Süddeutsche Zeitung - 09.11.2019 - 10.11.2019

(Greg DeLong) #1
von laura weissmüller

I


rgendwo hier muss es sein. Google
Maps ist sich ganz sicher. Doch da
ist nur eine lang gezogene, stark ver-
witterte ockergelbe Steinmauer,
fensterlos noch dazu. Außerdem er-
scheinen der Parkplatz und die Betonrie-
gel ringsum nicht unbedingt wie die ange-
messenen Nachbarn für das Erstlings-
werk eines Pritzker-Preisträgers, immer-
hin handelt es sich dabei um die wichtigs-
te Auszeichnung, die es in der Architektur
zu holen gibt. Eduardo Souto de Moura
hat sie im Jahr 2011 erhalten. Die Casa das
Artes, ein Kulturzentrum, das man zuneh-
mend verzweifelt im einsetzenden Niesel-
regen von Porto sucht, entwarf der Archi-
tekt Anfang der Achtzigerjahre in seiner
Heimatstadt.
„Ich mag es nicht, wenn ein Gebäude
lauthals schreit: ,Ich bin ein Denkmal!‘“,
wird Souto de Moura bald darauf in sei-
nem Büro in Porto sagen. Wobei ,sagen‘
die Stimmlage des 67-jährigen Architek-
ten unzureichend beschreibt. Bei dem
Wort ,Denkmal‘ krächzt er laut los. Den No-
tizblock der Journalistin hat er da längst
zu seinem gemacht. Mit wilden Kreisen
skizziert er, was er verachtet: marktschrei-
erische Architektur, die sich nicht sensi-
bel in ihre Umgebung einfügt. „Ich bevor-
zuge Gebäude mit einer leisen Stimme“,
flüstert er gut gelaunt. Im Sitzen sieht Sou-
to de Moura mit seinen grauen buschigen
Augenbrauen und dem breiten Kreuz wie
ein freundlicher Riese aus, aber wenn er
sich erhebt, ist er erstaunlich klein.
Tatsächlich muss man Gebäude von
Souto de Moura nicht selten suchen. Eines
seiner frühen Wohnhäuser in Vieira do
Minho versteckt sich hinter einer verfalle-
nen, grün bemoosten Steinmauer. Die
kleine Kapelle, die er für die Architektur-
biennale 2016 auf der Insel San Giorgio
Maggiore entwarf, ließ er ebenfalls über-
wuchern und den Stein verwittern. „Ei-
gentlich habe ich immer das gleiche Haus
entworfen“, sagt Souto de Moura.
Das stimmt natürlich nicht, wie seine
bislang größte Retrospektive zeigt, die
nun fast ein Jahr lang in der Casa da
Arquitectura in Portos Nachbarstadt
Matosinhos zu sehen ist. Die Spannweite
der Projekte reicht vom skulpturalen Fuß-
ballstadion in Braga und dem Masterplan
für die funktionale Metro in Porto über ein
inkatempelartiges Museum, die Casa das
Histórias Paula Rego in Cascais, bis hin zu
seinem technoiden Entwurf des Stau-
damm Foz Tua. Vom gleichen Haus kann
also nicht die Rede sein, vielleicht aber
von einer bestimmten Haltung, mit der
sich der Architekt jedem Projekt nähert.
Die Ausstellung basiert auf einer Schen-
kung. Souto de Moura hat dem Architek-
turzentrum im Frühjahr große Teile sei-


nes Archivs vermacht, darin über 600 Mo-
delle, 8500 Zeichnungen und zahlreiche
Texte und Fotos zu den Projekten. Der Ar-
chitekt und langjährige Mitarbeiter von
Souto de Moura, Nuno Graça Moura, hat
aus dem zumeist unveröffentlichten Mate-
rial mit Francesco Dal Co eine anschauli-
che Retrospektive kuratiert, in der jedes
Projekt durch großformatige Fotografien,
einem Modell und vor allem Souto de Mou-
ras kraftvolle Skizzen vorgestellt wird.
„Eduardos Werk ist das interessantes-
te, das man gerade in der Architektur stu-
dieren kann“, sagt Dal Co. Starke These,
aber das Wort des Venezianers hat Ge-
wicht. Er ist einer der renommiertesten Ar-
chitekturhistoriker. Dal Co lehrte in Yale,
ist Professor für Architekturgeschichte in
Venedig, leitete dort mehrere Jahre die
Architekturbiennale, publizierte Mono-
grafien vieler Architekturstars der Moder-
ne und ist seit 1996 Herausgeber vonCasa-
bella, einem der prestigeträchtigsten Ar-
chitektur- und Designmagazine über-
haupt. „Die Schönheit an allen Gebäude
von Souto de Moura ist, dass sie keine

Angst haben vor der Zeit, die vergeht“, so
Dal Co. Also darf Moos an der Fassade
wachsen, Regen und Wind die Mauern ver-
wittern lassen (weswegen man die ocker-
gelbe Steinmauer auch nicht als Rückseite
der Casa das Artes erkannt hat). Klassi-
sche Alterserscheinungen, die beileibe
nicht allen Häusern so gut stehen wie de-
nen von Souto de Moura. Ein Entwurf
muss darauf ausgerichtet sein, dass er alt
werden darf. Sonst bleibt nur die Abriss-
birne.
Dass der Portugiese selbst damit gut
umzugehen weiß, zeigt ein Projekt in Bra-
ga. Seine Markthalle dort hatte sich über-
lebt, prompt machte sie Souto de Moura
nach ihrem Abriss zur schmückenden Rui-
ne für das neue Kulturzentrum, das er an
die Stelle der Markthalle setzte. Es dürfte
nicht viele Architekten geben, die sich mit
einer derartigen Freude über die Reste ih-
rer eigenen Häuser hermachen.

Wer Souto de Mouras Werk für minima-
listisch hält, der sollte einen Blick auf seine
Skizzen werfen. Etwa bei der Casa das Ar-
tes in Porto. Auf der Skizze tummeln sich
diverse Vertreter der Hochkultur, ein Amor
sitzt am Treppenaufgang, es gibt die Sta-
tue einer Venus und den Torso einer ande-
ren antiken Figur. Befindet man sich dann
selbst vor dem Eingang, kann man von all
dem kulturgeschichtlichen Zierrat nichts
mehr finden. Dafür erlebt man das Kunst-
stück, wie aus einer simplen Steinmauer ei-
ne derart mondänen Bühne entwickelt wer-
den kann, dass sogar der Kleinkinderchor,
der an diesem Nachmittag hier probt, eine
glamouröse Aura erhält.
„In der Arbeit von Souto de Moura geht
es um Reduktion“, sagt Dal Co. Das Ergeb-
nis sei ein Destillat, vergleichbar „mit ei-
nem guten Grappa: Wenn man den trinkt,
schmeckt man all das, was beim Herstel-
lungsprozess verloren ging“. Gut möglich,
dass dieses Entfernen von dem, was einen
beim Entwurf inspiriert hat, aber auch Sou-
to de Mouras ursprünglichem Berufs-
wunsch geschuldet ist. An der Escola
Superior de Belas Artes der Universität von
Porto studierte er zunächst Bildhauerei, be-
vor er zur Architektur wechselte.
Oder an seinem großen Vorbild Ludwig
Mies van der Rohe. Reduktion auf das We-
sentliche hieß dessen Credo. Tatsächlich er-
innert die Casa das Artes ein wenig an Mies
van der Rohes Pavillon in Barcelona, die-
sem Jahrhundertwerk aus simpel, aber ge-
nial gesetzten Mauern. „Ich mag Mies, also
kopiere ich ihn“, sagt Souto de Moura,
nicht ohne Stolz: „Ich bin ein Kopist.“ Das
Gleiche wie jemand zu machen, sei zwar
lächerlich, aber „wenn man den Geist von
etwas kopiert, ist das intelligent“. Schließ-
lich kopiere man dann nicht das Abbild,
sondern die Gedanken.
So gesehen kopiert Souto de Moura sehr
viel. In seinem Architekturbüro hängt ein
vergilbtes Poster von dem irischen Schrift-
steller Samuel Beckett und eines des ameri-
kanischen Minimal-Art-Künstlers Donald
Judd. „Bücher sind die besten Freunde von
Eduardo“, hatte der Kurator Dal Co gesagt.
Tatsächlich war Souto de Mouras „Ich ha-
be immer das gleiche Haus entworfen“ ei-
ne Anlehnung an Thomas Bernhard, der be-
hauptete, er schreibe immer das gleiche
Buch. Souto de Moura verehrt Bernhard,
seitdem er mal in Salzburg gearbeitet hat.
Den Jazz von Miles Davis dagegen liebt er,
weil der Musiker sich fortwährend verän-
dert habe und „nie zufrieden war“.
Ist Souto de Moura denn jemals zufrie-
den? „Natürlich nicht. Wenn ich zufrieden
wäre, wäre ich ja blöd.“ Die tiefen Augenrin-
ge hat er, weil er noch in der Nacht vor der
Eröffnung zwei Projekte in die kleine Kabi-
nettausstellung getragen hat. Neben der
Retrospektive mit dem entsprechenden Pa-
thos – Hochglanzfotos, perfekt ausgeleuch-
tet, vor weißer Mauer – hat der Architekt ei-
ne Art Miniversion seines Büros nachge-
baut. Er will dort selbst in den nächsten Mo-
naten arbeiten, sich mit Kunden treffen
oder die Fragen der Besucher beantwor-
ten. Ein Stararchitekt zum Anfassen sozu-
sagen. Lapidar sind Fotos und Pläne laufen-
der Projekte dort an die Wand gepinnt. Sei-
ne Helden hängen gerahmt daneben, Miles
Davis, Donald Judd, der portugiesische
Dichter Fernando Pessoa.
Und natürlich Álvaro Siza. Er war es, der
das internationale Spotlight überhaupt auf
die zeitgenössische Architektur Portugals
gerichtet hat. Ein Land, das über die Jahr-
hunderte als Peripherie Europas wahrge-
nommen wurde. In dem in Lissabon eine
andere Kultur entstehen konnte als in Por-
to: In der Hauptstadt das Königshaus, der
Adel, Fado, in der Hafenstadt Porto ein au-
tonomes Bürgertum, das selbst in der fa-

schistischen Diktatur manches möglich
machte. Bis heute gilt die Architekturfakul-
tät von Porto als die beste des Landes. Die
wichtigsten Architekten Portugals kamen
von dort: Fernando Távora, Álvaro Siza,
Souto de Moura.
„Siza ist mein Meister. Er ist mein Vater
in der Architektur“, sagt letzterer. Schon
als Student hat er für den knapp 20 Jahre äl-
teren Architekten gearbeitet. Gab es ein

Problem bei einem Projekt, musste der jün-
gere es zeichnen: „In der Zeichnung von
Problemen liegt schon der Schlüssel für
die Lösung“, sagt Souto de Moura. Doch als
er seinen ersten Wettbewerb gewann, warf
Siza ihn raus. „Wenn du Architekt sein
willst, kannst du bei mir nicht mehr arbei-
ten“, sagte er und machte dem jungen Kolle-
gen Beine. Mit Erfolg, wobei: Wer heute
Souto de Moura in seinem Büro besucht,

sieht am Klingelschild auch den Namen
des Kollegen. Siza arbeitet ein Stockwerk
über Souto de Moura. Der Ältere hat das
Haus hoch über dem Fluss Douro entwor-
fen. Und der Jüngere wäre nicht Eduardo
Souto de Moura, wenn er nicht kleine
Details darin verbessert hätte. Eine Tür-
klinke, die Lampe. Auch in Sizas Werk
versteckt sich also eine Arbeit von Souto de
Moura.

„Immer das gleiche
Haus“: Souto de Moura.
FOTO: ALFREDO CUNHA

Umarme


die Zeit


Manchmal reißt der portugiesische Architekt


Eduardo Souto de Moura seine eigenen


Bauten ein. Zu Besuch bei einem Furchtlosen


Für die portugiesische Malerin Paula Rego
entwarf derArchitekt Eduardo Souto de Moura die Casa
das Histórias Paula Rego in Cascais, ein rot gestrichenes
Museum mit tempelartigen Türmen.
Das Erstlingswerk des Pritzker-Preisträgers, die Casa das Artes
in Porto, muss man suchen.
FOTOS: SOUTO DE MOURA; LUÍS FERREIRA ALVES (2)

DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 FEUILLETON 19


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