AM WOCHENENDE
WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HMG MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 9./10. NOVEMBER 2019 75. JAHRGANG /45. WOCHE / NR. 259 3,70 €
FOTOS: NORBERT MICHALKE/PICTURE ALLIANCE; TOMAS KÖHLER/IMAGO; THE WENDE MUSEUM/TASCHEN
Frauen fordern die Hälfte der guten Jobs
und dieselbeBezahlung. In der Politik ha-
ben sie die Macht an sich gerissen, es in
höchste Ämter gebracht. Nicht mal in Fuß-
ball- und Boxvereinen sind Männer noch
sicher. „Wann ist es genug?“, sorgt sich da
der ein oder andere Mann, vor allem,
wenn er sich unter seinesgleichen wähnt.
So wurde Daniel Craig in einem Interview
mit derSunday Timesgefragt, ob das En-
gagement der Drehbuchautorin Phoebe
Waller-Bridge, 34, die dem in die Jahre ge-
kommenen James Bond für den neuen
Film „No Time To Die“ ein paar pfiffige
Dialoge in den Mund schreiben sollte,
nicht eine Konzession an die Quote sei.
„Wir führen hier eine Diskussion über
Phoebes Geschlecht, das ist lächerlich“,
erwiderte ein erboster Craig.
Es war insofern eine sehr dämliche Fra-
ge, als Phoebe Waller-Bridge derzeit als
beste Autorin im Filmgeschäft gilt. Sie hat
in diesem Jahr einen Emmy für die von
ihr geschriebene und gespielte Comedy-
Serie „Fleabag“ bekommen, allerdings
auch schon mit der Thriller-Serie „Killing
Eve“ Erfolge gefeiert. Die Frage war also
etwa so angebracht, als würde man fra-
gen, ob Angela Merkel oder Madonna da
sind, wo sie sind, weil man halt was Weibli-
ches an der Stelle gebraucht hat.
Nun mussten die männlichen Bond-
Fans in den vergangenen Jahren schon ei-
niges aushalten. Die Liebhaberinnen wur-
den selbstbewusster, klüger, Bond-Girl
Monica Bellucci war sogar älter als Craig.
Auch „M“, der Chef des Agenten, wurde
zur Abwechslung durch eine Frau ersetzt.
Für einige Fans bedeutete das offenbar:
Misogynie statt Miss Moneypenny.
Nun sind diese Bondianer mit ihrer Not
nicht alleine. Als die neue „Star Wars“-Tri-
logie neben weiteren Kombattantinnen
die Jedi-Ritterin Rey einführte, sehnten
sich Fans so sehr nach den alten Zeiten zu-
rück, als Prinzessin Leia die einzige Frau
in einer weit, weit entfernten Galaxie war,
dass einer von ihnen einen Neuschnitt
des achten Teils anfertigte, aus dem er
alle Darstellerinnen entfernte. Und auch
bei der Wiederverfilmung von „Ghost-
busters“ mit weiblichen Hauptfiguren
war die Empörung groß, vor allem im In-
ternet. Die Hetze trug dazu bei, dass der
Film floppte.
Seit einigen Monaten sucht nun Rotten
Tomatoes, das bedeutendste Internet-
Filmrezensionsportal, nach weiblichen
Kritikern. Grund dafür ist die Einsicht,
dass ein zu hoher Anteil von Männern mit
eindeutiger Meinung, nämlich der, dass
Frauen die Finger von Lichtschwertern
und Walther PPKs lassen sollten, zu einer
verzerrten Beurteilung führt.
Und bevor jetzt wieder einer denkt,
„Wann ist es genug?“, muss man sagen,
dass Rotten Tomatoes über Ecken zu den
Konzernen Warner und Universal gehört,
es stehen also keine Diversitätsstudien
hinter dem Veränderungswillen, sondern
kommerzielle Interessen. Immerhin wol-
len Frauen nicht nur die Hälfte der Macht,
sondern stellen auch die Hälfte des poten-
ziellen Publikums.
James Bond übrigens, so viel weiß man
schon, ist in „No Time To Die“im Ruhe-
stand. Seine berühmte Nummer 007 und
die Lizenz zum Töten erbt eine Figur na-
mens Nomi, gespielt von Lashana Lynch –
einer schwarzen Frau. david pfeifer
von nico fried
Vom Balkon des Kanzleramtes im 8. Stock
hat man denidealen Blick: der Bundestag,
das Brandenburger Tor, die Spree. Man-
chen Staatsgästen erzählt Angela Merkel
von hier aus, wo sie zu Zeiten der DDR ge-
wohnt und gearbeitet hat. Und wo die Mau-
er verlief, die am 9. November vor 30 Jah-
ren fiel. Gäste, die sie hier zum ersten Mal
besuchen, fragt sie manchmal, ob sie vor
1989 schon mal in Berlin waren – und in
welchem Teil der Stadt. „Ich persönlich sa-
ge mir oft, dass ich es mir nie hätte träu-
men lassen, mal hier so zu stehen“, sagt
Merkel im Interview mit derSüddeut-
schen Zeitung.
In diesen Tagen rund um das Jubiläum
des Mauerfalls empfängt Merkel viele Gäs-
te, mit denen kein Small Talk fürs erste
Kennenlernen mehr nötig ist. Es sind alle
ziemlich gute Bekannte. Selbst der ameri-
kanische Außenminister Mike Pompeo be-
suchte Merkel am Freitag bereits zum
zweiten Mal binnen weniger Monate im
Kanzleramt. Nato-Generalsekretär Jens
Stoltenberg kennt Merkel seit vielen, die
künftige EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen seit noch viel mehr
Jahren – und die gemeinsame Zeit mit
Emmanuel Macron, der sich für Sonntag
angesagt hat, kommt Merkel manchmal
wohl auch schon ziemlich lange vor.
Der 30. Jahrestag des Mauerfalls hat so-
mit trotz der zentralen Erinnerungsfeier
am Samstag, an der auch Bundespräsi-
dent Frank-Walter Steinmeier teilnimmt,
politisch einen arbeitsamen Charakter.
Der Anlass wird zwar gebührend zele-
briert und auch mit Symbolik angerei-
chert: So hat Steinmeier die Staatsober-
häupter der vier in der sogenannten Vise-
grád-Gruppe verbundenen osteuropäi-
schen Staaten Polen, Tschechien, Slowa-
kei und Ungarn eingeladen. Damit soll die
besondere Bedeutung der osteuropäi-
schen Staaten für die friedliche Revoluti-
on gewürdigt werden. Ansonsten aber ste-
hen die aktuellen Themen im Vorder-
grund, der Zustand der Nato, die deutsch-
amerikanischen Beziehungen, der Brexit
und seine Folgen. Der Jahrestag macht
Berlin zu einer Art Bienenstock der Diplo-
matie, in dem so viel emsiger Betrieb
herrscht, dass selbst Angela Merkels Re-
gierungssprecher am Freitag verspätet
und atemlos zur Bundespressekonferenz
erscheint, weil er von der Kolonne eines
ausländischen Gastes aufgehalten wurde.
In dieser Routine steckt ein gutes Zei-
chen. Immerhin waren mit dem Fall der
Mauer und der Wiedervereinigung nicht
einmal ein Jahr später auch Sorgen vor
einer übermäßigen Dominanz Deutsch-
lands verbunden, ja sogar vor einer Rück-
kehr des nationalistischen Ungeistes in
der Außenpolitik. Heute sind die Klagen,
Deutschland führe in Europa zu wenig,
eher lauter als der Vorwurf, Berlin oktroy-
iere Partnerstaaten seinen Willen. Und
trotz banger internationaler Blicke auf die
Wahlerfolge der AfD gilt Deutschland an
vielen Orten der Welt als attraktives Land
mit stabilen politischen Verhältnissen.
Über Jahrzehnte war Berlin eine Bühne
für weltpolitische Inszenierungen, zuerst
im Kalten Krieg, dann nach der friedli-
chen Revolution der DDR-Bürger – beson-
ders beliebt war die Stadt als Symbol mit
historischer Kulisse bei amerikanischen
Präsidenten. Die Reden John F. Kennedys
vor dem Schöneberger Rathaus und Ro-
nald Reagans direkt vor der Mauer sind
nicht nur im kollektiven Gedächtnis der
Deutschen haften geblieben, sondern wur-
den auch in den USA selbst stark beachtet.
Bill Clinton betrat nach der Wiedervereini-
gung als erster US-Präsident den Boden
der ehemaligen DDR, Barack Obama
sprach als Präsident 2013 auf der Ostseite
des Brandenburger Tors und beschwor
den Geist von friedlicher Veränderung
und Fortschritt in Gemeinsamkeit.
Bei Donald Trump ist ungewiss, ob er
Berlin vor der Präsidentschaftswahl 2020
noch besuchen wird. Doch dass er aus
dem 9. November 1989 eine andere politi-
sche Lektion ableitet als sein Vorgänger,
erscheint wenig überraschend. Trumps
Außenminister Pompeo nutzte den histo-
rischen Hintergrund Berlins am Freitag
für heftige Attacken auf China und Russ-
land. Der deutschen Außenpolitik, na-
mentlich der Kanzlerin, kommt in solchen
Konfrontationen oft eine beschwichtigen-
de Rolle zu. Schon am Donnerstagabend
hatte Merkel Emmanuel Macrons Kritik
an den USA und sein Wort vom „Hirntod“
als übertrieben zurückgewiesen.
Im Ausland, so wirkt es, wird das verein-
te Deutschland heute mehr als Normalität
wahrgenommen als in Deutschland
selbst. „Vielleicht liegt es an dem Abstand
von dreißig Jahren“, sagt die Kanzlerin im
Interview. „Bei manchem, von dem man
gedacht hat, dass es sich zwischen Ost und
West angleichen würde, sieht man heute,
dass es doch eher ein halbes Jahrhundert
oder länger dauert.“ Auch die außenpoliti-
sche Lage sei da von Bedeutung. Nationa-
listische und protektionistische Tenden-
zen hätten weltweit zugenommen, „so-
dass wieder mehr aus dem nationalen
Blickwinkel diskutiert wird“. Seite 4
Bond, Jane Bond
Die Sprüche des berühmtesten Geheimagenten der Welt
schreibt nun eine Frau. Das gefällt nicht allen Männern
Xetra Schluss
13229 Punkte
N.Y. Schluss
27681 Punkte
22 Uhr
1,1019 US-$
Im Westen scheint gelegentlich die Son-
ne, örtlich kann es regnen. Auch sonst
bringen dichte Wolken Regen und in
Höhenlagen ab 600 Meter auch Schnee.
Später lockert es von Westen her bei fünf
bis elf Grad auf. Seite 16 und Bayern
New York– Der frühereNew Yorker Bür-
germeister Michael Bloomberg erwägt
laut US-Medien, für die Demokraten ins
Rennen um die Präsidentschaft zu gehen.
Ein enger Berater Bloombergs wurde mit
den Worten zitiert, dieser sei besorgt, die
aktuellen Bewerber der Demokraten
könnten es nicht mit Präsident Trump
aufnehmen. dpa Seiten 4 und 9
AUFBAU
WEST
Angela Merkel
erzählt, wie sie
Gästen den
Osten erklärt
Gesellschaft,
Seite 60
Dax▼ Dow▶ Euro▼
Euro-Jackpot(08.11.2019)
5 aus 50:14, 20, 23, 39, 49
2 aus 10:4, 10 (Ohne Gewähr)
TV-/Radioprogramm, Medien 46–
Forum & Leserbriefe 16
Kino · Theater im Lokalteil
Rätsel & Schach 40
Traueranzeigen 30–
Die SZ gibt es als App für
Tablet undSmartphone:
sz.de/zeitungsapp
11 °/-4°
Berlin– Die deutschen Windkraft-Her-
steller rutschen immer weiter in die
Krise. Am Freitag verkündete der
deutsche Marktführer Enercon einen
Auftragsstopp für Standorte in Aurich
und Magdeburg. Nach SZ-Informationen
sind jeweils 1500 Mitarbeiter betroffen,
die zum großen Teil bei Subunter-
nehmen arbeiten. Die Krise der Energie-
wende sei bei Enercon angekommen,
sagte Firmenchef Hans-Dieter Kettwig
der SZ. „Die Politik hat uns den Stecker
gezogen.“ Zuletzt war der Bau neuer
Windräder in Deutschland nahezu zum
Erliegen gekommen. Hunderte Projekte
werden bundesweit beklagt, neue Wind-
parks werden kaum noch angemeldet.
mbal, miba Wirtschaft
Bloomberg erwägt
Kandidatur
MIT IMMOBILIEN-,
STELLEN- UND
MOTORMARKT
30 Jahre
Fall der Mauer
Sonderteil Gesellschaft und Stil:
Zwei Generationen DeutschlandSeite 53
Was die Gegner der Einheit sagenSeite 59
Die Grenze in kleinen TeilenSeite 61
- 0,46% + 0,02% - 0,
DAS WETTER
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TAGS
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NACHTS
Windenergie
in der Krise
Marktführer Enercon streicht
Aufträge für 3000 Mitarbeiter
DIE DDR
IN DEN USA
So kam die
Wende zu einem
großen Museum
in Los Angeles
Stil,
Seite 64
10
0
20
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40
50
60
Zufrieden vereint
Anteil der Befragten in Prozent, die ihre Lebens-
zufriedenheit mit 7oder höher bewertet haben,
auf einer Skala von 1 bis 10
52
48
64
59
43
15
1991 2009 2019
Sind sich Ost- und Westdeutsche seit der
Wiedervereinigung nähergekommen?
Jahr
2000
2019
kaum/überhaupt nicht nähergekommen
sehr stark/stark nähergekommen
keine Angaben/weiß nicht
55 40
30 68
Anteil der Befragten in Prozent
SZ-Grafik; Quelle: Pew, Forschungsgruppe Wahlen
Westdeutschland Ostdeutschland
Ein ganz normales Wunder
Wie viele ihrer Landsleute staunt Kanzlerin Merkel noch heute über die Wiedervereinigung.
Das Ausland ist inzwischen nüchterner – und sieht das geeinte Deutschland als stabilen Partner
Süddeutsche ZeitungGmbH,
Hultschiner Straße 8,81677 München; Telefon 089/2183-0,
Telefax -9777; [email protected]
Anzeigen:Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und
Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt),
089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte).
Abo-Service:Telefon 089/21 83-80 80, http://www.sz.de/abo
A, B, F, GR, I, L, NL, SLO: € 4,20;
ES (Kanaren): € 4,30; dkr. 34; £ 3,90; kn 36; SFr. 5,
(SZ) Könige und Königinnen erkennt der
Experte daran, dass sie eine Krone auf
dem Kopf tragen und um die Schultern ei-
nen Pelz, am liebsten Hermelin, weil das
unschuldige Weiß gut kombinierbar ist
mit den Farben der Saison. Dass Pelz und
Macht zusammengehören, haben die
Menschen von den Pavianen gelernt, bei
denen der Chef nicht nur den dicksten
Hintern hat (dieses Modell hat sich nur
vereinzelt durchgesetzt), sondern auch
den dicksten Mantel, den er nur in seinen
Privatgemächern ablegt. Eine Ausnahme
bilden Kaiser, die nach den Forschungen
des dänischen Historikers Hans Christi-
an Andersen auch mal nackt in der Öffent-
lichkeit auftreten, was der Begeisterung
für die Majestät aber keinen Abbruch tut.
Am englischen Hof, wo man sich mit dem
Königstitel begnügt, waren die Kings und
Queens über derartige kaiserliche Extra-
vaganzen nie sonderlichamused; statt-
dessen hielten sie dem Hermelinumhang
die Treue, den auch Elizabeth II. neulich
bei der Parlamentseröffnung wieder zur
Schau trug – sehr zum Ärger von Tier-
schützern. Aber was soll die Queen ma-
chen? Wenn sie schon keine Macht mehr
hat, bleibt wenigstens noch der Pelz.
Aber auch damit ist jetzt Schluss. So-
eben hat die königliche Leibschneiderin
Angela Kelly in ihren Memoiren verraten,
dass die Garderobe der Queen auf Kunst-
pelz umgestellt wird. Sogar der Nerzbe-
satz eines Tweedmantels, den die Schnei-
derin im Jahr 2008 zusammengenäht
hat, musste dran glauben; stattdessen
wärmt die Königin fortan ein künstliches
Fell. Allerdings hat der Palast wissen las-
sen, dass Elizabeth ihre alten Klamotten,
die für die Kleidersammlung zu schade
sind, noch auftragen werde. Mit Blick auf
das Nachhaltigkeitsgebot ist dies vorbild-
lich, auch wenn Teeflecken und der Fraß
der gefürchteten Buckingham-Palast-
Motte den Glanz der royalen Toilette trü-
ben. Es soll also niemand meckern, wenn
die Queen, die ja das ewige Leben hat, bei
künftigen Parlamentseröffnungen einen
Hermelin trägt, der aussieht wie die Fri-
sur von Boris Johnson.
Vornehm diskret bleibt Schneiderin
Kelly bei der Frage, ob der Kurswechsel
der Königin von Herzen kommt. Womög-
lich ist ihr nur der immerwährende Prinz
Charles, der gerne mal den Tierschützer
gibt, in den Ohren gelegen, vielleicht mit
der Drohung, sich eine neue Frau zu su-
chen, falls die Mama nicht dem Echtpelz
abschwöre. Denkbar ist auch, dass die
vor allem von den Schotten gerühmte
Sparsamkeit der Queen zum Umschwung
geführt hat. Wie auch immer: Während
Nerze und Hermeline aufatmen dürfen,
müssen die kanadischen Schwarzbären
weiterhin auf der Hut sein. Aus deren Fell
sind die Mützen der königlichen Palast-
wache gefertigt, und dabei soll es auch
bleiben. Das ist peinlich inkonsequent,
zumal da die Lösung so nahe liegt: Ihre
zahllosen alten Hüte kann die Queen wirk-
lich nicht allein auftragen.
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