Zukunftsmarkt Weltraum
WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216^53
Polaris/laif,
tippte er die ganze Zeit im Flugzeug in einen Lap-
top. Bei der Landung zeigte er seinen Begleitern,
zwei Raumfahrtingenieuren, seine Tabellenkalku-
lation. Einer von ihnen war der spätere Nasa-Chef
Mike Griffin, heute Staatssekretär im Pentagon.
Die Experten überraschte Musk mit einer simplen
und zugleich überzeugenden Rechnung: Wie man
eine Rakete für deutlich weniger Geld bauen
könnte als jemals zuvor. Griffin fragte ihn, woher
er denn die Details habe. Aus Büchern, antworte-
te Musk.
Der Rest ist Geschichte. Die Falcon 9 revolutio-
nierte die Raumfahrt. So wird die Rakete fast voll-
ständig von Space X selbst gebaut. Das war am An-
fang teuer und mühsam, doch konnten die Inge-
nieure so das Sparpotenzial in jedem noch so
kleinen Teil realisieren. Auch können sie auf diese
Weise das technische Zusammenspiel von Trieb-
werk, Steuer- und Lenkeinrichtungen und anderen
Elementen optimieren. Und sie können die Rakete
so konstruieren, das man sie wiederverwenden
kann, was zuvor als kaum machbar galt.
Die Falcon 9 drückte die Kosten für Raumfahrt-
verhältnisse in fast beispielloser Manier. Von 1970
bis 2000 musste man mit konventionellen Raketen
mehr als 18 000 Dollar bezahlen, um ein Kilo-
gramm Fracht ins Weltall zu schicken. Beim Space-
shuttle beliefen sich die Kosten gar auf mehr als
54 000 Dollar. Mit der Falcon 9 kostet ein Kilo
Fracht nur rund 2 600 Dollar.
Die Preise werden weiter fallen. Alteingesessene
Firmen wie Orbital ATK und Northrop Grumman
oder die United Launch Alliance von Lockheed
Martin Space Systems und Boeing sind aufgewacht
und drücken mit ihren Innovationen die Kosten.
Immer mehr Satelliten können billig in die Erdum-
laufbahn geschossen werden – und das dichte Sa-
tellitennetz ermöglicht völlig neue Geschäftsmodel-
le auch auf der Erde.
Satelliten schwärmen aus
Dreizehn Minuten. Sechs Minuten. Vier Minuten.
Auf einer schwarzen Digitaluhr tickte mit roten
Zahlen der Countdown. Auf der Terrasse des Nasa-
Geländes in Cape Canaveral konnten die Gäste in
der Ferne die Falcon 9 mit bloßem Auge sehen,
umgeben von vier riesigen Blitzableitern. Weißer
Dampf wabert um den Rumpf der Rakete hoch,
der nach der Betankung mit flüssigem Sauer- und
Stickstoff entsteht.
Alles was in der Satellitenbranche Rang und Na-
men hatte, wartete 2013 im berühmten Raumfahrt-
zentrum in den Sümpfen von Florida. Space X soll-
te für den luxemburgischen Anbieter SES einen
mehr als drei Tonnen schweren Kommunikations-
satelliten in den geostationären Orbit befördern.
Doch immer wieder wurde die Uhr für den
Countdown angehalten. Die Techniker und der
Computer von Space X fanden laufend Probleme,
einmal stimmte der Druck in einer Leitung nicht,
dann spielten die Kontrollinstrumente verrückt.
Als der Countdown zum dritten Mal neu angesetzt
wird, ist die Enttäuschung im Raum zu spüren.
„Ich glaube, wir ziehen unsere Police besser wie-
der zurück“, witzelte Jan Schmidt, Chef für die
Weltraumsparte bei Swiss Re, dem größten Raum-
fahrtversicherer der Welt. Er hatte den an
Bord befindlichen Satelliten versi-
chert.
Doch wenige Tage später
löste sich die Spannung: Spa-
ce X beförderte den Satelli-
ten einwandfrei in den
Weltraum. Wie wichtig
das Projekt für das Un-
ternehmen war, zeigte
sich am Twitter-Eintrag
von Space-X-Chef Elon
Musk: „Yes!!!“ Es war
ein historischer Meilen-
stein. Zum ersten Mal be-
förderte Space X einen
kommerziellen Satelliten
ins Weltall.
Heute erregt solch ein Unter-
fangen kaum noch Aufsehen. Sa-
telliten sind Routine, mit ihnen wird
das Geld im Weltall gemacht. Die Anzahl der
im All befindlichen und funktionsfähigen Satelliten
stieg in den vergangenen Jahren sprunghaft auf
derzeit mehr als 2 000. 2015 wurden 207 Satelliten
ins Weltall gebracht, 2017 waren es 453, im vergan-
genen Jahr 382. Es geht um viel Geld, wie ein de-
taillierter Report der US-Bundesluftfahrtbehörde
FAA aus dem Jahr 2016 zeigt. Danach belief sich
der gesamte Weltraummarkt im Jahr 2016 auf 345
Milliarden Dollar. Davon entfallen 98 Milliarden
Dollar auf TV-Satelliten, das Basisgeschäft der Bran-
che seit vielen Jahren. Der Umsatz stieg von 2011
bis 2016 um elf Prozent. Das Geschäft mit dem glo-
balen Navigationssatellitensystem wuchs noch stär-
ker. Bekannt ist das GPS aus den USA, Galileo heißt
das Pendant aus Europa. China baut seit 2011 Bei-
dou oder „Großer Bär“ auf, um die Abhängigkeit
vom amerikanischen GPS zu verringern. Insgesamt
stieg der Umsatz mit Navigationssatelliten 2011 bis
2016 um ganze 60 Prozent auf 85 Milliarden Dollar.
Analysten erwarten im kommenden Jahrzehnt
eine Verdopplung der Umsätze im Weltall. Satelli-
ten werden immer mehr gebraucht, für Mobilfunk,
Internet oder Anwendungen wie autonom fahren-
de Autos. Dafür braucht es ein starkes und verläss-
liches Signal, das aus dem Weltraum von Satelliten-
betreibern wie SES, Eutelsat oder Intelsat ver-
schickt wird. Oder von neuen Unternehmen wie
Planet Labs, Iceye oder HawkEye 360.
Cape Charlottenburg
Touristen essen Sahnetörtchen im Café Kranzler.
Passanten schlendern über den Berliner Ku’damm.
Keiner von ihnen ahnt, dass sich nur weniger Meter
über ihren Köpfen ein kleines Weltraumzentrum
befindet. Die deutsche Tochter der US-Firma Planet
Labs steuert aus der obersten Etage eines Büroge-
bäudes ihre Minisatelliten. Die Zentrale ist unspek-
takulär; man sieht nur ein paar Computermonito-
re. Aber mit einem Knopfdruck können dort die
100 Mitarbeiter Bilder von Bäumen im Amazonas
bis zu VW-Parkplätzen in Wolfsburg liefern.
Das Vorhaben von Planet Labs ist die Vermessung
der Welt. Das Start-up aus San Francisco betreibt
140 Satelliten, die in niedriger Umlaufbahn einmal
täglich jeden Punkt auf der Erde fotografieren. 1,2
Millionen Bilder pro Tag, die die Firma mithilfe
Künstlicher Intelligenz auswertet, um für Kunden
wie Geheimdienste, Rohstoffhändler oder Agrarbe-
triebe brauchbare Daten zu liefern. Auch Umwelt-
schutz gilt als neue Boomanwendung für die Betrei-
ber von Kleinsatelliten – was die ökologischen Kos-
ten der Raketenstarts zumindest relativiert. Planet
Labs sammelte bereits knapp 400 Millionen Dollar
an Risikokapital ein.
Nicht nur die Kosten fürs Hochschießen von Sa-
telliten sind dramatisch gefallen, auch die Satelliten
selbst werden immer kleiner und zugleich leis-
tungsfähiger und dazu in höherer Auflage gebaut.
Das senkt abermals die Kosten: Vor einigen Jahren
kosteten die Teile für einen kleinen Satelliten zwei
bis drei Millionen Dollar, heute sind sie für wenige
Zehntausend Dollar zu haben.
Beispielsweise sind die Satelliten von Planet Labs
kaum größer als ein Schuhkarton. „Im vergange-
nen Jahr haben wir so viele Satelliten gebaut wie
die gesamte Welt zusammengenommen“, sagt
Gründer Will Marshall. Der Produktionsort: ein
„kleines Labor in San Francisco“.
Ein gewaltiger Unterschied zu den traditionellen
Satelliten, die geostationär in rund
35 000 Kilometer Höhe operieren
und schwerer als ein SUV sein
können. Diese höher platzier-
ten Satelliten umkreisen die
Erde nur alle 24 Stunden,
bleiben also „geostatio-
när“ über dem gleichen
Gebiet – ideal etwa für
den Fernsehempfang
mit fest ausgerichteten
Antennen.
Auf einmal können
Start-ups mit wenig Geld
ihr eigenes Satellitennetz
aufbauen. Beispielsweise
liefert das finnische Start-up
Iceye für Kunden wie den Öl-
konzern Exxon Mobil Bilder von
einem Meter Durchmesser mit ho-
her Auflösung – unabhängig vom Wet-
ter. Eine aufwendige Radartechnik durchdringt
auch Wolken. Weil die Satelliten sich in niedriger
Umlaufbahn befinden, kreisen sie ungefähr alle 100
Minuten um die Erde. Damit erreichen ihre Kame-
ras und Sensoren viel öfter und schneller als zuvor
bestimmte Gebiete auf der Erde. Obwohl Iceye nur
drei Satelliten besitzt, kann es so sein Werbever-
sprechen einlösen: „Jeder Quadratmeter, jede Stun-
de.“ Überall in der Welt kann Iceye jeden Flecken
Erde einmal pro Stunde fotografieren und so Tan-
ker auf ihrer Route verfolgen oder Bohrinseln und
Leitungen überprüfen.
Das Start-up HawkEye 360 wiederum verfolgt
mit seinen Satelliten Radiosignale und verkauft die
Daten an Reedereien – um sie beispielsweise vor Pi-
raten zu warnen.
Space X steigt ebenfalls groß in das Geschäft der
Minisatelliten ein. Die Firma will die Erde mit einer
ganzen Flotte an Internetsatelliten namens Starlink
überziehen. Ländlichen und abgelegenen Regionen
der Erde soll damit ein Zugang zum Hochgeschwin-
digkeits-Internet ermöglicht werden. Space X plant,
ESA-Raumfahrtpro-
jekt: Die Europäische
Behörde spielt
weltweit nur in der
zweiten Liga.
ESA-Philippe Sebirot
Massenstart
382
SATELLITEN
sind 2018 ins Weltall geschossen
worden.
Quelle: UN Office
for Outer Space Affairs
Science Photo Library/Getty Images