Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1
„Die Zeit des Redens muss
jetzt mal durch die Zeit des
Handelns ersetzt werden.“
Olaf Scholz, Bundesfinanzminister, zur
Weiterentwicklung der Bankenunion

„Wir tun das nicht für
Donald Trump, wir tun
das für uns.“
Wolfgang Ischinger, Chef der
Münchner Sicherheitskonferenz,
fordert die Bundesregierung zur
Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf.

Stimmen weltweit


Zur Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel
in der deutschen Politik meint die „Neue
Zürcher Zeitung“ am Donnerstag:

E


in Satz im Interview mit „Spiegel Online“
sticht heraus. Merkel formuliert ihn mit
Blick auf Thüringen: „Mein grundsätzli-
cher Rat an die CDU: einfach mal abwarten.“ Die
Devise passt. Sie passt zur Tatsache, dass Merkel
sich aus den innenpolitischen Debatten des Lan-
des fast vollständig verabschiedet hat und auch
in den Wahlkämpfen keine Rolle mehr spielt. (...)
Wozu die Devise nicht passt, ist Merkels grundge-
setzlich vorgesehene Rolle: „Der Bundeskanzler
bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt da-
für die Verantwortung.“ Was sind die Richtlinien
dieser Politik? Wer trägt in Berlin die Verantwor-
tung? Interessanter als Merkels Antworten, die
womöglich nie kommen oder vage ausfallen wer-
den, werden die Antworten der CDU sein. Will
die letzte deutsche Volkspartei bis zum regulären
Wahltermin im Jahr 2021 „einfach mal abwar-
ten“, oder wird sie der Kanzlerin Entscheidun-
gen, die diese selbst nicht mehr treffen will oder
kann, abnehmen? Für Angela Merkel wäre Letz-
teres vermutlich unschön. Für ihr Land wäre es
überfällig.

In Großbritannien hat Premier Johnson die
Wirtschaftspläne von Labour mit Methoden von
Stalin verglichen. Dazu schreibt die spanische
Zeitung „La Vanguardia“:

D


ass der Diktator Josef Stalin 66 Jahre,
acht Monate und einen Tag nach seinem
Tod gleich am ersten Tag des britischen
Wahlkampfs auftaucht, lässt bereits erahnen,
dass das Land bizarre Zeiten erlebt, in denen
Dinge passieren und gesagt werden, die schlecht
zum Image der Festigkeit und Ernsthaftigkeit der
alten britischen Demokratie passen. (...) Die jun-
gen Generationen sollten daran erinnert werden,
dass Stalins Säuberungen in der Sowjetunion das
Leben von Millionen von Menschen gefordert ha-
ben. Mäßigung scheint nicht die Stärke von (...)
Johnson zu sein (...). Der Beginn der Kampagne
verstärkt das Bild des Scheiterns, das das Verei-
dpa (2), APnigte Königreich seit dem Brexit abgibt.

Zu dem iranischen Abrücken vom
Atomabkommen schreibt die Wiener Zeitung
„Der Standard“ am Donnerstag:

D


ie Gegner des Atomabkommens haben
dessen Sinn, den Iran auf Jahre hinaus
von diesen Schwellen fernzuhalten,
stets gering geschätzt. Die Befürworter haben
es nie für den Stein der Weisen gehalten, aber
für die einstweilige Lösung eines damals akuten
Problems. Nun wird der 2015 geschlossene
Kompromiss mit dem Iran wohl bald vom Tisch
sein: allerdings ohne dass auch nur eines der
politischen Ziele, die die USA mit ihrem Aus-
stieg verfolgt haben, erreicht ist. Fast alle Eska-
lationsstufen – außer einem Militärschlag, den
US-Präsident Donald Trump verabscheut – sind
ausgereizt. Aber auch jene Staaten, die den
Deal erhalten wollen, vor allem Deutschland,
Frankreich und Großbritannien, sind mit ihrer
Weisheit am Ende: Früher oder später werden
sie aus den iranischen Verstößen Konsequen-
zen ziehen müssen. Das wird Trump bestimmt
freuen.

W


enn Deutschland eine Datenschutzdebatte
führt, dann sitzen die Reflexe. Diese Erfah-
rung machte jetzt auch Gesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz,
das der Bundestag am Donnerstag verabschiedet hat.
Die Bandbreite reicht von kritisierenden Politikern über
mahnende Patientenschützer bis zu fiebrigen Verglei-
chen mit der DDR-Staatssicherheit auf Twitter. Kommt
die Empörungswelle erst einmal ins Rollen, gerät
schnell in den Hintergrund, worum es eigentlich geht.
Spahns Gesetz enthält Regelungen, um das deutsche
Gesundheitswesen digitaler zu machen: Ärzte sollen
Gesundheits-Apps verschreiben können, Videosprech-
stunden sollen ausgebaut werden. Geplant ist auch eine
Stelle, die Versichertendaten sammeln und der For-
schung zugänglich machen soll. Dabei handelt es sich
nicht um Röntgenbilder oder Blutwerte, sondern um
Abrechnungsdaten der Krankenkassen. Es geht um ag-
gregierte Informationen zu Alter, Geschlecht, Wohnor-
ten, Arztbesuchen oder Arzneimittelrezepten. Der Be-
zug zum einzelnen Patienten soll verschleiert werden.


An diesem Datenzentrum entzündet sich die Debatte.
Dabei ist das Vorgehen im Kern nicht neu. Schon heute
werden Versichertendaten bei einer Behörde des Ge-
sundheitsministeriums zusammengeführt und For-
schungseinrichtungen bei berechtigtem Interesse zur
Verfügung gestellt. Die Sammlung von Daten ermög-
licht auch den Finanzausgleich zwischen den Kranken-
kassen, der Unterschiede bei Erkrankungen, Geschlecht
und Alter der Versicherten berücksichtigt. Durch
Spahns Gesetz werden nun weitere Abrechnungsdaten
aus dem Klinikbereich aufgenommen. Außerdem sollen
Forscher auf aktuellere Datensätze zugreifen können.
In einem Punkt hatten die Kritiker des Ministers
recht: Ursprünglich fehlte im Gesetz die Vorgabe, dass
die Kassen die Versichertendaten pseudonymisiert an
den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversiche-
rung übermitteln müssen. Diese Scharte wurde vom
Bundestag ausgewetzt. Und es stimmt auch, dass Spahn
bereits im Sommer Regelungen zur geplanten elektroni-
schen Patientenakte nach Datenschutzbedenken des Jus-
tizministeriums aus dem Gesetz herausnehmen musste.
Unverantwortlich ist aber, den Eindruck zu erwe-
cken, dass hier ein Gesundheits-Big-Brother aufgebaut
wird. Natürlich: Bei einem so sensiblen Thema wie der
eigenen Gesundheit ist Datenschutz enorm wichtig.
Doch das Schüren von Ängsten verstellt den Blick auf
die Chancen. Im vorliegenden Fall können die For-
schungsdaten Erkenntnisse liefern, welche Präventions-
angebote wirken oder welche Strukturmerkmale eine
erfolgreiche Behandlung begünstigen. Dadurch verbes-
sert sich die Versorgung für alle Patienten.

Gesundheitsdaten


Keine Panik


Die Datenschutzdebatte über das
Digitale-Versorgung-Gesetz
schürt Ängste und verstellt den
Blick auf die Chancen, kritisiert
Gregor Waschinski.

Der Autor ist Korrespondent im Hauptstadtbüro.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216^19

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