Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

„saubere Umsetzung“ der EU-Richtlinie dar. Nun
aber sei die Situation eine andere, sagen Teile der
Opposition im Bundestag. Die Nord-Stream-2-Geg-
ner hegen den Verdacht, dass die Regierung versu-
che, die Gasrichtlinie russlandfreundlicher umzu-
setzen, als es die EU vorsah. Die EU solle getäuscht
werden. Auffällig ist tatsächlich, dass der Gesetz-
entwurf im letzten Moment an entscheidender
Stelle verändert wurde. Der EU-Richtlinie sieht
Ausnahmen für Pipelines vor, „die vor dem 23. Mai
2019 fertiggestellt wurden“. Nord Stream 2 wird
erst zum Jahresende fertig, käme damit für eine
Freistellung nicht infrage, unterläge also den ver-
schärften Auflagen aus Brüssel. Die Nord Stream 2
AG will sich den Vorschriften nicht fügen, sie wehrt
sich vor Gericht.
Die in dieser Woche von den Berliner Regie-
rungsfraktionen eingebrachten Änderungen kön-
nen so interpretiert werden, dass die Fristregelung
aufgeweicht werden soll. Dem widersprachen Ko-
alitionspolitiker im Wirtschaftsausschuss allerdings.
Die Umformulierungen dienten allein der Klarstel-
lung, beteuerten sie, es solle „größere Rechtssi-
cherheit“ geschaffen werden.
Die Nord-Stream-2-Kritiker geben sich mit dieser
Erklärung nicht zufrieden. Sie verweisen darauf,
dass die Änderung des Gesetzentwurfs damit be-
gründet wird, dass es eine Einzelfallprüfung geben
soll. Darüber hatte zuerst die „Bild“-Zeitung berich-
tet. Dem Handelsblatt liegt der Änderungsantrag
ebenfalls vor. Darin steht: „Vor diesem Hintergrund
ist bei der Bestimmung, ob die Leitung vor dem In-
krafttretenstermin fertiggestellt worden ist, allen
Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen.“


Koalition will „Klarheit schaffen“


Interessant sind in diesem Zusammenhang auch
Aussagen von Bernd Westphal, dem wirtschaftspo-
litischen Sprecher der SPD-Fraktion, über die Än-
derungen: „Damit wird Nord Stream 2 abgesi-
chert“, sagte er dem Handelsblatt. „Wir wollen
Klarheit schaffen. Es soll keinen Zweifel mehr da-
ran geben, dass das Projekt jetzt an den Start ge-
hen kann.“


In Koalitionskreisen heißt es zudem, Nord
Stream 2 sei zwar am 23. Mai 2019 nicht fertigge-
stellt gewesen. Man müsse aber berücksichtigen,
dass die Projektgesellschaft bis zu diesem Termin
schon Milliardeninvestitionen getätigt und einen
erheblichen Teil der Leitung verlegt habe. Es gebe
keine feststehende rechtliche Definition des Be-
griffs Fertigstellung. In Branchenkreisen werden al-
lerdings Zweifel geäußert, ob dieser Vorstoß der
Regierungskoalition Bestand haben könne. Das sei
„offensichtliche Trickserei“.
So oder so: Nord Stream 2 hat vorgebaut – und
bekommt auch dafür Rückendeckung aus der Gro-
Ko. In Koalitionskreisen hieß es: Selbst wenn die
Bundesnetzagentur den Antrag der Nord Stream 2
AG auf Freistellung von der Regulierung negativ be-
scheiden würde, müsste Nord Stream 2 lediglich
die letzten zwölf Seemeilen entflechten. „Gazprom
betreibt die Pipeline bis kurz vor dem Eintritt in
deutsche Hoheitsgewässer, der Teil bis zur Anlan-
dung liegt dann in den Händen einer anderen Ge-
sellschaft“, hieß es weiter.
Auch über andere Varianten wird spekuliert. So
könnte Gazprom sein Eigentum an Nord Stream 2
an ein befreundetes russisches Unternehmen über-
tragen. Der eigentumsrechtlichen Entflechtung
könnte man so ihren Schrecken nehmen. Auch ein
Kompromiss erscheint nicht ausgeschlossen. Statt
eine komplette eigentumsrechtliche Entflechtung
zu verlangen, könnte sich die europäische Seite auf
die Forderung beschränken, die Pipeline von ei-
nem unabhängigen Systembetreiber bewirtschaf-
ten zu lassen. Die Europäer könnten dann bei-
spielsweise verlangen, dass zehn Prozent der Pipe-
linekapazitäten für Dritte freigehalten werden.
In jedem Fall scheint Nord Stream 2 auf die Un-
terstützung der deutschen Regierung zählen zu
können. Bei den Gegnern der Pipeline ist die Ver-
bitterung darüber groß. „Es ist skandalös, dass die
GroKo das Brüsseler Interregnum ausnutzen will,
um mit Putin gegen alle europäischen Institutionen
und die große Mehrheit unserer Nachbarn einen
deutsch-russischen Deal durchzuziehen“, kritisier-
te Grünen-Politiker Bütikofer.

Pompeo-Besuch


Feiern statt


streiten


W


ann immer ein hochrangiger Vertreter
der Trump-Administration nach
Deutschland kommt, steigt im politi-
schen Berlin die Anspannung. Die Liste von Streit-
themen, die seit Jahren die deutsch-amerikanischen
Beziehungen belasten, ist lang. Von der umstritte-
nen Gaspipeline Nord Stream 2 über den Umgang
mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüs-
ter Huawei bis hin zu den aus US-Sicht ungenügen-
den Verteidigungs anstrengungen der Deutschen
reicht die Beschwerdeliste aus Washington.
All diese Themen hat Mike Pompeo bei sei-
nem Deutschlandbesuch im Gepäck. Statt darü-
ber zu streiten, will der US-Außenminister vor
allem feiern – den Fall der Mauer vor 30 Jahren,
die amerikanische Unterstützung für die deut-
sche Wiedervereinigung und die gemeinsamen
Werte. Dass Bundesaußenminister Heiko Maas
(SPD) in einem Gastbeitrag zum Jubiläum des
Mauerfalls den Beitrag der USA nicht ausdrück-
lich gewürdigt, sondern nur den „Freunden und
Bündnispartnern im Westen“ allgemein gedankt
hatte, wird man in Washington zur Kenntnis ge-
nommen haben. Kommentiert wurde es nicht.
Immerhin holte Maas das vor Ort nach. „Ohne
die Führungskraft Amerikas hätte es keine Wieder-
vereinigung gegeben“, sagte der Minister am Don-
nerstag in Leipzig, „wir verdanken unsere Freiheit
und auch unsere Einheit ganz entschieden euch.“
Für Pompeo ist sein Besuch in Deutschland auch
eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit. Als jun-
ger Armeeoffizier diente er zwischen 1986 und 1991
an der innerdeutschen Grenze. Am Donnerstag be-
suchte Pompeo US-Truppen an den bayerischen
Standorten Grafenwöhr und Vilseck. In Mödla-
reuth traf er dann mit Maas zusammen. Das Dorf
war zur Zeit der deutschen Teilung von einer
Grenzmauer durchschnitten und hatte deshalb den
Beinamen „Little Berlin“ erhalten.
Im Leipziger Rathaus redeten die beiden am
Nachmittag auch über jene Themen, über die
man sich nicht einig ist. Pompeo schlug nach
dem Treffen versöhnliche Töne an. Deutschland
sei ein großartiger Partner, sagte er: „Wir haben
dieselben Prinzipien, dieselben Sorgen. Gele-
gentlich haben wir einen anderen Ansatz. Das
passiert unter guten Freunden und Verbünde-
ten.“ Maas wiederum erklärte, man wisse um
die hohen Erwartungen an Deutschland und
wolle diese erfüllen. Beide Seiten bekannten
sich zur Verbundenheit über die Nato.
Details zu den Streitthemen drangen zunächst
nicht durch. Ganz oben steht die Pipeline Nord
Stream 2, die laut US-Regierung die Energiesicher-
heit Europas gefährde. Daran habe auch die jüngs-
te Baugenehmigung durch Dänemark nichts geän-
dert, sagte ein Beamter des US-Außenministeri-
ums. „Das Thema hat für uns nach wie vor
strategische Priorität“, betonte der Amerikaner.
Auch der Umgang mit Huawei beim Aufbau des
5G-Mobilfunknetzes bleibt Thema. „Wir fordern
insbesondere unsere Verbündeten auf, keine An-
bieter zu nutzen, die nicht vertrauenswürdig sind“,
sagte der Beamte des US- Außenministeriums. Hin-
zu kommt Lastenteilung bei den Verteidigungsaus-
gaben. Die USA pochen darauf, dass Deutschland
sein Nato-Versprechen einhält und endlich zwei
Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die eigene
Verteidigung ausgibt.
Pompeo wird an diesem Freitag in Berlin
erwartet, wo er mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU), Verteidigungsmi-
nisterin Annegret Kramp-Karrenbauer
(CDU) und Finanzminister Olaf Scholz
(SPD) zusammentreffen will. Höhe-
punkt ist die Rede Pompeos in der Nä-
he des Brandenburger Tors zum Mauer-
fall vor 30 Jahren. Torsten Riecke


Person der Woche Seite 70



Mike
Pompeo:
Lange Liste
mit Streit-
themen.

ddpa


Umstrittene Energie für Deutschland
Verlauf der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee


Nach Deutschland importierte Gasmengen nach Lieferländern Importmenge an Erdgas
in Terawattstunden


2010 2017


Deutschland


Lubmin
bei Greifswald

Narwa-Bucht


Dänemark


Polen


Schweden Russland


Finnland


Norwegen


Estland


Lettland


Litauen


Weißrussland


Ukraine


Russl.


HANDELSBLATT 1) Inkl. Gas aus Großbritannien, 2) Belgien, Dänemark • Quellen: Nord Stream, Bundesnetzagentur


Nord Stream 2
Hoheitsgewässergrenze
Wirtschaftszonengrenze

Sonstige
Länder

Nieder-
lande

Nor-
wegen

Russland und
GUS

40 %


1 384 1 6 76


26 % 26 % 8 %


65 %


2010


2017 17,1 % 15,9 %1 3,3


Wirtschaft & Politik
1


WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216^11

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