Axel Höpner München
E
r werde spätestens dann aufhören, hat
Joe Kaeser einmal dem Handelsblatt
gesagt, wenn er glaube, unersetzlich zu
sein. Der Zeitpunkt mag zwar noch
nicht gekommen sein. Doch für zumin-
dest schwer ersetzbar dürfte sich der Siemens-Chef
wohl halten. Hätte er vorher gewusst, sagte er zum
Beispiel am Donnerstag bei der Bilanzvorlage, wie
kritisch Anfang August die damals eher schwachen
Quartalszahlen aufgenommen wurden, dann hätte
er die Ergebnisse vielleicht selbst präsentiert. Doch
so weilte er in Korea und handelte einen Großauf-
trag aus. Die Quartalszahlen präsentierten damals
die Vorstandskollegen Ralf Thomas, Klaus Helm-
rich und Roland Busch, der inzwischen zum Kron-
prinz Kaesers ernannt worden ist.
Solche Signale werden derzeit bei Siemens sehr
genau registriert. Kaesers Vertrag läuft offiziell
noch bis zur Hauptversammlung Anfang 2021. Und
bei Siemens glauben manche, dass sich der Chef
eben doch für nur schwer ersetzbar hält. Der Auf-
sichtsrat will kommenden Sommer über die Nach-
folge entscheiden. Doch war die Aufwertung von
Technologie-Vorstand Busch zum stellvertretenden
Vorstandsvorsitzenden ein klares Signal, dass die-
ser nach Kaeser an die Spitze rücken soll.
Die Spekulationen endeten damit aber nicht. In
Industriekreisen wurde betont, Busch müsse sich
im nächsten halben Jahr erst einmal bewähren. Er
dürfe nicht nur Mikromanagement machen, son-
dern müsse auch den großen CEO-Auftritt beherr-
schen. Notfalls sei Kaeser bereit, zum Beispiel noch
einmal zwei Jahre dranzuhängen.
Kaeser nutzte die Gelegenheit am Donnerstag
nicht, um Klarheit zu schaffen. Eins stehe fest, sag-
te der 62-Jährige lediglich: Um fünf Jahre werde er
sicher nicht verlängern. Wenn jemand zwei Drittel
seines Lebens bei Siemens sei, dann mache er sich
im Übrigen keine Gedanken über das nächste hal-
be Jahr oder die nächsten zwei Jahre, „sondern da-
rüber, wie die nächste Generation des Unterneh-
mens aussehen wird“.
Zumindest aktuell steht Siemens recht ordent-
lich da. Die Geschäftszahlen für das Geschäftsjahr
2018/19 (30. September) fielen besser aus, als viele
Analysten erwartet hatten. „Während viele andere
Industrieunternehmen ihren Ausblick revidieren
mussten und manches Konglomerat weiter in Exis-
tenznot geraten ist, konnten wir Wort halten“, sag-
te Kaeser. Mithilfe eines „fulminanten vierten Quar-
tals“ sei es gelungen, die Jahresprognose trotz im-
mer stärkeren konjunkturellen Gegenwinds“ zu
erfüllen. „Prognose erfüllt“, das habe für die ver-
gangenen sechs Jahre gegolten, ließ Kaeser per
Chart an die Wand werfen. Ein wenig sah das dann
doch nach einer Abschlussbilanz aus.
Denn womöglich wird in einem Jahr im Herbst
schon ein neuer Siemens-Chef die Jahresbilanz vor-
legen. Kaeser betonte, dass er selbst eine aktive
Rolle bei der Nachfolgeregelung gespielt habe. Seit
15 Jahren gebe es nun wieder erstmals eine geord-
nete Nachfolgeplanung. „Dazwischen war es etwas
unkonventionell.“ Der frühere Finanzvorstand Kae-
ser gelangte 2013 an die Spitze, als sein Vorgänger
Peter Löscher über eine Reihe von Gewinnwarnun-
gen stürzte.
Auf seine Bitte hin sei Busch zum Stellvertreter
ernannt worden, betonte Kaeser. Doch wann der
Wechsel erfolgt, das ließ er offen. Das hänge vom
Fortschritt beim Umbau ab. Ein Hintertürchen,
meinen Konzerninsider, halte sich der gewiefte
Vorstandschef immer offen. Im Konzern sehen es
allerdings einige kritisch, dass Busch eine Art Be-
währungszeit verordnet worden sei. Der hochge-
wachsene Manager ist schließlich seit 1994 im Un-
ternehmen, war unter anderem Strategiechef und
hat zum Beispiel entscheidend dazu beigetragen,
dass die Bahntechnik wieder auf die Erfolgsspur
gebracht wurde.
Busch selbst kam am Donnerstag nach dem offi-
ziellen Ende der Bilanzpressekonferenz bei der
Veranstaltung vorbei. Auf der Bühne saßen Kaeser,
Finanzvorstand Ralf Thomas und Michael Sen, der
die Abspaltung Siemens Energy führen soll. Er ha-
be, sagte Busch, rasch von einer Journalistenschar
Die unklare
Zukunft des
Siemens-Chefs
Der Nachfolger ist gekürt. Doch Joe Kaeser will nicht
ausschließen, seinen Vertrag noch einmal zu verlängern. Im
Aufsichtsrat gibt es aber Stimmen, die auf einen Wechsel schon
im nächsten Sommer drängen.
Joe Kaeser: Der Vorstands-
chef wird sicher nicht um
fünf Jahre verlängern.
D-foto/Nikolai Schmidt
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(^20) WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216