Süddeutsche Zeitung - 08.11.2019

(lily) #1

I


m Wasser, im Schmalz und im Wein. So sagt
ein altes deutsches Sprichwort, das wie so vie-
le einen logischen Hintergrund hat. Das Wasser
macht Sinn, denn dort ist ein Fisch in seinem
Element. Das Schmalz kam in früheren Zeiten
ohne optimale Kühlmöglichkeiten dazu. Fisch
wurde damals sicherheitshalber durchgegart, was
besonders gut in siedendem Schmalz gelingt. Gleich-
zeitig wird das Gericht noch nahrhafter als die be-
rühmte Forelle blau. So konnte man an Fastentagen
noch ein Quäntchen Energie zusätzlich zu sich neh-
men ohne gleich zu sündigen. Auch der Wein erklärt
sich leicht. Gerbstoffe im Rotwein können zusammen
mit dem Fischeiweiß bitter oder metallisch schme-
cken. Mit Weißwein passiert dies nicht. Zudem hat
der Wein noch eine antiseptische Wirkung, in kühl-

schranklosen Zeiten durchaus ein Vorteil. Heute ist
dank ausgeklügelter Kühlketten auch roher Fisch
kein Problem und manch einer kombiniert das Mee-
resgetier gar mit Rotwein. Das klappt besonders gut
mit einer Rebsorte, die weniger Gerbstoff hat, wie
dem Spätburgunder. Auch ein Gewächs mit mildem
Tannin kann ein guter Begleiter sein. Einem kräftige-
ren Rotwein aromatisch Paroli zu bieten gelingt selbst
einem Fisch, wenn er kross auf der Haut gebraten oder
gar gegrillt wurde. Gelegentlich wird auch die Sauce
zum Brückenbauer. Konzentriert bindet sie die Gerb-
stoffe des Weines ein und lässt sie mit dem Fischeiweiß
nicht mehr reagieren. Sprichworte oder Rituale ha-
ben einen wahren Kern, auch wenn sich dieser in den
modernen Zeiten ganz gut verborgen hält. „Jeman-
dem reinen Wein einschenken“ ist in Zeiten von Fake-
News fast wieder ein aktuelles Sprichwort, obwohl es
aus dem Mittelalter stammt. Damals nahm man es
mit der Weinqualität nicht immer so genau. Sauren
Wein versetzte man mit Blei, schon schmeckte er sü-
ßer. Die Wirte machten gerne mehr Profit indem Was-
ser und essigsaure Tonerde die Weinmenge im Fass
erhöhten. Ein Wirt der nicht panschte, also reinen

Wein verkaufte, war eine ehrliche Haut. So wurde das
Sprichwort zu einem Synonym für die unverblüm-
te Wahrheit. Nach der Wahrheit kommt die Sicher-
heit. Wir werden es in den bevorstehenden Festtagen
wieder unzählige Male tun: wir prosten uns zu. Doch
keine Bange, die Annahme, dass man das unhöfliche
Zuprosten ohne Augenkontakt mit sieben Jahren ei-
nes nicht erfüllten Liebeslebens bezahlen müsse, ist
schlichtweg falsch. Dass wir uns beim Zuprosten in
die Augen schauen, hat einen anderen Grund. Es war
sozusagen die Lebensversicherung des Mittelalters.
Man konnte in die Iris des Gegenübers wie in einen
Spiegel blicken und damit erkennen, ob eventuell von
hinten Gefahr nahte. Auch Becher aus blank polier-
tem Zinn, Silber oder gar Gold erfüllten den Zweck.
Beim Anheben auf Augenhöhe konnte man das Trink-
gefäß wie einen Spiegel benutzen und sich versichern,
dass hinterrücks alles in Ordnung war. Stieß man
dann die Gefäße heftig aneinander, so schwappte
gerne etwas von einem Kelch in den anderen. Wenn
also ein Becher vergiftet war, wäre auch der andere
kontaminiert. Um den Gastgeber aber mit einer sol-
chen Selbstversicherung nicht zu brüskieren, wurde
die Geste schlicht als formvollendete Höf lichkeit um-
gedeutet. Mit den filigranen Weingläsern von heute
gelingt das heftige aneinanderstoßen nicht mehr so
gut. Aber sie ermöglichen den ungetrübten Blick auf
den Glasinhalt. So spielt die Optik heute eine weitaus
größere Rolle als in früheren Zeiten. Weinstein fällt
nun sofort ins Auge. Dass Weinstein nicht mit Zucker-
resten im Wein zu tun hat, ist fast Allgemeinwissen.
Die Kristalle sind klar, manchmal auch leicht getönt,
je nach Weinfarbe. Sie befinden sich oftmals am Fla-
schenboden oder gelangen durch unvorsichtiges Ein-
schenken ins Glas. Weinstein ist eine Verbindung von
weinsauren Salzen mit dem im Wein vorhanden Kali-
um. Meistens wird der Weinstein schon während des
Weinausbaus im Fass oder Stahltank ausgeschieden.
Bei Temperaturen unter 4°C fallen die Kristalle aus,
eine Tatsache, die sich viele Winzer zunutze machen
und den Wein herunterkühlen um später das Prob-
lem in der Flasche zu vermeiden. Eines ist aber sicher:
Weinstein ist absolut ungefährlich, gesundheitlich
vollkommen unbedenklich und beeinflusst auch
den Weingeschmack nicht. Ein anderes optisches

Phänomen treffen wir bei sogenannten ungefilterten
Weinen an. Diese werden bewusst nicht durch Filter
von Trubstoffen befreit und haben dadurch mehr
aromatische Inhaltsstoffe. Es kann sich aber am
Flaschenboden etwas Depot absetzen. Da heißt es,
egal ob rot oder weiß, am besten Dekantieren (oder
vorsichtig eingießen). Das feine Glas lässt uns auch
noch ganz andere Dinge beurteilen. Neben der Far-
be eines Weines die seiner Viskosität. Wenn ein feiner
Tropfen im Glas geschwenkt wird, gleitet er langsam
die Glaswand hinunter. Die Spuren, die er zurücklässt
werden in Deutschland Kirchenfenster genannt. Die
Franzosen denken dabei an Frauenbeine, was üb-
rigens auch die Engländer tun. Je dickflüssiger die
Tränen sind und je enger sie am Glasrand hinunter-
fließen, desto höher sei die Qualität eines Tropfens,

so die gängige Behauptung. Doch auch diese ent-
spricht nicht der Wahrheit. Die Viskosität, also die
Zähflüssigkeit eines Weines, hat nicht direkt mit der
Qualität zu tun. Sie hängt mit Faktoren wie Restsüße,
Alkohol- oder Glyzeringehalt zusammen. Je deut-
licher diese Faktoren ausgeprägt sind, desto „dick-
flüssiger“ wirkt der Wein in seiner Optik. Darüber
hinaus kommt es auch auf die Oberflächenspannung
des Glases an. Wenn diese durch moderne Spülmit-
tel herabgesetzt wird, bilden sich gar keine richtigen
Tränen. Bleibt noch ein Vorurteil: die Zimmertem-
peratur beim Rotwein. Was wir gerne vergessen, die
Regel stammt aus Zeiten, in denen die Segnungen der
Zentralheizung noch in ferner Zukunft lagen. Damals
lagen Raumtemperaturen im Bereich von 16 bis 18°C.

Probieren Sie es aus: bei dieser Serviertempera-
tur zeigt der Rotwein eine feine Frische, wirkt trink-
animierend und verfügt über ein feines Aromenspiel.
Der Alkohol wirkt verhaltener, die Frucht steht im
Vordergrund. Lassen Sie sich also beim Rotwein-
service gerne von zugigen Burgen und unbeheizten
Schlössern inspirieren.

DIE WINTEREDITION DER SÜDDEUTSCHE ZEITUNG VINOTHEK


Liebe Leserinnen und Leser,


Ein Fisch will dreimal schwimmen:


„Jemandem reinen Wein einschenken“
ist in Zeiten von Fake-News fast wieder
ein aktuelles Sprichwort.

Weinstein ist absolut ungefährlich,
gesundheitlich unbedenklich und beein-
f lusst auch den Weingeschmack nicht.

VON MARKUS DEL MONEGO

Vinothek


Wer genießen kann, trinkt keinen Wein mehr, sondern kostet Ge-


heimnisse. Davon war schon der spanische Künstler Salvador Dalí


überzeugt. Das geheimnisvolle, mystische Wesen des Götter-


tranks zog ihn magisch an. Im Wein liegt aber auch Wahrheit, wo-


von Dante Alighieri kündete: „Vom Urbeginn der Schöpfung ist


dem Wein eine Kraft beigegeben, um den schattigen Weg der


Wahrheit zu erhellen.“ Auch der deutsche Politiker André Brie war


vom Wahrheitsgehalt des Rebensafts überzeugt. „Wozu die Wahr-


heit im Kaffeesatz suchen, da sie doch so angenehm im Wein un-


tergebracht ist.“ Die SZ Vinothek bietet Ihnen in der Winterausga-


be nicht nur ausgesuchte Gewächse aus unterschiedlichen


Weinbauregionen, sondern sie liefert die Informationen zum Wein


gleich mit. Doch keine Angst, alle Geheimnisse verraten wir nicht,


ein bisschen Mystik darf noch im Glas sein. Aber, mit den richtigen


Informationen bewusst genießen, macht einfach mehr Spaß. Und


Lesen und Wein passen irgendwie zusammen. Wie schrieb gleich


noch Elke Heidenreich: „Weinlesen macht nicht betrunkener als


Büchertrinken belesener macht.“


Ich wünsche Ihnen in diesem Winter immer das richtige Glas Wein


in der Hand, egal ob mit oder ohne Lektüre.


Herzlichst, Markus Del Monego (Master of Wine)


W I N T ER 2019

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