Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1
Zukunftsmarkt Weltraum
WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216^57

es, sie haben jetzt ein bisschen Schwierigkeiten,
damit umzugehen. Die Ariane 6 kann man nicht
wiederverwenden. Der Grund, warum wir billiger
und oftmals auch zuverlässiger sind als andere, ist,
dass wir die Raketen wiederverwenden. Zum einen
muss man die Rakete nicht jedes Mal neu bezah-
len, zum anderen kann man die Sachen inspizieren
und sieht, wo etwas nicht ganz in Ordnung war –
und kann das verbessern.

Virgin Galactic ging jüngst an die Börse. Wie ge-
fällt Ihnen deren Technik?
Ich bin da neutral. Auf der einen Seite finde ich es
gut, einen Flug ins All, wenn auch nur kurz, kom-
merziell anzubieten. Auf der anderen Seite ist der
Start vom Trägerflugzeug komplex. Galactic ist bei
Spaceship 2. Das hat eine Weile gedauert nach dem
unglücklichen Unfall von Spaceship 1. Ich hoffe, die
etwas längere Entwicklungszeit wurde gut genutzt,
und werde die Daumen drücken!

Sie haben mal gesagt, dass Sie davon träumen, als
Tourist in den Weltraum zu fliegen. Würden Sie
bei Virgin mitfliegen oder lieber darauf warten,
dass SpaceX solch einen Service anbietet?
Habe ich wirklich gesagt, dass ich davon träume?
Jedenfalls nicht von einem suborbitalen Sprung,
wie ihn Virgin Galactic anbietet. Im Orbit zu blei-
ben, und wenn nur für eine Woche, wäre schon ein
Erlebnis. Und dann natürlich mit Dragon oder Star-
ship! Ich würde durchaus eine Menge Geld dafür
hinlegen, mal ein paar Tage in ein Hotel im Orbit
einzuchecken – auch wenn das noch ein bisschen
verrückt klingt. Das wollen sicher auch andere.

Ihnen würde der Orbit reichen? Möchten Sie nicht
wie Elon Musk zum Mars?
Ich habe mal gesagt, ich sei zu alt für den Mars,
aber ich habe meine Meinung geändert. Ich kann
das auch mit meinen 56 Jahren noch erleben,
wenn wir uns entsprechend beeilen.

Besonders schön stellt man es sich nicht vor auf
dem Mars ...
Es gibt ja auch Leute, die leben in der Wüste. Die
freuen sich über die Leere. Gerade Deutsche freu-
en sich oft über einen endlosen Blick, wo nichts in
der Gegend herumsteht. Es gibt auch Leute, die
wollen etwas Neues ausprobieren und dort hinge-

hen, wo sie etwas aufbauen können. Das ist eine
spezielle Mentalität, aber ich kenne viele, die das
machen wollen. Sie wollen uns als Menschheit wei-
terbringen. In 100 Jahren sieht man das vielleicht
anders. Die Leute werden die gleiche Frage an
Christopher Columbus gestellt haben: Was willst
du denn dort drüben? Da ist ein schreckliches
Meer dazwischen, die Wahrscheinlichkeit, dass du
überlebst, ist gering, und drüben gibt es wohl auch
nur Wüsten. Die Exploration bringt zwar nicht das
Brot für morgen früh auf den Tisch, bringt uns
aber als Menschheit weiter.

Wie groß ist bei SpaceX der Zeitdruck, der durch
die sehr optimistischen öffentlichen Aussagen von
Elon Musk entsteht?
Das hängt davon ab, wie sehr man das an sich he-
ranlässt. Ich arbeite jetzt seit 17 Jahren bei SpaceX.
Es ist eine ziemlich effektive Firma, die ihre Arbeit
sehr schnell erledigt, auch wenn die Projektionen
am Anfang manchmal sehr optimistisch sind. Der
Zeitdruck ist da, aber er ist nicht besonders groß.
Der Druck, es richtig hinzukriegen, dass alles ver-
nünftig fliegt und sicher ist für die Astronauten, ist
erheblich größer.

Sie sind da Musks Gegenspieler. Er setzt die Ziele,
und Sie garantieren den Erfolg der Mission. Da
gibt es doch sicher heftige Streitpunkte.
Es stimmt, für mich haben der Erfolg und die Si-
cherheit der Astronauten Priorität. Der Zeitplan ist
für mich nicht so wichtig. Ab und zu gibt es Diskus-
sionen, wenn wir bestimmte Tests noch durchfüh-
ren müssen. In allen Fällen haben wir bei SpaceX
da immer die richtige Wahl getroffen – und das ist
Elons Verdienst. Da bin ich auch für die Zukunft
unbesorgt.

Ist es machbar, dass in fünf Jahren, also 2024, wie-
der ein Mensch auf dem Mond steht?
Ja – wenn wir genügend Ressourcen darauf verwen-
den. Wir müssten dafür die gleiche Energie entwi-
ckeln wie vor 50 Jahren. Theoretisch können wir
das heute auf jeden Fall – besser sogar als in den
70er-Jahren.

Damals ging es um den Effekt. Heute wird der
Mond als Zwischenschritt auf dem Weg zum Mars
verkauft.

Damals ging es um den Stolz – eine ziemlich gute
Motivation. Heute ist der Mond wirklich eine Etap-
pe auf dem Weg zum Mars. Denn wir sollten uns
aufmachen, andere Planeten zu erkunden und zu
sehen, ob man sie besiedeln kann. Das könnte eine
mindestens so große Motivation werden wie da-
mals der Stolz.

Wieso dauert es fünf Jahre, wieder zum Mond zu
fliegen, wenn man das vor 50 Jahren schon
konnte?
Ein Haus zu bauen dauert eineinhalb Jahre – das
geht nicht bedeutsam schneller, nur weil man vor-
her schon mal ein Haus gebaut hat. Vor 50 Jahren
haben wir einen großen Kraftakt vollzogen, um da-
hinzukommen. Diesmal erfordert es mehr Logistik,
weil eine dauerhafte Verbindung zum Mond aufge-
baut werden soll. Man muss die Technologie auch
wieder neu entwickeln – man kann nicht einfach
nehmen, was vor 50 Jahren war. Damals dauerte es
zehn Jahre und kostete einen Haufen Geld. Heute
kostet es immer noch einen Haufen Geld, aber
nicht mehr so viel wie damals, und es dauert auch
nicht so lange. Da ist schon Fortschritt.

Für die Falcon Heavy hat SpaceX keine Gelder von
der US-Regierung angenommen. Warum?
Das hat sich so entwickelt. Wir hatten am Anfang
schon einen Kunden und haben einfach angefan-
gen. Wenn man ein Projekt selbst entwickelt, hat
man den Zeitplan unter Kontrolle und kann alles
so machen, wie man es selber will. Mit einer Regie-
rung sind da andere Bedingungen verknüpft. Ohne
Regierung sind wir schneller, aber wir brauchen
trotzdem Geld.

Wie ist das, bei den Raketenstarts dabei zu sein?
Das ist doch sicher jedes Mal ein Drama.
Man braucht Durchhaltevermögen, um solche Sa-
chen zu entwickeln. Und wenn man sie entwickelt
hat, dann muss man wachsam sein. Man muss
beim Raketenstart immer daran arbeiten, dass alles
richtig ist. Das lernt man als Firma und zieht es
durch, von Start zu Start. Drama ist immer ein biss-
chen da. Oftmals ist es das Wetter. Oft sind es Klei-
nigkeiten, über die man sich Sorgen macht, aber
das wird langsam weniger. Das macht für mich
auch den Job aus, es gut zu schaffen. Durch die
zehn Minuten Start muss man halt durch. Unsere
Stärke ist, den Start gut vorzubereiten.

Und klopft dann das Herz?
Gar nicht. Gut, ich bin bei den Starts auch nicht
mehr der Chief Engineer wie am Anfang. Ich bin
nur noch dabei, um schwierige Entscheidungen
mit den anderen Vice Presidents zu verhandeln.
Nein, ich bin nicht mehr aufgeregt beim Start.

Es ist bei SpaceX jetzt auch fast 70-mal gut gegan-
gen, nach drei Fehlstarts am Anfang.
Die ersten drei waren eine andere Rakete, die ha-
ben wir nach fünf Starts abgelöst. Mit der Falcon
hatten wir nur einen Fehlschlag, und das ist schon
52 Starts her. Mit der Zuverlässigkeit bin ich im Mo-
ment ziemlich zufrieden. Aber man muss immer
dran arbeiten und darf nie nachlassen.

Sie sind von der Uni Bremen über ein kleines
Start-up zu SpaceX gekommen. Ist das ein ähnlich
großer Sprung wie von der Erde zum Mond?
Es war schon ein ziemlicher Trip. Ursprünglich
wollte ich nur zwei Jahre bleiben, doch es wurde
immer spannender. Jetzt sind es schon 23 Jahre
geworden. Wenn ich zurücksehe, ist es manchmal
schon so, als würde ich vom Mond auf die Erde
gucken, aber im täglichen Leben fällt mir das
nicht besonders auf. Ich tue, was ich kann, um un-
sere Raketen und Kapseln und Satelliten bereit zu
kriegen. Das ist mein Job, und das macht mir
Spaß. In Bremen hätte ich wahrscheinlich etwas
Ähnliches gemacht. Nur bin ich zufälligerweise auf
die größte Möglichkeit gestoßen, die es in den letz-
ten 30 Jahren in der Raumfahrt gab. Darüber bin
ich glücklich.

Herr Koenigsmann, vielen Dank für das Interview.


Die Fragen stellte Nele Husmann.


Hans Koenigsmann


„Die Ariane ist


wie ein gutes


analoges


Telefon“


Ausbildung Hans
Koenigsmann stu-
dierte in Berlin Luft-
und Raumfahrttech-
nik, erwarb seinen
Doktor an der Univer-
sität Bremen. Seine
Spezialität: Steuerung
von Satelliten mit
magnetischen Kräf-
ten. Der von ihm mit-
entwickelte Kleinsa-
tellit BremSat wurde
1994 vom Space-
shuttle Discovery
erfolgreich ausge-
setzt.

Amerika Der heute
56-Jährige ging Mitte
der 90er-Jahre nach
Kalifornien, um für
den Satellitenherstel-
ler Microcosm zu
arbeiten. 2002 lernte
er bei einem Raketen-
start Elon Musk ken-
nen, der ihn prompt
für SpaceX anheu-
erte. 2011 wurde er
zum Chefingenieur
für die Raketenstarts
befördert.

Vita Hans
Koenigsmann

imago/ZUMA Press

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