Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

64 Kunstmarkt WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216


Ulrike Rosenbach: Parodiert das berühmte
Elvis-Presley-Motiv von Andy Warhol.

Galerie Priska Pasquer/VG BILD-KUNST


Hassan Hajjaj:
Verbreitet mit
seinen poppigen
Fotos gute Laune.

Yossi Milo Gallery, New York; Third Line Gallery, Dubai


Olga Grimm-Weissert Paris


D


as Faszinierende an der Pariser
Fotomesse ist die Tatsache,
dass sie von der historischen
Fotografie über die Moderne
bis zu abstrakten zeitgenössi-
schen Experimenten reicht“, erklärt der
künstlerische Direktor der „Paris Photo“,
Christoph Wiesner. Der perfekt Deutsch spre-
chende Fotoexperte organisiert die beste Fo-
tomesse der Welt im Einklang mit der Direk-
torin Florence Bourgeois. Wiesner und Bour-
geois wählten für die 23. Ausgabe 180 Gale-
rien und 33 Fotobuchverleger aus 31 Ländern
aus (bis 10.11.).
Der Rundgang ist abwechslungsreich, op-
tisch angenehm und ästhetisch gefällig; man
könnte auch sagen: kommerziell vielverspre-
chend zusammengestellt. Selten trifft man
auf aggressive, schreiende Fotografien, was
im Verhältnis zu früheren Ausgaben eine be-
deutende Veränderung bedeutet.
Die Gänge sind enger als bei der „Fiac“-Mes-
se für zeitgenössische Kunst. So konnten die
Organisatoren die Anzahl der Aussteller auf
213 erhöhen. Trotzdem gelang es ihnen, die
thematischen Sektoren sichtbar zu machen.
Im Gegensatz zur Fiac, die schon bei der
Eröffnung mit sehr guten Verkäufen punkte-
te, geht es bei dieser Ausgabe der Paris
Photo etwas ruhiger zu. Der von der Bank
JP Morgan organisierte Abend für rund 1 200
Gäste brachte nur wenige Ankäufe.

Fehlende Auszeichnung
Man hörte sogar vonseiten einiger Galeris-
ten, dass Fotografie in den letzten Jahren
nicht mehr auf die gleiche Begeisterung
stößt wie noch vor fünf Jahren. Eine Erklä-
rung könnte sein, dass nicht immer sehr klar
getrennt wird zwischen Originalabzügen, die
noch vom Künstler selbst verantwortet wur-
den, und späteren Editionen; das ist insbe-
sondere auf Fotoauktionen, aber nicht nur
dort, zu beobachten.
Auf der Paris Photo praktiziert die Mehr-
heit der Aussteller eine diesbezüglich faire
Politik. Wie zum Beispiel die Kölner Galeris-
tin Priska Pasquerr, die eine ironisch-femi-
nistische Variante des berühmten Elvis-Pres-
ley-Porträts von Andy Warhol anbietet. Ulri-
ke Rosenbach parodierte es 1969 erstmals,
indem sie sich selbst anstelle des Filmidols
abbildete. Der auf fast 190 mal 170 Zentime-
ter vergrößerte Abzug des ursprünglich klei-
nen Fotos zeigt Elvis neben der verdoppel-
ten Ulrike Rosenbach. Er stammt aus diesem
Jahr und trägt den Titel „Art is a Criminal
Action“. Inklusive Mehrwertsteuer kostet
der dritte von zehn Abzügen 23 800 Euro.
2018 hatten die Messeleiter die Galeristen
gebeten, Fotografinnen zu privilegieren. Das
behält in diesem Jahr außer Priska Pasquer
auch noch die Pariser GalerieLelonggbei.
Lelong zeigt mosaikartig zusammengestellte
Fotoarbeiten der Pionierin des Feminismus,
Carolee Schneemann (1939–2019), und der
ziemlich oberflächlich frauenbewegten Kiki
Smith. Ihr widmet das Museum La Monnaie
de Paris derzeit eine üppige Schau.
Die ganze Stadt steht im Zeichen der Foto-
grafie. In diesem Jahr präsentiert sie sich
besonders humor voll und bunt, denn das Fo-
tomuseum Maison Européenne de la Photo-
graphie (MEP) zeigt nicht nur eine Schau des
marokkanisch-englischen Fotografen und
Designers Hassan Hajjaj, sondern hat auch
zwölf Metrostationen und den Flughafen
Roissy mit dessen Fotografien austapeziert.
Hajjaj, auch „Andy Wahloo“ genannt, eine
arabische Variante seines Pop-Vorbilds, foto-
grafierte marokkanische und afrikanische
Akrobaten, Bodybuilder und Tänzer vor ei-
nem intensivfarbigen Hintergrund, den ge-
stapelte kleine Dosen mit arabischen Spezia-
litäten umgeben. Gekleidet sind sie in die
kunterbunten, typisch afrikanisch gemuster-
ten Wax-Stoffe. Heiter und hemmungslos
macht der 1961 geborene Hajjaj Anleihen bei

anderen Künstlern, um durch das Über-
schreiten der Grenze zum Kitsch gute Laune
zu verbreiten. Seine Fotos, umrahmt von
echten Dosen, findet man am Stand der New
Yorker Galerie Yossi Milo ab 11 000 Pfund
Sterling.
Dem surrealistischen Humor Man Rays
widmen Gagosian und die Pariser Galerie
1900/2000 einen gemeinsamen Stand. Das
Angebot deckt alles ab, was das Sammler-
herz begehrt, in einem Preisbereich von
10 000 Euro (für spätere Abzüge) bis
700 000 Euro. Darunter finden sich gestylte
Man-Ray–Fotos wie der mit Musikschlüsseln
dekorierte Damenrücken, „Violon d’Ingres“,
ein perfekt gerundetes Rückenende, unter
dem die Hände zum „Gebet“ hervorlugen
(„La Prière“), bis hin zu Porträts illustrer
Surrealisten, inklusive Selbstporträts.
Wiesner meint zwar, dass die erstmals an
der Messe teilnehmende Galerie Hauser &
Wirthh mit der monografischen Präsentation
von berühmten Porträts August Sanders
„Museumsqualität“ einbringt. Aber die lang-
weilige Hängung könnte verbessert werden.
Ein Vorbild liefern die Stände von Thomas
Zander (Köln) und Kicken (Berlin). Dort
werden 144 frühe Arbeiten von Jürgen Klau-
ke und erlesene, zeitnah zur Aufnahme ab-
gezogene Bilder von Bauhauskünstlern her-
vorragend präsentiert.
Der Münchener Galerist Daniel Blau um-
gibt seinen Stand mit Goldfolie und akzentu-
iert damit, 50 Jahre nach der Mondlandung,
sein Thema: die Erkundung des Weltalls. Mit
sogenannten „Wellenreitern“ wurden da-
mals die Fotografien zur Erde übermittelt.
Daniel Blau hat diese gleichsam „außerirdi-
sche“ Fotografie am Markt durchgesetzt.

Ästhetisierte Verwüstung
Die Botschaft der großformatigen Fotogra-
fien an einigen Ständen, die Umweltbe-
wusstsein durch Landschaftsfotografien we-
cken sollen, ist wesentlich einfacher. Ed-
ward Burtynsky von der Nicolas Metivier
Galleryyy, Toronto, verweist auf Goldminen
in Afrika, deren Verwüstung er dennoch äs-
thetisch aufbereitet. Axel Hütte ist am Stand
der Galerie Ruzicskaaus Salzburg mit de-
korativen Ruinen in stimmigen Landschaften
vertreten. Die Abzüge kosten ab 20 500 Euro.
Apropos Ruinen: Nicht alle Spezialisten
der historischen Fotografie konnten der Ver-
lockung widerstehen, die durch einen Brand
extrem beschädigte Kathedrale Notre-Dame
de Paris im Zustand des 19. Jahrhunderts an-
zubieten. H. P. Kraus (New York) verfügt
über das Papiernegativ und den Salzabzug
eines Papiernegativs von Charles Nègre um
1853, für die er 75 000 Euro erwartet.
Der französische Starfotograf Gustave Le
Gray ist an mehreren Ständen mit verschie-
denen Motiven zu finden. Etwa bei Robert
Hershkowitz (Lindfield/London), der „Die
französische Flotte in Cherbourg“ von 1858
für 60 000 Euro offeriert.
Das Gleichgewicht zwischen der histori-
schen, modernen und zeitgenössischen Fo-
tografie ist in diesem Jahr gut austariert. Die
Fotografin und Filmemacherin Shirin Neshat
wird im Gebäude des verstorbenen Mode-
schöpfers Azzedine Alaia mit Farbfotos und
zwei Videoarbeiten „Looking for Oum Kult-
hum“ gezeigt. Neshat lässt die in den nord-
afrikanischen Ländern quasi vergötterte
Sängerin Oum Kulthum wieder aufleben und
zeigt ihr enthusiastisches Publikum. Alaia
war seit seiner Kindheit ein Fan der ägypti-
schen Sängerin.
Das Carrousel du Louvre ist Schauplatz
der Messe „Fotofever“; es gibt das Festival
„Photo Saint-Germain“ und in rund 20 Mu-
seen Sonderausstellungen. Christie’s setzte
bereits am 5. November 2,8 Millionen Euro
mit einer risikolosen Auswahl um. Es verstei-
gern ferner Ader-Nordmann & Dominique
und Sotheby’s am 8. November.

Messe


Gedämpfte


Leidenschaft


Die Paris Photo ist stets ein Ereignis.


Die Verkäufe halten sich jedoch in Grenzen.

Free download pdf