von miriam hoffmeyer
F
reitags Fisch und die Pläne fürs
Wochenende, montags Eintopf
und die Erlebnisse vom Wochen-
ende – Kantinengespräche im
immer gleichen Kollegenkreis
sind oft ziemlich vorhersehbar. Für mehr
Abwechslung sorgen seit einigen Jahren
Software-Tools, die nach einem einfachen
Prinzip funktionieren: Man meldet sich
auf einer Plattform an und bekommt vom
Algorithmus für einen ausgewählten Tag
einen Essenspartner vermittelt, der in ei-
ner anderen Abteilung arbeitet.
Fiona Starke, Nachhaltigkeitsmanage-
rin bei der Flughafen München GmbH, ver-
abredet sich alle zwei Wochen über das un-
ternehmensinterne „Mittagsroulette“ mit
Kollegen, die sie noch nicht kennt. „So kom-
me ich mehr herum und lerne Bereiche
kennen, die ich vorher gar nicht auf dem
Schirm hatte“, sagt die 25-Jährige. „Beson-
ders interessant ist der Kontakt zu Kolle-
ginnen und Kollegen, die direkt mit dem
Flugbetrieb zu tun haben, denn davon bin
ich in meinem Büro sonst ziemlich weit
weg.“ Mit einigen der neuen Bekannten
trifft sie sich seit dem Kennenlernen
regelmäßig zum Essen: „Mein nächster
freier Lunchtermin ist in sechs Wochen.“
In Zeiten, in denen alle von Vernetzung
sprechen und nichts so gefürchtet wird
wie das „Silodenken“ einzelner Abteilun-
gen, suchen vor allem große Unternehmen
nach Möglichkeiten, den übergreifenden
Austausch ihrer Mitarbeiter zu fördern.
Die Idee der Lunchdates nach dem Zufalls-
prinzip kam vor ein paar Jahren fast gleich-
zeitig in den USA und in Deutschland auf,
wo 2013 das Start-up „Mystery Minds“ ent-
stand. Nach Angaben der beiden Gründer
wurden seither mehr als 100000 Treffen
mit ihrer Software Mystery Lunch organi-
siert. Zu den Kunden gehören neben dem
Münchner Flughafen unter anderem die Al-
lianz, die Telekom oder der Pharmaherstel-
ler MSD Sharp &Dohme.
Martin Wilke, der dort für Weiterbil-
dung und Personalentwicklung zuständig
ist, hat Mystery Lunch vor gut zwei Jahren
bei MSD eingeführt. „Es ist nicht nur für
das Betriebsklima gut, wenn sich Mitarbei-
ter aus verschiedenen Abteilungen vernet-
zen“, sagt er. „Sie verstehen dann auch bes-
ser, wie das Unternehmen funktioniert
und wie eine Aufgabe aus verschiedenen
Perspektiven aussieht.“ Eine Medizinerin,
die ein neues Arzneimittel entwickle, habe
eine andere Sichtweise als ein Experte für
das Zulassungsverfahren, aber beide Per-
spektiven seien wichtig für den Geschäfts-
erfolg. „Menschen, die sich kennen, arbei-
ten einfach besser zusammen und treffen
bessere Entscheidungen“, sagt Wilke.
Der Bachelor-Absolvent Niklas Becher
macht seit sieben Monaten ein Praktikum
bei MSD und hat schon viele Kollegen über
Mystery Lunch kennengelernt. Für ihn sei
das „Gold wert“, sagt er: „Ich bin ein kom-
munikativer Mensch und gehe auch sonst
auf Leute zu. Aber normalerweise lernt
man nur die kennen, die auf demselben
Stockwerk arbeiten. Ein Mystery Lunch ist
ein Türöffner für etwas Neues!“
Die Mischung aus beruflichen und priva-
ten Gesprächsthemen sei jedes Mal an-
ders: Eine Mitarbeiterin aus dem Marke-
ting brachte Niklas Becher auf die Idee,
auch mal den Harry-Potter-Sport Quid-
ditch auszuprobieren. Andere Kontakte er-
wiesen sich als nützlich im Arbeitsalltag:
„Bei einem Mystery Lunch habe ich einen
Kollegen aus der klinischen Forschung
kennengelernt“, erzählt Becher. „Wir im Ac-
counting verbuchen deren Rechnungen.
Als ich dazu mal eine Frage hatte, konnte
ich mich direkt an ihn wenden.“
Fast ein Drittel der etwa 600 Innen-
dienstmitarbeiter am MSD-Standort Haar
haben sich auf der Plattform registriert –
ein ungewöhnlich hoher Anteil, der wohl
auch darauf zurückzuführen ist, dass in
der Pharmaindustrie besonders viele Aka-
demiker arbeiten. Denn es ist zu vermu-
ten, dass hoch qualifizierte Mitarbeiter
auch am stärksten an karrierefördernder
Vernetzung interessiert sind. Bei den meis-
ten Unternehmen, die das Tool verwen-
den, machen zwischen zehn und 25 Pro-
zent der Belegschaft mit.
Bei der Münchner Flughafen GmbH ist
der Anteil deutlich niedriger. „Für Mitar-
beiter, die Schichtdienst haben oder auf
dem Vorfeld arbeiten, sind solche Treffen
schwerer zu organisieren“, erklärt Andreas
Mauer, Leiter Markenmanagement und
Innovation. Auch die sehr großen Entfer-
nungen auf dem Flughafengelände seien
ein Hindernis. Trotzdem ist er zufrieden,
weil die etwa 200 Teilnehmer immerhin
aus 70 verschiedenen Abteilungen kämen.
Vor Einführung des Mittagsroulettes
hatte die Flughafengesellschaft schon eine
einfachere Vernetzungsmethode erprobt:
Extratische in den Kantinen für alle Kon-
taktwilligen. „Das hat nicht funktioniert.
Diejenigen, die allein zum Essen gehen,
fühlen sich nicht wohl, wenn sie da quasi
auf dem Präsentierteller sitzen“, sagt Mau-
er. Die leeren Tische wurden am Ende doch
von Kollegengruppen mit Beschlag belegt.
Dass softwaregesteuertes Kennenler-
nen offenbar besser klappt, zeigt sich auch
darin, dass Mystery Lunch auf dem deut-
schen Markt schnell Konkurrenz bekom-
men hat, etwa durch die Softwares „Lunch-
zeit“ oder „Lunch-O-Mat“. Einige Unter-
nehmen wie Daimler nutzen Verabre-
dungstools, die eigens für sie entwickelt
wurden. Und die Otto Group ließ ihr
„Lunch Roulette“ 2016 einfach von den
hausinternen Informatikern programmie-
ren. Alle diese Programme funktionieren
ähnlich. Und die große Mehrheit der Unter-
nehmen, die sie verwenden, setzt dabei
komplett auf das Zufallsprinzip.
Dabei wäre es leicht möglich, gezielt Be-
schäftigte aus bestimmten Abteilungen zu-
sammenzubringen, etwa in der Vorberei-
tungsphase eines neuen Projekts. In letz-
ter Zeit beobachte er eine leichte Tendenz
zu mehr Vorgaben, sagt Christoph Drebes,
Gründer und Geschäftsführer von „Myste-
ry Minds“: „Ziel ist zum Beispiel, Mitarbei-
ter mit bestimmten Interessen zusammen-
zubringen. Oder es geht darum, den Aus-
tausch zwischen den Generationen zu för-
dern.“ Manche Unternehmen ließen sich
die Software auch so einrichten, dass sich
nur Mitarbeiter aus direkt benachbarten
Hierarchieebenen treffen können. Aber
das sei eher die Ausnahme: „Der Algorith-
mus kann auch einen Vorstand und einen
Praktikanten zusammenbringen.“
Schon wegen der deutschen Daten-
schutzbestimmungen könnten die Firmen
die Verabredungen der Mitarbeiter in kei-
ner Weise kontrollieren, sagt Drebes: „Das
beauftragende Unternehmen bekommt
nur anonymisierte Zahlen und sieht we-
der, wer am Programm teilnimmt, noch
wer mit wem essen war – und auch nicht,
wenn man mit einem bestimmten Kolle-
gen vielleicht nicht essen gehen möchte.“
Dass diese Anonymität unbedingt ge-
wahrt werden müsse, unterstreicht der Ar-
beitspsychologe Tim Hagemann von der
Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld:
„Es ist wichtig, dass die Teilnahme an sol-
chen Angeboten völlig freiwillig ist. Die Ge-
fahr liegt darin, dass sozialer Druck aufge-
baut wird oder die Leute das Gefühl haben,
etwas Wichtiges zu verpassen, wenn sie
nicht mitmachen.“
Denn der Zweck der Mittagspause ist
schließlich die Erholung von der Arbeit.
Wie durch zahlreiche Studien belegt wur-
de, sind Pausen unverzichtbar, um langfris-
tig Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu
erhalten. Trotzdem wird heute oft einfach
durchgearbeitet: Nach einer Befragung
der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin von 2017 lässt mehr als ein
Viertel der Beschäftigten die Mittagspause
häufig ausfallen, insbesondere wenn viel
Arbeit unter Zeitdruck zu erledigen ist.
Auch deshalb bewegen sich Angebote wie
Mystery Lunch nach Einschätzung Hage-
manns in einem Grenzbereich: „Die Frage
stellt sich, ob die Vernetzung – gerade
wenn das Unternehmen sie für so wichtig
hält – unbedingt in der kostbaren Pausen-
zeit stattfinden muss statt während der ei-
gentlichen Arbeitszeit.“
Es besteht also zumindest die Gefahr,
dass der grenzenlose Optimierungswille
auch die Pausen erfasst. In einigen Be-
trieben werden mittags Sportkurse oder
Rückenschulen angeboten, der Weiterbil-
dung dienen Kurzvorträge unter dem Mot-
to „Lunch and Learn“. Am bekanntesten
und originellsten unter den Mittagspau-
senangeboten ist der „Culture Club“ von
Otto Deutschland. Seit 2014 finden auf
dem Hamburger Unternehmensgelände al-
le zwei Monate die unterschiedlichsten Ver-
anstaltungen statt – Tanzen, Poetry Slams
oder Computerspiel-Wettkämpfe. In die-
sem Monat wird auf dem Gelände ein riesi-
ges begehbares Darm-Modell aufgebaut.
Da aus Platzgründen immer nur etwa ein
Zehntel der etwa 3000 Beschäftigten bei
den Culture-Club-Veranstaltungen mitma-
chen kann, muss man sich anmelden, nach
Firmenangaben sind die Plätze stets nach
ein paar Minuten ausgebucht.
Bei diesem Angebot scheint die Frei-
willigkeit der Teilnahme also ebenso ge-
währleistet wie der Erholungswert. Aber
auch ein Mystery Lunch könne einen er-
frischenden Ausgleich zur Arbeit darstel-
len, meint Professor Hagemann: „Ange-
nehme soziale Kontakte und ein anregen-
des Gespräch können durchaus erholsam
sein.“ Letztlich kommt es also darauf an,
ob man in der Lunch-Lotterie einen sym-
pathischen Essenspartner ergattert oder
eine Niete.
Der Algorithmus kann
auch einenVorstand
und einen Praktikanten
zusammenbringen.“
Christoph Drebes,
Gründer von „Mystery Minds“
Die Frage stellt sich, ob die
Vernetzung unbedingt
in der kostbaren Pausenzeit
stattfinden muss.“
Professor Tim Hagemann,
Arbeitspsychologe
am Stück und nicht länger dürfen
Beschäftigtein Deutschland
arbeiten. Dann müssen sie eine Pause
von mindestens 30 Minuten einlegen.
Erlaubt sind auch mehrere kurze
Ruhezeiten, etwa zwei Mal je eine
Viertelstunde. Die Pause einfach
ausfallen zu lassen und dafür früher
nach Hause zu gehen, ist hingegen
verboten. Bei einer Arbeitszeit von
mehr als neun Stunden muss die
Pause mindestens 45 Minuten
dauern. Statistiken belegen, dass
nach der neunten Arbeitsstunde das
Unfallrisiko deutlich ansteigt.
Ob eine Pause, die zum Netzwerken
genutzt wird, arbeitsrechtlich als
Ruhezeit gilt, ist unklar.
Statt schweigsam eine Stulle zu vertilgen, können sich Mitarbeiter mit Tools wie „Lunch Roulette“, „Mystery Lunch“ oder „Lunch-O-Mat“ anonym verabreden, an ihrem Netzwerk arbeiten und das Silodenken im Betrieb überwinden. FOTO:WESTEND61 / IMAGO
6
Stunden
DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 65
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Wer sich dabei langweilt, kann sich in manchen
Betrieben neue Bekanntschaften fürs Mittagessen
vermitteln lassen. Das schmeckt nicht jedem
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