Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

Zukunftsmarkt Weltraum


(^56) WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216
D
erzeit hat Hans Koenigsmann kaum
Zeit, wie er sagt. „Ich bin im Moment
mit Crew Dragon beschäftigt“, sagt er.
Die Raumkapsel Dragon soll schon bald
Astronauten zur internationalen Raumstation ISS
bringen, allerdings gab es Probleme mit den Fall-
schirmen, im vergangenen April explodierte eine
Dragon in Florida bei einem Test. Trotzdem nimmt
Koenigsmann sich etwas Luft für ein Gespräch.
Herr Koenigsmann, BDI-Präsident Dieter Kempf
fordert, dass Deutschland ein Weltraumbahnhof
für Kleinraketen wird. Von Rostock oder Nordholz
aus sollen Minisatelliten ins All gelauncht werden.
Ist das realistisch?
Grundsätzlich finde ich kleinere, flexible Projekte
auf nationaler Ebene effektiver als multinationale
Großprojekte. Letztere haben aber für große Pro-
jekte auch ihre Daseinsberechtigung. Die geografi-
sche Lage Deutschlands ist allerdings eine Heraus-
forderung für sichere Raketenstarts. Es mag vorteil-
haft sein, weiter nach Norden zu gehen ...
... weil je nach gewünschter Umlaufbahn Startorte
nahe dem Äquator oder nahe den Polen beson-
ders geeignet sind. Es wird sogar eine eigene deut-
sche Mondbasis ins Spiel gebracht. Ließe sich das
mit der deutschen Technologie aktuell machen?
Wir machen ja grundsätzlich solche Projekte nicht,
weil sie einfach sind, sondern weil sie eine Heraus-
forderung sind. In dem Sinne bin ich sicher, dass
deutsche Technologie ausreichend ist für eine
Mondbasis. Die Dinge, die noch dafür entwickelt
werden müssen, sind bestimmt nicht unmöglich.
Und was den Start angeht, kann SpaceX auch ger-
ne helfen.
Die Tagung Space 19+ der Europäischen Welt-
raumagentur (ESA) steht Ende November an. Hier
entscheiden die zuständigen Minister der EU-Staa-
ten über strategische Richtlinien für die kommen-
den drei Jahre. Zu welchen Prioritäten raten Sie?
Von außen gesehen erscheint die europäische
Raumfahrt gelegentlich langsam und nicht auf dem
letzten Stand. Technische Entwicklung ist oft auch
ein Risiko, und das muss eben auch mal eingegan-
gen werden. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Früher haben Sie gefordert, die europäische Ra-
kete Ariane einzumotten und stattdessen auf Wie-
derverwendbarkeit zu setzen.
Ich habe meine Strategie geändert und im Prinzip
aufgegeben, die Ariane-Verantwortlichen von der
Wiederverwendbarkeit zu überzeugen. Wenn ich
sage, Ariane soll so weitermachen wie bisher,
scheine ich mehr Leute zum Nachdenken zu brin-
gen. Auch wenn das Projekt, weiter eine wegwerf-
bare Rakete zu bauen, ungefähr so ist, als würde
man jetzt ein gutes analoges Telefon entwickeln.
Wie schätzen Sie den internationalen Wettbewerb
in der Raumfahrt ein?
Amerika hat die Nase vorn. Danach sind die Chine-
sen am nächsten dran. Die Landung der chinesi-
schen Sonde auf der Rückseite des Monds macht
klar, dass unser Vorsprung nicht statisch ist. Man
muss sich ständig weiterentwickeln. Dass andere
da auch dran sind, hat in den USA schon für Aufse-
hen gesorgt.
Europa ist also abgeschlagen.
Die Europäer hatten lange Zeit die Vorherrschaft,
mussten sie aber vor ein paar Jahren an uns abge-
ben, gerade in Sachen Satellitenstarts. Mir scheint
Der Chefingenieur von
SpaceX spricht über Fehler
im europäischen Raum -
fahrt programm und erklärt,
worüber er mit Elon Musk
streitet und warum er jetzt
doch auf den Mars will.
Trump will genau das verhindern. Dass Amerika
ausgerechnet bis 2024 wieder einen Astronauten
auf den Mond schicken möchte, ist kein Zufall: Ge-
winnt Trump die Wiederwahl im nächsten Jahr,
wäre das sein letztes Amtsjahr.
Staatliche Raumfahrtprogramme in den USA
sind längst nicht mehr nur Sache der Nasa. Das
Pentagon gründete auf Anweisung von Trump eine
„Raumfahrtentwicklungsbehörde“, die rund elf
Milliarden Dollar in fünf Jahren ausgeben will, um
insgesamt 1 200 Satelliten zu starten. Laut Bran-
chenberatung Bryce summieren sich die Raum-
fahrtausgaben von insgesamt elf US-Behörden auf
jährlich 48 Milliarden Dollar. China kommt zum
Vergleich auf elf Milliarden Dollar.
Auch die Privatwirtschaft investiert in
den USA stark. Im Schnitt investier-
ten Risikokapitalgeber 3,5 Milli-
arden Dollar in den vergange-
nen vier Jahren in Raum-
fahrt-Start-ups wie Rocket
Labs oder HyperSat. Das
meiste Geld sammelt
2018 Space X ein, die
800 Millionen Dollar
erhielten. 41 der 100
größten Venture-Capi-
tal-Firmen haben in
Weltraum-Firmen in-
vestiert. „Es ist ein allge-
mein akzeptierter Be-
reich geworden“, sagte
Chad Anderson, Chef der
Branchenberatung Space An-
gels. Der neben Musk wichtigste
amerikanische Weltallunternehmer
hat es allerdings nicht nötig, nach Geldgebern
zu suchen – Amazon-Gründer Jeff Bezos bringt sein
eigenes Kapital mit.
Langstrecke mit dem Raumschiff
Dunkle Pilotenbrille, schwarze Fliegerjacke, blaue
Jeans – Jeff Bezos sah aus wie Tom Cruise im Film
„Top Gun“. Statt vor einem Kampfjet stand der Ama-
zon-Gründer vor einer Rakete, auf der noch die
Brandspuren von mehrfachen Flügen zu sehen wa-
ren. So inszenierte sich Bezos 2017 auf einer Fachkon-
ferenz im US-Bundesstaat Colorado. Erstmals sprach
er dort ausführlich über seine Weltraumpläne.
Mit seiner Weltraumfirma Blue Origin will Bezos
Touristen ins All schießen. Bis zu elf Minuten dau-
ert die Reise in der voll automatisierten Rakete mit
übergroßen Fenstern und Ledersitzen. Der Flug-
preis werde „mehrere Hunderttausend Dollar“ be-
tragen, wie Blue-Origin-Vorstandschef Bob Smith
vor Kurzem anmerkte. Das würde auf Augenhöhe
liegen mit Konkurrent Virgin Galactic, der mithilfe
eines Raketenflugzeugs ebenfalls Touristen an den
Rand des Weltalls befördern und dafür 250 000
Dollar verlangen will. Beide Unternehmen haben
sich noch auf keinen genauen Termin festgelegt, vi-
sieren aber laut Anträgen bei US-Behörden das Jahr
2020 für die ersten Starts an.
Während Satellitenstarts und staatliche For-
schungsmissionen das Raumfahrtgeschäft der Gegen-
wart verkörpern, könnten Touristenflüge ins All den
Beginn einer neuen Ära markieren. Nicht nur ent-
steht hier ein Markt, den die Analysten von UBS 2030
bei einem Jahresumsatz von drei Milliarden Dollar se-
hen – mit stark steigender Tendenz. Ökonomisch
wichtiger: Passagierraumschiffe schaffen die techni-
schen Voraussetzungen für einen neuen Hyperschall-
Flugmarkt auf der Erde. Insgesamt gibt es derzeit
800 Direktflüge mit mehr als zehn Stunden
Flugzeit, auf denen jährlich 150 Millio-
nen Menschen etwa von New York
nach Singapur oder von Dubai
nach Dallas transportiert wer-
den. Die Nachfolgemodelle
der wieder verwertbaren
Raumschiffe könnten ei-
nes Tages auch her-
kömmlichen Langstre-
ckenjets Konkurrenz
machen.
Nach Rechnung von
UBS könnte hier ein
Markt von jährlich min-
destens 20 Milliarden Dol-
lar Umsatz entstehen. Bei
einem Ticketpreis von 2 500
Dollar braucht es dafür aller-
dings ein Raumschiff mit mehr als
300 Sitzplätzen, um den anvisierten
Umsatz der UBS-Analysten zu erzielen. Alterna-
tiv könnten die Anbieter in einem kleineren Ge-
fährt auch einen höheren Ticketpreis verlangen.
Wer würde nicht für einen kleinen Flug durchs
Weltall so viel Geld auf den Tisch legen wie sonst
für ein herkömmliches First-Class-Ticket?
Schon heute werden am Flughafen London
Heathrow die Gäste in der „Upper Class Lounge“
von Richard Bransons Fluggesellschaft Virgin von
einem Modell seines Weltraumflugzeugs begrüßt.
Ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie das Fliegen
übermorgen aussehen könnte. Und gerade für
bodenständige Deutsche ein Hinweis darauf, dass
großes Unternehmertum immer auch bedeutet,
groß zu träumen und langfristig zu denken.
Jetzt kommt es darauf an, dass die Bundesrepu-
blik zur richtigen Mischung aus staatlicher Förde-
rung und privater Initiative findet, um auch
Deutschland weit vorn mitspielen zu lassen im Mil-
liardengeschäft mit der Raumfahrt.
Marserforschung:
Auch dort sollen bald
die ersten Menschen
landen.
SciencePhotoLibrary,
Risikokapital
3
,
5
MILLIARDEN
Dollar – so viel investierten die Geldgeber
im Schnitt in den vergangenen vier
Jahren in Raumfahrt-Start-ups wie etwa
Rocket Labs oder HyperSat.
Quelle: Unternehmen
Science Photo Library/Getty Images
 Fortsetzung von Seite 54

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