Moritz Koch, Klaus Stratmann Berlin
A
m Mittwoch ging es im Wirtschafts-
ausschuss des Bundestags turbulent
wie selten zu. Am Morgen kamen die
Obleute zusammen und entschieden,
die Tagesordnung zu ändern: Mit
dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Gas-
richtlinie wolle man sich zu einem anderen Zeit-
punkt befassen. Dann, kurz vor Ende der Sitzung,
meldete sich plötzlich der CDU-Abgeordnete Joa-
chim Pfeiffer zu Wort: Der Entwurf solle nun doch
zur Abstimmung gestellt werden. Wirtschaftsstaats-
sekretär Christian Hirte, der schon zum nächsten
Termin aufgebrochen war, hetzte zurück, sonst wä-
re das Gremium nicht beschlussfähig gewesen.
Schließlich passierte der Entwurf den Ausschuss,
wahrscheinlich wird das Gesetz noch diese Woche
vom Plenum verabschiedet.
Die Nerven der Koalitionspolitiker sind ange-
spannt. Denn das Milliardenprojekt Nord Stream 2
soll nicht noch in der Schlussphase scheitern. Nicht
nur im Deutschen Bundestag, auch beim russi-
schen Staatskonzern Gazprom werden deswegen
Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Die von Gazprom
kontrollierte Nord Stream 2 AG hat nach Informa-
tionen des Handelsblatts aus Branchenkreisen be-
reits eine Gesellschaft gegründet, in die ein Teil-
stück der Pipeline ausgelagert werden kann. Das
Stück umfasst demnach die letzten zwölf Seemei-
len, die durch deutsche Hoheitsgewässer führen.
Die restlichen 1 200 Kilometer wären dann von eu-
ropäischer Regulierung nicht erfasst. Den Angaben
zufolge sind die Vorbereitungen weit gediehen. Ein
Sprecher der Nord Stream 2 AG erklärte, es sei die
Pflicht eines Projektentwicklers, sich auf alle denk-
baren Varianten vorzubereiten.
Rechtsstreit mit der EU möglich
Bei der Gründung der Gesellschaft handelt es sich
um eine Vorsichtsmaßnahme: Sollte es der deut-
schen Regierung nicht gelingen, die harten EU-Vor-
schriften bei der Übertragung in nationales Recht
aufzuweichen, will man vorbereitet sein. Die Nord
Stream 2 AG betont, dass sie mit der Schaffung der
neuen Strukturen nur die rechtlichen Anforderun-
gen der EU erfüllen wolle. Doch die Europäische
Kommission beobachtet das Vorgehen mit großem
Misstrauen. Kritiker der Pipeline zeigen sich em-
pört: „Ich habe die Kommission schon vor solchen
Manövern seitens der Betreibergesellschaft ge-
warnt“, sagte der grüne Europa-Abgeordnete Rein-
hard Bütikofer dem Handelsblatt. „Die Kommission
hat mir klar gesagt, dass das nicht mit der Richtli-
nie vereinbar wäre.“ Wenn die Nord Stream 2 AG
ihre Pläne umsetzt, ist deshalb ein Rechtsstreit mit
der EU wahrscheinlich.
Die Angst, europäischer Regulierung unterwor-
fen zu werden, sitzt tief bei der Nord Stream 2 AG,
die zu hundert Prozent Gazprom gehört. Seit Jah-
ren versucht Brüssel, unterstützt insbesondere von
einer Reihe osteuropäischer EU-Staaten, das Pro-
jekt zu torpedieren. Die Bundesregierung dagegen
gehört zu den Befürwortern von Nord Stream 2.
Die EU-Kommission hat mehrere Anläufe genom-
men, die Leitung europäischen Regeln zu unter-
werfen. Diese würden bedeuten, dass Gazprom
nicht mehr gleichzeitig Eigentümer und Nutzer der
Pipeline sein könnte. Durch diese eigentumsrecht-
liche Entflechtung soll Dritten der Zugang zu der
Pipeline ermöglicht werden. Das könnte die Renta-
bilität des Milliardenprojekts erheblich belasten.
Die Pflicht zur Entflechtung galt bislang nur für
solche Gaspipelines, die innerhalb der EU ihren
Start- und Endpunkt haben. Nord Stream 2 beginnt
jedoch in Russland und endet an der deutschen
Ostseeküste in der Nähe von Greifswald. Nach der
neuen EU-Gasmarktrichtlinie sollen nun auch sol-
che Leitungen von der europäischen Regulierung
erfasst werden, die außerhalb der EU ihren Start-
punkt haben.
An der Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches
Recht arbeitet der Bundestag gerade – auch mit der
eilig in den Wirtschaftsausschuss eingebrachten
Änderung. Die praktische Umsetzung der Regulie-
rung wird von der Bundesnetzagentur übernom-
men werden. Diese Bestimmung war ein Zuge-
ständnis der EU an die Bundesregierung.
Die Große Koalition ist bemüht, Nord Stream 2
den Weg zu ebnen. Vor den jüngsten Änderungen
hieß es in Kommissionskreisen, der Gesetzentwurf
aus dem Bundeswirtschaftsministerium stelle eine
„Offensichtliche Trickserei“
Gazprom bereitet eine Aufspaltung der Ostsee-Pipeline vor, um Regulierungsdruck zu mindern.
Die Große Koalition gibt dem Nord-Stream-2-Eigentümer Rückendeckung.
Baustelle auf der Ostsee:
Die Pipeline soll noch in
diesem Jahr fertiggestellt
werden.
Nord Stream 2 / Axel Schmidt
Ich habe die
Kommission
schon vor
solchen
Manövern
der Betreiberge -
sellschaft
gewarnt.
Reinhard Bütikofer
Grüne
Wirtschaft
& Politik
1
(^10) WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216