Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

52 Zukunftsmarkt Weltraum WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216


Raumfähre „Blue Moon“:
Damit will Amazon-
Gründer Jeff Bezos
Geräte und Menschen
zum Mond bringen.

Börsengang in New York:
Richard Branson läutet die
Glocke für sein Welt raum -
tourismusunternehmen
Virgin Galactic.

AFP


programm auszugeben. Allerdings wurden in die-
sem Jahr erst 30 Millionen Euro für Projekte be-
willigt. Bundesverteidigungsministerin Annegret
Kramp-Karrenbauer witzelte denn auch im Han-
delsblatt-Interview: „Bayern kann ja schon mal vo-
rausfliegen.“
Der Spott fällt leicht bei dem Thema. Schließlich
galt die Raumfahrt über viele Jahrzehnte als ein
teures Prestigespielzeug mächtiger Männer, als
Sinnbild für die Verschwendung von Steuergeld.
Lasst uns doch erst einmal die Probleme auf der
Erde lösen, bevor wir ins All fliegen: Diese skepti-
sche Haltung ist gerade in Deutschland ausgeprägt.
Noch verstärkt wird sie dadurch, dass Raketen-
starts gewaltige Mengen des klimaschädlichen C0 2
verursachen.
Dabei sind wir auf der Erde längst abhängig von
der Raumfahrt. Die ESA schätzt, dass zehn Prozent
der Wirtschaftsleistung in der EU inzwischen allein
von funktionierenden Navigationssatelliten abhän-
gen. Allmählich setzt sich auch in Deutschland die
Erkenntnis durch, dass die Raumfahrt ein Zu-
kunftsmarkt ist, der vielfach bereits ohne Staats-
geld funktioniert – und in dem deutsche Unterneh-
men gute Chancen haben. Kramp-Karrenbauer
meint es daher durchaus ernst, wenn sie vor-
schlägt, die neue EU-Agentur für Rüstung und
Weltraum dafür zu nutzen, die nationalen Kompe-
tenzen europaweit zusammenzulegen. Das Ge-
schäft im Weltraum kann man nicht im Sprint er-
obern, es gleicht vielmehr einem Marathon. Projek-
te laufen nicht Jahre, sondern oft Jahrzehnte. Sie
sind hochriskant und komplex.
Vor wenigen Wochen wagte sich der Chef des
Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI),
Dieter Kempf, auf einem Weltraumkongress seines
Verbands aus der Deckung. Der BDI-Chef verlangte
vor 400 Gästen aus der Raumfahrtszene und der
Berliner Politik, einen deutschen Weltraumbahn-
hof zu bauen. „Raumfahrt ist für das Industrieland
Deutschland ein Schlüssel für Zukunftstechnolo-
gien“, so Kempf. Es geht dabei nicht um riesige Ra-
ketenrampen, wie jene in Französisch-Guayana,
von denen die Ariane startet, sondern um Start-
plätze für neue „Mini-Launcher“: Kleinraketen, die
Minisatelliten in die Erdumlaufbahn bringen sollen.
Enorme Vorteile biete das, so Kempf. Heute müss-
ten Kleinsatellitenhersteller oft Monate warten, bis
sie Plätze auf indischen Raketen buchen könnten.
Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns
lässt bereits seit sechs Monaten prüfen, ob nicht
der Flughafen Rostock Laage infrage kommen
könnte. Auch der Bundeswehr-Flugplatz Nordholz
in Niedersachsen wird untersucht. Und Wirt-
schaftsminister Altmaier sagte Kempf nach dem
Kongress zu, die Idee prüfen zu wollen.
Deutschland liegt mit seinen 297 Millionen Euro
für das nationale Raumfahrtprogramm internatio-
nal nur auf Platz 8. „Die Bundesrepublik sollte das
Programm mindestens auf das Niveau des französi-
schen Budgets von mehr als 700 Millionen Euro er-
höhen“, fordert Kempf.

In wenigen Tagen kommt der Ministerrat der
ESA zusammen. Dort beraten die Europäischen
Länder, wie viel Geld sie dem Nasa-Pendant in
Europa bewilligen. Allerdings stellt sich die Frage,
ob in Europa nicht mehr auf Privatwirtschaft ge-
setzt werden sollte. Die europäische Ariane-Rakete
gilt als zuverlässig, aber auch teuer und daher we-
nig konkurrenzfähig (siehe Kasten auf Seite 55). Ein
Blick in die USA zeigt Überraschendes: Die Budget-
kürzungen der Nasa in den Wirtschaftskrisen 2002
und 2008 zwangen die Weltraumbehörde zu einer
Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft – und
lösten so den Raumfahrt-Gründungsboom in den
USA aus, den heute Elon Musk anführt.

Bewusstlos in Moskau
Die Idee zu Space X entstand im Frühjahr 2001 auf
einer Autofahrt. Elon Musk hatte mit Freunden das
Wochenende am Strand in den Hamptons ver-
bracht und fuhr mit seinem Studienfreund Adeo
Ressi zurück nach New York. Die beiden sprachen
über ihren Reichtum. Was tun damit? Ressi hatte
gerade seine Internetfirma Methodfive verkauft.
Der von Musk mitgegründete Bezahldienst Paypal
sollte bald an die Börse gehen.
Musk und Ressi kamen auf den Weltraum zu
sprechen. Wie wenig seit der Mondlandung 1969
passiert sei. Wie aber die Menschen wieder für das
Thema begeistern? Die „offensichtliche“ Sache wä-
re ein Flug zum Mars, erinnerte sich Ressi in einem
Artikel an das Gespräch. Die Idee war geboren.
Erst war es eine Maus, dann eine Pflanze, die die
beiden 228 Millionen Kilometer weit zum Mars
schicken wollten. Ein Symbolakt.
Fehlte nur noch die Rakete. Erste Gespräche mit
Arianespace in Paris brachten wenig, die Europäer
waren zu teuer. Doch in Paris hörten Musk und Res-
si, dass Russland seine umgebauten Interkontinen-
talraketen loswerden wolle. Die beiden flogen nach
Moskau, das Treffen mit der russischen Raumfahrt-
behörde war unvergesslich. „Alle zwei Minuten gab
es einen Trinkspruch“, erinnerte sich Ressi. Auf
Amerika, auf den Weltraum, auf den amerikani-
schen Weltraum. Einer der letzten Erinnerungen
von Ressi war der Anblick von Musk, wie er be-
wusstlos auf der Tischplatte lag. „Dann war ich
auch weg.“
Statt in Russland eine Rakete zu kaufen, kam
Musk bald die Idee: selbst bauen. Mehrmals war
Musk in Russland, auf seinem letzten Rückflug

Wachstum im Weltall
Marktvolumen im Raumfahrtgeschäft
in Mrd. US-Dollar

Kommerzielle Dienstleistungen


Kommerzielle Raketen-/Satelliten-Hardware


Kommerzielle Raketenstarts


Kommerzielles Fernsehen


USA – Zivilregierung


USA – Militär


Sonstige Regierungen


Gesamtvolumen


2016


121 459


98 98


35 70


27 47


20 27


43 97


3 7


Prognose 20 30


348 Mrd. US$ 805 Mrd. US$


2016 2030


HANDELSBLATT Quelle: UBS


(ohne TV)


Kreativität,


Dynamik – ihr


werdet die


gleichen Dinge


im Weltraum


sehen, die


ich in den


vergangenen


20 Jahren


im Internet


erlebt habe.


Jeff Bezos
Amazon-Gründer und
Weltraum-Unternehmer
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