetzt alle. Selbst Udo trainiert in-
zwischen sehr hart. Ich finde auch, dass
das eine Pflicht ist. Wenn du auf der Bühne
bist, muss auch eine gewisse Körperlich-
keit vorhanden sein.
Ihnen wird oft Perfektionismus nachge-
sagt oder sogar Detailversessenheit...
Detailversessenheit, ja. Wenn die eine
Bühne bauen, und mir gefällt ein Detail
nicht, dann sagen die: Das sieht doch kein
Mensch. Und ich sag: Aber ich seh’s. Ich ver-
suche immer, das Beste zu machen, was ir-
gendwie geht. Leider auch bei anderen.
Das kann manchmal nervtötend sein.
Haben Sie Ihre beste Leistung aus eigener
Sicht schon erreicht?
Schwer zu sagen. Meine absolut beste Plat-
te war „In den Wahnsinn“. Auch wenn sie
nicht zu den erfolgreichsten gehört.
Warum machen Sie trotzdem immer wei-
ter? Sie sind seit 50 Jahren im Geschäft.
Ich bin noch motiviert. Es ist jedes Mal, als
ob ich meine erste Platte mache, ich bin im-
mer noch genauso nervös. Und zweitens
bin ich auch der fürchterlich arroganten
Meinung: Ich mach, was ich will.

„Platten konnte man
sich nicht leisten.
Ich habe Platten geklaut.“

„Ich hab gedacht,
ich bin einer der reichsten
Männer dieser Welt.“

Frankfurt– Konzernchef Martin Zielke
und die übrigen Vorstände der Commerz-
bank sind inzwischen Meister darin, tief zu
stapeln. Am Donnerstag hatten sie wieder
Gelegenheit, das zu beweisen. Das dritte
Quartal lief überraschend gut, wobei die
Überraschung eben auch damit zu tun hat-
te, dass die Bank zuvor die Erwartungen ge-
senkt hatte. Zur Vorlage der Drei-Monats-
Zahlen senkten Zielke und Finanzchef Ste-
phan Engels auch die Aussichten für das
Gesamtjahr und glauben nun nicht mehr
an eine Gewinnsteigerung. Der Über-
schuss werde voraussichtlich unter den
865 Millionen Euro aus dem vergangenen
Jahr landen, hieß es. „Wunschdenken ist
angesichts niedriger Zinsen, Konjunktur-
eintrübung und geopolitischer Unsicher-
heiten nicht angesagt“, sagte Zielke.
Die zweitgrößte private Bank des Lan-
des schließt sich der Konkurrenz an und
will Strafzinsen für vermögende Kunden
einführen. Finanzvorstand Engels stellte
in Aussicht, Kunden „mit deutlich mehr
als einer Million Euro“ an Einlagen stärker
zur Kasse zu bitten. Das Potenzial sei sehr
groß. Ohne eine konkrete Untergrenze zu
nennen, schloss aber er aus, schon bei Ein-
lagen von 100 000 Euro zu beginnen.
Im Firmenkundengeschäft ist es schon
länger üblich, die negativen Einlagezinsen
der Europäischen Zentralbank an die Kun-
den weiterzugeben. Mit ihrer Ende Septem-
ber verkündeten Strategie will die Bank
200 von 1000 Filialen schließen, netto
2300 Stellen streichen, die Comdirect inte-
grieren und die polnische Tochter M-Bank
verkaufen. In den ersten neun Monaten
verdiente die Commerzbank 684 Millio-
nen Euro und damit neun Prozent weniger
als im Vorjahreszeitraum. jawi

München –Vertrauen ist ein wertvolles
Gut und zerstörtes Vertrauen schwer wie-
dergutzumachen. Wer sich im Urlaub ge-
gen ein Hotel und für eine Privatwohnung
entscheidet, gibt seinem Vermieter einen
gehörigen Vorschuss davon: Er kann vor
Reiseantritt kaum überprüfen, ob alle An-
gaben und alle bunten Bilder der Wohnung
wirklich stimmen. Er muss seinem Gastge-
ber einfach vertrauen. Das Geschäft des Fe-
rienwohnungsvermittlers Airbnb basiert
auf diesem Prinzip, und es hat in den ver-
gangenen Monaten immer wieder gelitten.
Besonders stark tat es das zuletzt in der ver-
gangenen Woche: Am Donnerstag waren
bei Schüssen auf einer unerlaubten Hallo-
weenfeier mit vielen Besuchern in einer
Airbnb-Wohnung in Kalifornien fünf Men-


schen ums Leben gekommen. Der Konzern
gab sich bestürzt – und reagiert nun.
Ab sofort beginnt Airbnb damit, alle sie-
ben Millionen Unterkünfte auf seiner Platt-
form zu überprüfen. Der Prozess soll ein
Jahr dauern und Ende 2020 abgeschlossen
sein. Es solle auf diesem Weg sichergestellt
werden, dass die Ausschreibungen akku-
rat und die für Kurzaufenthalte angebote-
nen Häuser und Zimmer grundsätzliche
Qualitätsstandards erfüllten, teilte Airbnb-
Gründer und CEO Brian Chesky in einer
Stellungnahme mit. Neben den Fotos und
Adressen soll auch eine Grundausstattung
der Wohnungen verifiziert werden. Wie ge-
nau das geschehen soll, verrät Airbnb je-
doch nicht. Eine Stellungnahme zu den
Maßnahmen lehnte der Konzern ab.

Um unangemeldete Hauspartys zu ver-
hindern, will Chesky bestimmte „Hochrisi-
kobuchungen“ strenger überprüfen las-
sen, etwa anhand der Dauer der Aufenthal-
te und der Anzahl der Gäste. Für Nachbarn
von Airbnb-Zimmern wird außerdem eine
Hotline eingerichtet, an die sich Menschen
wenden können, falls ihnen merkwürdige
Vorfälle in oder rund um eine Wohnung
auffallen. Diese wird zunächst in den USA
eingerichtet und im Laufe des kommen-
den Jahres im Rest der Welt ausgerollt.
Darüber hinaus soll es für Kunden ein-
facher werden, Probleme zu melden und
Erstattungen zu bekommen. Gästen wird
künftig eine gleichwertige oder bessere
Wohnung angeboten, falls die gebuchte
nicht den angegebenen Standards ent-

spricht. Alternativ bekommen sie den vol-
len Mietpreis zurück.
Neben anhaltenden Vertrauensproble-
men steht Airbnb in mehreren Ländern in
der Kritik, durch dauerhaft als Ferienwoh-
nung genutzte Immobilien heimische Woh-
nungsmärkte zu unterlaufen. Als „typi-
sche Airbnb-Wohnung“ gilt vielen mittler-
weile ein Appartement mit Alibi-Fotos an
der Wand, Alibi-Büchern im Regal und ei-
ner ominösen Schlüsselbox vor der Haus-
tür. Die Wohnungseigentümer lernen viele
Airbnb-Kunden gar nicht mehr kennen.
So seien etwa 26 Prozent der Wohnun-
gen in Paris nicht mehr von Bürgern der
Stadt bewohnt, beschwerte sich kürzlich
die Verwaltung der Stadt. Von den 65 000
Unterkünften in der Stadt, die Airbnb on-

line anbietet, seien fast die Hälfte „illegale
Hotels“ und würden dauerhaft an Touris-
ten vermittelt. Immer wieder tauchen zu-
dem Berichte auf, nach denen Airbnb-Gast-
geber ihre Gäste in minderwertigere Unter-
künfte bringen, nachdem die gebuchten
Zimmer nicht verfügbar gewesen seien.
Die Politik kommt bislang nur in klei-
nen Schritten gegen den US-Konzern vor-
an. Die Vertreter europäischer Großstädte
wollen sich künftig gemeinsam gegen die-
se Praktik wehren: Sie planen, ihre Kräfte
im Kampf gegen Portale wie Airbnb zu bün-
deln und die Firmen mittels verändertem
EU-Recht dazu zu verpflichten, Einkom-
mens- und Umsatzsteuer einzubehalten
und an die Behörden der jeweiligen Städte
abzuführen. vivien timmler  Seite 4

6 aus 49 (6.November)
Lottozahlen:7 - 11 - 32 - 39 - 45 - 46
Superzahl: 4


  1. Rang (6 Treffer und Superzahl) unbesetzt, im
    Jackpot 8 292 004,40 Euro, 2. Rang (6 Treffer)
    3 229 161,70 Euro, 3. Rang (5 Treffer mit Superzahl)
    12 652,80 Euro, 4. Rang (5 Treffer) 3939,00 Euro,

  2. Rang (4 Treffer mit Superzahl) 174,50 Euro,

  3. Rang (4 Treffer) 39,60 Euro, 7. Rang (3 Treffer
    mit Superzahl) 20,90 Euro, 8. Rang (3 Treffer)
    10,50 Euro, 9.Rang (2 Treffer mit Superzahl) 5,00
    Euro.
    Spiel 77: 1817643
    Gewinnklasse 1 (Super 7): unbesetzt, im Jackpot
    1 590 239,80 Euro, Gewinnklasse 2: 77 777,00 Euro,
    Gewinnklasse 3: 7777,00 Euro, Gewinnklasse 4:
    777,00 Euro, Gewinnklasse 5: 77,00 Euro, Gewinn-
    klasse 6: 17,00 Euro, Gewinnklasse 7: 5,00 Euro.
    Super 6:0 7 0 3 5 9 (Ohne Gewähr)


In der LondonerTimesist am
Donnerstag eine Karikatur er-
schienen, die einen beson-
ders blonden Wuschelkopf
zeigt. Der unschwer erkennba-
re Premierminister verneigt sich vor der
pelztragenden Queen, in der Hand hält er
sein Wahlprogramm. „Natürlich ist das al-
les ein Fake“, sagt die Königin. Und der Wu-
schelkopf denkt sich: „Woher um alles in
der Welt weiß sie das?“ Nun, das mit dem
Fake ist gerade in Brexit-Zeiten so eine Sa-
che. Seit Boris Johnson in Downing Street
residiert, hat er die Queen nicht immer red-
lich behandelt. Als es etwa darum ging, das
Parlament in die Zwangspause zu schi-
cken, holte er sich dafür zwar ein Placet der
Königin; doch sein Manöver wurde dann
vom obersten Gerichtshof für rechtswidrig
erklärt. Man tritt Johnson nicht zu nahe,
wenn man sagt, dass er es mit der Wahr-
heit nicht immer so genau nimmt. Doch ist
deshalb alles ein Fake, was er in seinem
Wahlprogramm behauptet?
Nun, Johnson will vor allem eines: mehr
Geld ausgeben. Er möchte das Gesund-
heitswesen stärken, er möchte mehr Poli-
zisten einstellen und die Infrastruktur aus-
bauen. Das alles kostet. Aber höchstwahr-
scheinlich kostet es nicht mehr als die
Wahlversprechen von Jeremy Corbyn. Zur-
zeit touren Johnson und sein linker Wider-
sacher durch das Land, um die Bürger vor
dem Wahlen am 12. Dezember auf ihre Sei-
te zu ziehen. Sie werfen nur so mit großarti-
gen Plänen um sich, dass einem ganz
schwindelig werden kann. Unfinanzierba-
re Versprechen sind ja seit jeher ein Klassi-
ker des Wahlkampfs. Doch diesmal stehen
sie, wie man in der Wirtschaft so schön
sagt, unter einem besonderen Finanzie-
rungsvorbehalt. Denn alles, was Johnson
oder Corbyn planen, hängt vom Brexit ab.
Es ist schon ein Unterschied, ob es künftig
Zölle zwischen der EU und Großbritannien
gibt – oder eben nicht. Das beeinflusst die
Wirtschaftsleistung des Landes maßgeb-
lich; und damit auch die Frage, wie viel
Geld man für Polizisten ausgeben kann.
Doch weil in Wahrheit niemand weiß,
welches künftige Verhältnis Johnson oder
Corbyn mit der EU wirklich wollen, hat der
wunderbareTimes-Karikaturist den Wahl-
kampf um einen ganz besonderen Fake be-
reichert. Er zeichnete die Queen in einem
unechten Pelz, schließlich hat deren
Schneiderin verlauten lassen, dass die Kö-
nigin keinen echten Pelz mehr tragen wer-
de. Die Queen tritt dem Premier in ihrem
Fake-Nerz also gegenüber und sagt: „Na-
türlich ist das alles ein Fake.“Doch der blon-
de Wuschelkopf scheint den Wortwitz Ih-
rer Majestät nicht zu verstehen. Er ist ein-
mal mehr mit seinen eigenen Fakes be-
schäftigt. alexander mühlauer

Commerzbank


kippt Gewinnziele


„Mich kannst du bescheißen


von vorne bis hinten“


Marius Müller-Westernhagen hat so viele Platten verkauft wie kaum ein deutscher Musiker.
Trotzdem denkt er nicht ans Aufhören. Warum er weder von Drogen noch von Geld viel hält

Airbnb überprüft alle Ferienwohnungen


DerKonzern unterzieht alle sieben Millionen Wohnungen genauen Prüfungen, um das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen


Mittwoch-Lotto


30 HF2 (^) WIRTSCHAFT Freitag, 8. November 2019, Nr. 258 DEFGH
BEI UNS IN LONDON
Borisund der Pelz
der Queen
REDEN WIR ÜBER GELDMIT MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN
FOTO: DANIEL PILAR/LAIF

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